Sie blickte über die hübsche Else von Stein hinweg ins Leere.
„Ich erwarte Sie in einer Stunde bei mir unten, um Ihr Gehalt in Empfang zu nehmen. Lassen Sie sich dann bei mir melden.“
„Jawohl, Durchlaucht!“
Else von Stein hatte gar keinen Versuch mehr gemacht, sich zu verteidigen. Sie verneigte sich vor der Fürstin, die jetzt das schmale Zimmer verliess.
Die beiden Mädchen sahen sich ein Weilchen stumm an, dann sang Else, mit einem Spitzbubenlächeln um den Mund, halblaut den Kehrreim eines alten Kuplets: „Siehst du wohl, siehst du wohl, das kommt davon!“
Aber gleich ward sie wieder ernst.
„Schade, Gretel, dass wir uns nun doch trennen müssen. Ich hätte gern noch ein Weilchen ausgehalten hier, deinetwegen.“
Margarete wurde traurig: „Ich muss eben sehen, wie ich allein fertig werde. Aber grässlich ist es mir, dass dich Grossmama so heruntergeputzt hat.“
Else von Stein schnippte mit den Fingern.
„Nicht soviel machte ich mir daraus, denn von ihrem Standpunkt hat sie recht, wenn ich ihren Standpunkt auch nicht verstehe. Mir tut es nur leid, dich verlassen zu müssen.“
Margarete fing plötzlich an zu weinen.
„Alle verlassen mich! Hans Westfal reist im Frühjahr als Ingenieur nach Indien für zwei Jahre, wer weiss, wie weit du mit deiner Tante herumkommst in der Welt, nur ich muss bleiben und in dem stumpfsinnigen Auf und Ab der Tage hier weiterleben. Es ist unerträglich.“
Die Aeltere legte zärtlich den Arm um die Schultern des erregten Mädchens
„Gretel, du darfst dich nicht in solche Verzweiflung hineinreden. Du bist doch noch sehr, sehr jung und hast also noch viel Zeit vor dir, die Welt kennen zu lernen. Wirst auch eines Tages hier herauskommen. Vorläufig hat das noch keine Eile. Sei vernünftig, Gretelchen, mach uns den Abschied nicht zu schwer. Und nun komm mit zur Post, ich will eine Depesche an meine Tante aufgeben und wenn wir zurück sind, muss ich bei der Fürstin antreten.“
Else von Stein hatte vorhin aufgehorcht. Im Frühjahr reiste Hans Westfal für zwei Jahre nach Indien? Das hatte die Prinzessin in ihrer Erregung mit herausgestossen, vorher hatte sie nichts davon erwähnt.
Sie dachte bei sich, dass es so gut war für Margarete. Die zwei Jahre würden doch wohl einen Keil zwischen die Freundschaft der Letzten aus dem Hause Wulffenberg und dem Sohn des Dorfschmiedes treiben. Wenn das nicht geschah, sah sie böse Stunden für Margarete voraus.
Am Nachmittag reiste Else von Stein schon. Sie fuhr vom Dorf aus mit dem Postauto bis zur Bahnstation.
Die Prinzessin schluchzte beim Abschied laut auf und viele Tage nachher noch trat sie der Fürstin mit verweinten Augen entgegen, denn sie weinte täglich, bis dann eines Nachmittags Ersatz für Fräulein von Stein ankam.
Margarete wurde von dem Mädchen zu der Fürstin gerufen und dort sass eine sehr dürre Dame mit grauem Haar, die ihr als Fräulein von Keller vorgestellt wurde, und die ihr eine untertänige Verbeugung machte, die einem Hofknix ähnelte
Feindselig musterte Margarete die „Neue“ und nahm sich vor, sie recht schlecht zu behandeln, denn diese allzu ergeben dreinblickende Dame gefiel ihr ganz und gar nicht.
Fräulein Antonie von Keller aber musste ein wahres Elefantenfell haben, stellte Margarete fest, denn sie nahm nichts übel und liess sich nicht wieder weggraulen.
Und immer war sie in ihrer Nähe. Sie konnte keinen Ausgang mehr allein unternehmen.
Schliesslich wurde ihr die Sache zu dumm.
Fräulein von Keller war mit ihr in den Park gegangen, obwohl Margarete deutlich genug erklärt hatte, sie wünsche, allein im Park spazieren zu gehen.
Sie machte vor einem blühenden Fliederbusch halt.
