„Achtundzwanzig“, sagte Lange. „Und immerhin ist dieses Nest, wie du es nennst, bei Urlaubern sehr beliebt. Die Ferienhäuser, direkt am Wittenroder See gelegen, sind jedes Jahr ausgebucht.“
„Waren“, gab Ta Quok zurück. „Drei bestialische Morde innerhalb von zwölf Stunden dürften erst einmal das Ende des Wittenroder Tourismusbooms bedeuten.“
„Ja“, gab Lange zu. „Da hast du wohl recht.“
„Wissen Sie“, hörten sie eine Stimme hinter sich, „ich bin kein Kirchgänger und ich bin auch nicht wirklich gläubig, aber ich hab immer an die Existenz des Teufels geglaubt. Daran, dass er in der Welt ist und Böses tut. Und wenn ich das jetzt sehe, dann weiß ich, dass ich recht hatte.“
Lange und Ta Quok wandten sich um und sahen sich einem groß gewachsenen, schlanken Mann Anfang vierzig gegenüber, mit dunklen Haaren und markantem Gesicht.
„Herr Staatsanwalt“, grüßten sie, fast wie aus einem Mund.
Unruhig zog Sven Wagner an einer Zigarette, deren Asche er in die linke Handfläche schnippte, um den Tatort nicht zu kontaminieren. Mit starrem Gesicht betrachtete er die Leiche. „Zwar handelt es sich dieses Mal um eine Frau, aber wir sind uns wohl einig, dass es sich um denselben Täter handelt.“
Lange nickte. „Auch ihr wurde die Kehle durchgeschnitten, auch ihr wurde ein Pentagramm in den Bauch geritzt.“
„Außerdem der gleiche Altar“, fügte Ta Quok hinzu. „Das gleiche auf dem Kopf stehende Kreuz …“
„Und der gleiche Hass“, vollendete Wagner, „soweit ich das verstehe. Oder auch nicht verstehe.“ Er zog wieder an seiner Zigarette und inhalierte tief.
Frau Dr. Strickner kam auf sie zu und blieb bei ihnen stehen. „Wohl bekomm’s, Herr Staatsanwalt“, bemerkte sie in seine Richtung. „Ich dachte, Sie hätten aufgehört zu rauchen.“ Dann drehte sie sich so, dass sie alle drei ansehen konnte. „Bisher gibt es nichts, was diesen Mord von den beiden vorherigen Morden unterscheidet. Sieht man davon ab, dass das erste Opfer ein Kind war, das zweite Opfer ein junger Mann und dass es nun eine junge Frau getroffen hat, ist der Mörder seinem Muster treu geblieben. Er scheint nach der Tat wieder in Richtung Wald gelaufen und später im Wittenroder See verschwunden zu sein. Wenn es so war, dann wird auch diese Spur in einer Sackgasse enden.“
„Diese Abgebrühtheit“, murmelte Wagner. „Das jagt mir einen echten Schrecken ein.“
Nächster Tag
9:34 Uhr
„Also gut“, begann Diplompsychologe Dr. Hans-Peter Machleid und blinzelte in die Runde. „Die größte Zielgruppe für ritualisierende Satanisten sind Frauen. Sie können es aber auch auf Kinder und – wie in unserem Fall – auf Männer abgesehen haben. Das Böse lässt sich nicht eindeutig heterosexuell festlegen.“ Da sich sein Gesicht bei der letzten Bemerkung keinen Millimeter verzog, war schwer abzuschätzen, ob sie in irgendeiner Form mit Ironie versehen war. „Die Opfer wurden vermutlich im Vorfeld beobachtet und verfolgt“, sprach er weiter. „Der Täter kannte ihre Gewohnheiten und wusste, dass es eine Gelegenheit geben würde, sie alleine zu erwischen. Der Tatort – ein Wald – ist in diesem Fall nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Im Gegenteil, es wurde ein abgelegener Ort benötigt, damit er sich mit den Opfern die nötige Zeit lassen konnte. Ich würde davon ausgehen, dass sich der Mann – und wir können uns mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit auf einen Mann als Täter festlegen – in der Gegend auskennt. Vermutlich lebt und wohnt er in Wittenrode – oder in der näheren Umgebung des Ortes – und beobachtet aufmerksam das Voranschreiten der Ermittlungen, wie Serientäter es häufig tun.“
„Was ist mit den Opfern?“, warf Ta Quok ein. „Wir konnten keine Verbindung zwischen ihnen feststellen. Ist das nicht ungewöhnlich? Ich meine, sie unterscheiden sich im Alter und im Geschlecht. Ein Kind, ein Mann, eine Frau. Sie kamen aus völlig unterschiedlichen Gegenden Deutschlands. Die einzige Gemeinsamkeit ist die, dass sie alle am Wittenroder See Urlaub machten.“
„Es gibt immer irgendetwas, was die Opfer eines Serienmörders miteinander verbindet“, antwortete Machleid. „Hier dürfte es der Ort sein, an dem sie ihm begegneten.“ Er sah in die Runde. „Der Mensch, mit dem wir es zu tun haben, meine Herren, ist getrieben von der Lust am Töten und ausgeprägter innerer Kälte. Er sieht seine Opfer nicht als Menschen, sondern als Vieh. Er genießt die Macht, über sie zu herrschen, über ihr Leben zu bestimmen, sie zu schlachten, wenn es ihm beliebt.“
Niemand sagte etwas. Fast schien es so, als würden alle den Atem anhalten.
