Die letzte aus dem Hause Wulfenberg. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711570241
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ruhig du zu mir wie sonst, wenn mich meine steife Würde langweilt.“

      Else von Stein nickte.

      „Ach, Gretel, eigentlich hätte ich nie so keck sein dürfen, wie du es gewünscht. Erwischt uns die Fürstin einmal bei den Vertraulichkeiten, dann fliege ich.“

      Die Prinzessin stimmte zu.

      „Das ist sicher, Else, aber wir nehmen uns ja in acht. Ich höre es so gern, wenn man zu mir ‚Gretel‘ sagt. Und jetzt muss ich in den Park. Hans Westfal will mir gratulieren. Um zwölf Uhr wird er kommen.“

      Else von Stein fuhr sich über das hellbraune, leicht gelockte Haar, das sich in Schneckenform über die Ohren legte.

      „Gretel, die heimlichen Zusammenkünfte mit dem Sohn des Dorfschmiedes müssen bald ein Ende nehmen. Ihr seid beide keine Kinder mehr. Du bist fünfzehn und er einundzwanzig. Ich bitte dich, das geht doch nicht.“

      Die Prinzessin lächelte ganz sanft.

      „Natürlich geht es. Ich habe dir doch erzählt, was Hans Westfal für ein Held ist. Er hat mich, als ich durchs Dorf spazierte, vor einem durchgehenden Pferd zurückgerissen. Ich war damals acht Jahre, er vierzehn, und er war auf Ferien hier vom Gymnasium. Jetzt hat er wieder Ferien, er ist doch nun auf der technischen Hochschule in Charlottenburg.“ Sie zog die feinen Brauen dicht zusammen. „Er ist riesig gescheit, und er sagt, er wird später mal ein ganz Grosser in seinem Fach werden. Ich glaube das auch bestimmt.“

      „Aber, Gretel, es gehört sich nicht, dass eine Prinzessin Wulffenberg sich immer heimlich mit dem Sohn des Dorfschmiedes trifft, wenn er auf Ferien heimkommt. Als ihr jünger waret, mochte es ja noch angehen, aber jetzt musst du damit aufhören, ihn im entlegenen Teil des Parkes zu empfangen.“

      „Liebe Else, ich begreife nicht, weshalb du mir die harmlose Freude vergällen willst. Ich habe Hans Westfal furchtbar gern, und wer weiss, wie oft ich ihn noch sehen kann. Denn wenn sein Studium abgeschlossen ist, will er ins Ausland, sich den Wind um die Nase wehen lassen, wie er sagt. Vielleicht kommt er dann überhaupt nicht mehr wieder, und heiraten wird er ja auch mal, dann ist’s doch vorbei mit unseren netten Plauderstündchen.“

      Else von Stein dachte gerührt, sie durfte dem kindlichen Geschöpf die Harmlosigkeit nicht nehmen. Margarete ahnte nicht, dass Hans Westfals einundzwanzig Jahre vielleicht Hoffnungen und Träume hegten, die ihm das Leben nicht erfüllen würde, denn Margarete Wulffenberg war zum grossen Teil ein Erziehungsprodukt der hochmütigsten, adelsstolzesten Frau, die sie kannte.

      Die Letzte aus dem Hause Wulffenberg würde niemals einem Unebenbürtigen die Hand zum Bund fürs Leben reichen.

      „Du warst vorhin lange bei der Fürstin, Gretel,“ sagte Else von Stein.

      Es klang ein wenig fragend.

      Die Jüngere nickte.

      „Grossmama besprach Familienangelegenheiten mit mir,“ erwiderte sie kurz.

      Else von Stein kannte den Ton, in dem eine leichte Mischung von dem Hochmut der Fürstin war.

      Sie lachte: „Nicht wahr, jetzt soll ich wieder ‚Prinzessin‘ und ‚Sie‘ sagen?“

      „Verzeihung, Else, ich würde dir gern erzählen, was Grossmama mit mir redete, aber ich besitze kein Recht dazu.“

      Else von Stein erwiderte ernst: „Du weisst, Gretel, ich bin nicht neugierig. Aber du solltest dich heute an deinem Geburtstag doch etwas eleganter anziehen.“

      Margarete lachte fast übermütig.

      „Wenn man dich so hört, könnte man meinen, mir ständen mehrere reichgefüllte Kleiderschränke zur Verfügung. Und ausser dem grauen Leinenkittel verfüge ich doch nur noch über ein rosa und ein weisses Waschkleid. Drei Kleider für den Sommer, zwei für den Winter, das ist mein Toilettenarsenal, das weisst du.“

      „Also entscheide dich für das weisse, ich stecke dir eine Rose an und dann siehst du festlich genug aus.“

      Die Jüngere nickte vergnügt.