„Fräulein von Keller, ich sehne mich danach, ein bisschen ohne Ihre unerträgliche Gesellschaft zu sein, vielleicht befreien Sie mich jetzt für ein Weilchen davon.“
Sie war sich voll und ganz des schroffen Tones und der unfreundlichen Worte bewusst, aber auf Liebenswürdigkeit reagierte Antonie von Keller gar nicht.
Die Dame blieb in höflich ergebener Haltung vor ihr stehen.
„Ich folge nicht meinen eigenen Wünschen, Prinzessin, wenn ich Ihnen zuweilen aufdringlich erscheine, sondern tue meine Pflicht, wie sie Durchlaucht von mir fordert.“
Margarete biss sich auf die Lippen. Das sah der Grossmama ähnlich. Also nahm sie ihr durch die Aufpasserin das letzte bisschen Freiheit fort.
Sie durfte nichts gegen die Fürstin äussern, schweigend und schlecht gelaunt, wanderte sie weiter durch den Park. Neben ihr, mit der gewohnt ergebenen Miene, schritt Antonie von Keller.
„Prinzessin,“ begann Fräulein von Keller nach einem Weilchen, „es tut mir sehr leid, von Ihnen falsch beurteilt zu werden, ebenso wie Ihre Durchlaucht von Ihnen anscheinend falsch beurteilt wird. Die Fürstin muss doch vor allem darauf sehen, dass Sie in der Denkungsweise aufwachsen, wie sie für ein Mitglied Ihres hohen Hauses selbstverständlich ist. Das erfordert die Tradition. Sie sind die Letzte aus dem Hause Wulffenberg und alle Hoffnungen und Wünsche der Fürstin sammeln sich noch einmal um Ihre Person, Prinzessin. Sie stehen im Mittelpunkt dieser Hoffnungen und Wünsche. Sie sind noch jung, sind leicht empfänglich für fremde Einflüsse, dagegen will und muss Ihre Durchlaucht Sie schützen. Sie meint es gut mit Ihnen.“
Margarete ging stumm an der Seite der grauhaarigen Dame durch den sommerlichen Park, der gar nicht mehr gepflegt wurde und einer blühenden Wildnis glich.
Sie hörte wohl zu, aber die Worte fanden nur ihr Ohr, nicht ihr Herz.
Fräulein von Keller seufzte.
„Ich bin Ihnen unsympathisch, Prinzessin, und Ihnen wäre es am liebsten, wenn ich heute noch das Schloss verlassen würde, deutlich genug lassen Sie es mich ja merken.“ Sie schüttelte den Kopf. „Glauben Sie mir, Prinzessin, es ist ein sehr, sehr peinlicher Gedanke, trotzdem aushalten zu müssen.“
Margaretes Augen blitzten sie an.
„Dann gehen Sie doch! Weshalb wollen Sie denn dann durchaus hierbleiben? Nein, ich mag Sie nicht, mag Sie gar nicht! Und nun laufen Sie zu meiner Grossmama, verklatschen Sie mich und kündigen Sie Ihre Stellung.“
Beide waren wieder stehen geblieben.
Antonie von Keller hatte flackernde Röte auf den schon welken Wangen.
„Nein, Prinzessin, ich werde Sie weder verklatschen, noch meine Stellung kündigen, denn ich bin froh, ein Dach über dem Kopf zu haben und soviel Essen, dass ich satt werde. Höhere Wünsche habe ich nicht mehr, längst nicht mehr und ich hatte einmal so viele Wünsche.“
Sie wies auf eine Bank unter dichtem Holunderstrauch, dessen schwarze Beeren tief niederhingen.
„Wollen wir uns dorthin setzen, Prinzessin?“
Es klang sehr bittend.
Margarete dachte, es war ja gleich, ob sie herumspazierte oder sich setzte.
Sie nahm auf der alten Bank Platz.
Unfern standen zwei Göttinnen aus Sandstein, Efeu legte sich um ihre Glieder wie ein enges dunkelgrünes Gewand.
Fräulein von Keller lächelte mit schmerzlich tief niedergebogenen Mundwinkeln.
„Ich hatte einmal sehr viele Wünsche, als ich noch hübsch und jung war. Aber der Mann, den ich liebte, starb, ich musste mein Brot unter Fremden verdienen, ward überall herumgeschubst, bis ich, älter werdend, immer schwerer Unterschlupf fand. Wo aber soll eine alte Person, wie ich bin, noch hin? Heute herrscht die Jugend allüberall und unsereins