„Was ihn antreibt“, erklärte Machleid weiter, „ist der Eindruck, den er hinterlassen will. Diese drei Verbrechen wurden sorgfältig inszeniert, um bei denjenigen, die sich das Szenario anschließend ansehen mussten, eine möglichst traumatische Wirkung auszulösen.“
„Das hat er geschafft“, murmelte Ta Quok.
„Gleichzeitig ist er ausgestattet mit überdurchschnittlicher Intelligenz und kühler Logik. Er ist voller Selbstvertrauen und scheint keine Angst zu haben. Vor allem, weil er sehr geordnet vorgeht. Um Ihnen das näher zu erklären: Im Allgemeinen lassen sich Tatorte in zwei Kategorien einordnen: geordnet oder chaotisch. In diesem Fall haben wir es mit einem geordnet vorgehenden Mörder zu tun, der die Taten plant und sich die Opfer sorgfältig aussucht. Das Fesseln mit Klebeband entspricht den Elementen der Kontrolle und der Planung.“
„Warum hat er die Opfer nicht missbraucht?“, schaltete Staatsanwalt Wagner sich ein. „Ich meine, geht es bei diesem Satanistenkram nicht eigentlich um Sex, Macht und Gewalt? Hier aber hat keinerlei sexuelle Penetration stattgefunden, bei keinem der Opfer. Es fand sich kein Sperma an den Tatorten, was bedeutet, dass der Täter auch nicht masturbiert hat, es sei denn in ein Kondom. Aber auch dieses Gefühl habe ich nicht.“
„Aller Wahrscheinlichkeit nach ist genau das Fehlen dieser sexuellen Handlungen der Schlüssel“, sagte Machleid. „Vielleicht wollte unser Mann, konnte aber nicht. Vielleicht wurde er unterbrochen.“
Ta Quok strich sich durch die kurzen, dunklen Haare. „Aber dass die Opfer nicht vergewaltigt wurden … könnte das nicht doch bedeuten, dass es sich bei dem Täter um eine Frau handelt?“
„Ich kann mir eine Frau als Täterin nur schwer vorstellen“, wandte der Psychologe sich an ihn. „Zum einen erforderte das Überwältigen der Opfer einen ziemlich großen Kraftaufwand und vor allem beim zweiten Opfer – Ronald Süß – dürfte es für eine Frau sehr schwer gewesen sein, ihn zu überwältigen. Zum anderen werden solch sadistische Verbrechen fast ausschließlich von Männern begangen. Weibliche Serientäter gibt es kaum, und wenn doch, sind es sogenannte ‚schwarze Witwen‘, die vorzugsweise mit Gift oder anderen heimtückischen Methoden arbeiten.“ Machleid wandte sich wieder an alle. „Begehen Sie nicht den Fehler, nach einem verrückten Einzelgänger zu suchen, meine Herren. Untersuchungen haben ergeben, dass rund die Hälfte dieser Männer verheiratet sind. Und fast alle haben Kinder.“
Stille stieg über den Köpfen auf und breitete sich im Raum aus.
So lange, bis Machleids Stimme erneut erklang: „Ich gehe davon aus, dass auch das nähere Umfeld unseres Täters nichts von seinem Hobby, dem Satanismus, weiß. Wahrscheinlich ist er der große Held in seinem Sportverein, ein liebevoller Vater und Ehemann. Er arbeitet vermutlich in einem Beruf, bei dem er mit anderen Menschen in Kontakt kommt, also ist er begabt im Umgang mit anderen. Möglicherweise hat er sich früher einmal asozial verhalten, aber das muss nicht unbedingt schwerwiegend genug gewesen sein, um aktenkundig geworden zu sein. Er besitzt ein gepflegtes Auto, ein schönes Haus. Alles schön sauber und ordentlich. Wenn Sie einen Durchsuchungsbefehl haben, dann achten Sie auf Gegenstände, die in Zusammenhang mit sexuell brutalem Verhalten stehen: Pornohefte, Videos. Er könnte seinen Opfern nicht nur die Kleidung, sondern auch andere persönliche Gegenstände entwendet haben. Suchen Sie auf jeden Fall nach Tagebüchern oder anderen Aufzeichnungen. Vielleicht enthalten sie Einzelheiten über die Opfer, über Fantasien, ja vielleicht sogar über die Verbrechen selbst.“ Machleid brach ab und holte tief Luft.
„Wird