      „Natürlich, was mir sonst noch an Glanz fehlt, ersetzt mein Titel.“

      Sie ging an den lackierten schmalen Schrank, entnahm ihm ein sehr schlicht gearbeitetes weisses Stickereikleid, das sie, den grauen Hänger abstreifend, überwarf.

      Else von Stein sah ihr dabei zu.

      „Früher hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sich eine leibhaftige, waschechte Prinzessin so ohne jede Hilfe anzuziehen versteht. Meine Urgrossmutter war Hofdame bei deiner Urgrossmutter, die aus russischem Fürstenhaus stammte. Meine selige Mutter erzählte mir noch von dem, was Urgrossmutter einst erzählte. Dass bei der Toilette der aus Russland gebürtigen Dame vier Zofen herumknicksen mussten und zwei Hofdamen.“

      Margarete reckte die überschlanke, fast knabenhafte Gestalt, zupfte das Kleid zurecht.

      „Wir Wulffenbergs sind arm, sehr arm, die russische Urgrossmutter soll sogar, weil sie so verschwenderisch gewesen, ein grosser Teil der Schuld treffen, dass wir so arm geworden sind.“

      Sie musste an das Krönlein aus dunklem Golde denken, und an die glitzernden Steine daran. Sie verstand nichts von Juwelen, aber sie mussten grossen Wert besitzen, denn die Grossmama hatte gesagt, sie repräsentierten ein anständiges Vermögen.

      Das Krönlein hatte noch kein Wulffenberg anzutasten gewagt, obwohl man dafür vielleicht so manches hätte anschaffen können, was den Wulffenbergs seit langem fehlte.

      Else von Stein entnahm einer kleinen Vase, die auf dem Geburtstagstisch stand, eine mattgelbe Rose, befestigte sie am Halsausschnitt des weissen Kleides.

      „Dein Haar müsste einmal unter die Hände eines geschickten Friseurs, der Barbier im Dorfe hat dich ganz verschandelt.“

      Margarete machte eine gleichgültige Miene.

      „Mir ist’s so schnuppe, wie ich aussehe, und Grossmama wird mich, was ich auch tue, immer hässlich finden. Als ich noch ganz klein war, hat sie mich manchmal verächtlich ‚Zigeunerbalg‘ genannt. Und eigentlich hat sie recht, denn ich bin zu dunkel und garstig. Alle Frauen unserer Familie sind blond oder gar goldblond gewesen, man kann sich ja davon in der Bibliothek, wo die Familienbilder hängen, überzeugen. Nur Mutter war dunkel, aber sie war doch sehr hübsch.“

      Else von Stein dachte, dass die letzte Wulffenberg wahrscheinlich auch einmal so sehr hübsch werden würde, wie ihre Mutter gewesen, aber sie schwieg, Margarete glaubte ihr das doch nicht.

      „Lernen brauche ich wohl heute nix,“ lächelte Margarete, „und nun ist’s auch Zeit, ich hörte es eben zwölf schlagen, Hans Westfal wartet.“

      Sie verliess, ohne sich noch um eine Erwiderung zu kümmern, das kleine Zimmer, huschte über eine in den Park führende Wendeltreppe, die sehr selten benützt wurde, und wanderte dann durch einen von Strauchwerk fast verwachsenen Weg bis zur Mauer, die den rückseitigen Teil des Parkes begrenzte.

      Ein niedriger, uralter Pavillon lehnte sich an die Mauer, eine Tür daneben führte direkt in den Wald, der noch zu Lebzeiten von Margaretes Vater Wulffenbergsches Eigentum gewesen, aber schon so stark verpfändet war, dass die Fürstin Alexandra ihn hatte abgeben müssen.

      Herrlicher dichter Buchenwald war es, der jenseits der Mauer begann.

      Nahe am Wald, nach rechts hinüber, lag der Dorffriedhof, unweit davon die Schmiede.

      Margarete öffnete mit einem grossen Schlüssel, der in einer kleinen natürlichen Mauernische gut versteckt lag, die alte Eisentür. Doch Hans Westfal war noch nicht da.

      Sie spähte aus.

      O, da von rechts kam eilig eine kraftvolle Jungmännergestalt, ein Taschentüchlein flatterte ihr grüssend entgegen.

      Margarete spürte ein Frohsein, dass sie dem Kommenden am liebsten laut entgegengejubelt hätte.

      Schon hatte er sie erreicht.

      Sie streckte ihm