Die letzte aus dem Hause Wulfenberg. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711570241
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Aeltere erhob sich von ihrem Stuhle, und nun standen sich die beiden, an Alter und Lebensverhältnissen so völlig verschiedenen Frauen gegenüber, blickten sich hilflos an.

      Plötzlich aber sanken sie sich in die Arme wie Mutter und Tochter, von gemeinsamer Not geeint.

      In Margaretes Kopf war schmerzende Ueberfülle und doch war nichts anderes darin, als die grause Botschaft: Hans Westfal war tot, war drüben weit über den Meeren, im Zauberlande Indien, auf das er sich so sehr gefreut, von einem eisernen Brückenträger erschlagen worden.

      Und die Tränen der beiden Frauen strömten zusammen, erpresst von dem grausamsten Weh.

      „Du hast ihn lieb gehabt, Kind, nun weiss ich es bestimmt,“ sagte Marie Westfal so leise, dass es nur wie ein Hauch an Margaretes Ohr glitt

      Fester presste sich das feine dunkelhaarige Köpfchen auf die Schulter der einfachen Frau und ebenso leise kam es zurück: „Ich habe es aber nicht gewusst, und nun werde ich immer traurig sein müssen, weil ich es ihm nie gesagt habe.“

      „Er hat dich geliebt, Kind, Hans hat dich sehr geliebt, aber er wusste, dass seine Wünsche vermessen waren, und du warest ja auch noch zu jung, viel zu jung.“

      „Mutter, ich habe ihn schon lieb gehabt als kleines Mädel, nur dass man das natürlich nicht richtig erfasst. Unsere Kinderfreundschaft barg schon die Liebe und ich ahnte nichts davon.“ Sie weinte laut auf.

      „Still, ganz still, du musst nach aussen hin damit fertig werden, denn du hast einen Gatten, hast ein Kind.“

      Margarete zuckte zusammen.

      Sie hatte ein Kind! Ja, der Anruf traf ihr Herz, der Hinweis auf den Gatten aber nicht.

      Erwin Rödnitz hatte sich bisher nicht im geringsten darum gekümmert, was sie für ihn empfand.

      Er war ein leichtsinniger Mensch, ein Spieler und Schuldenmacher und sie erinnerte sich an den Tag, da sie ihre sehr hübsche Zofe hatte entlassen müssen.

      Langsam lösten sich die beiden Frauen voneinander und die Aeltere sagte sanft: „Verzeihen Sie, Frau Prinzessin, in der Erregung überschritt ich die Schranken und nannte Sie ‚du‘.“

      Margarete blickte aus tränenverschleierten Augen die Andere an.

      „Das ist doch so gleichgültig, und nun wir wissen, wie ich zu Hans gestanden habe, sollten wir uns weiter du nennen.“

      Die kräftig gebaute, jetzt so müde und verfallen aussehende Frau, liess sich wieder in den Stuhl sinken.

      Margarete fiel auf die Knie vor ihr, barg ihr schmerzendes Haupt in ihren Schoss.

      „Mutter, du — es kann ja nicht sein, es ist ja nicht auszudenken.“

      Die Aeltere legte ihre Hände auf das weiche, glänzende Haar Margaretes.

      „Es ist nicht auszudenken und doch, wir werden uns fügen müssen. Niemand von den Meinen weiss es bis jetzt. Ich wollte die Zeitung lesen und da fand ich das Schreckliche. Und vor einer Woche kam noch so ein zufriedener, glücklicher Brief von ihn

      Margarete hob den Kopf, nahm das in ihrer Nähe liegende Blatt auf, das die Unglücksbotschaft enthielt.

      Und sie las noch einmal genau, was sie vorhin so unvorbereitet grausam getroffen.

      Es stand unter den kurzen Auslandsnotizen:

      „Aus Batavia kommt die Meldung, dass dort im Innern Javas der bei der deutschen Eisenbaufirma Mannholz beschäftigte junge deutsche Ingenieur Westfal von einem eisernen Brückenpfeiler erschlagen worden sei und sofort tot war.“

      Die Zeitung schob sich leicht hin und her in den bebenden Händen Margaretes.

      Marie Westfal drückte die Fäuste gegen die Schläfen.

      „Ich werde wahnsinnig,“ wimmerte sie vor sich hin.

      Margarete zog den Frauenkopf, in dessen glattgescheiteltem Blondhaar ein paar breite Silbersträhnen schimmerten, zu sich nieder.

      „Mutter, liebe Mutter, es ist entsetzlich, aber denke an deinen Mann und deinen anderen Sohn. Sie werden auch leiden, wenn sie das Furchtbare erfahren. Sei stark, Mutter, liebe Mutter. Und ich werde an meinen kleinen Jungen denken, wenn’s gar zu wehe tun will.“

      Sie erhob sich von den Knien.

      „Ich will gehen, ich habe kein Recht dazu, mein Leid vor anderen zu zeigen.“

      Marie Westfals Lippen zuckten.

      Du bist jung, mein Kind, die Zeit wird deinen Schmerz heilen, ich verwinde es niemals, das nicht.“

      Margarete neigte sich, küsste die Frau.

      „Liebe, liebe Mutter!“

      Sie schritt zur Tür, blickte sich von dort aus um.

      Frau Westfal sah ihr nach und ihre Züge bewegten sich wie in einem Krampf.

      Margarete öffnete die Tür. Auf dem Flur kam ihr der Schmiedemeister entgegen.

      Er starrte sie an, weil ihr, ohne dass sie es wusste, noch immer die Tränen über die Wangen liefen.

      Er grüsste sie, sie erwiderte den Gruss nicht, wies nur auf die Tür: „Helfen Sie Ihrer Frau, sie hat eine böse Nachricht über Hans erhalten.“

      Sie eilte an dem bestürzten Manne vorbei, rief über die Schulter zurück: „Hans ist tot!“

      Dann stürmte sie davon.

      Noch mehr Jammer mochte sie nicht mitansehen. Ihr war ja schon zumute, als zerschnitte ihr eine rohe, grausame Hand das Herz im Leibe in viele kleine Stücke, die nun bluteten und zuckten und die rohe, grausame Hand fand kein Ende des entsetzlichen Spiels.

      Sie ging dann wieder am Waldessaume dahin, aber ihr war es, als seien alle Farben in der Natur inzwischen matt und trübe geworden. Sie schlich förmlich und sie fürchtete sich davor, im Schlosse über irgendwelche gleichgültigen Dinge mit ihrem Mann oder Fräulein von Keller sprechen zu müssen.

      O, was hätte sie dafür gegeben, wenn sie wenigstens einen einzigen Tag für sich allein gehabt hätte, einen einzigen Tag für ihren Schmerz.

      Als sie den Park betreten, rastete ihr Fuss und dann hastete Margarete mehr gefühlsmässig als überlegt auf den Pavillon zu, blickte sich scheu um, ob sich auch zufällig niemand in der Nähe befand, der beobachten konnte, wohin sie ging.

      Sie stand gleich darauf im Pavillon, eine dicke Staubschicht lag über den wenigen Möbeln darin, aber die Prinzessin bemerkte es gar nicht. Sie setzte sich auf das alte Sofa, dessen Ueberzug noch brüchiger geworden, und schaute zu dem Bilde des Buckligen auf, der Zeuge ihrer Zusammenkünfte mit Hans gewesen.

      Er lächelte verhalten und überlegen mit seinem spöttisch traurigen Narrenmunde auf die schmale Prinzessin nieder, die sich in die Ecke des staubigen Sofas drückte, wie ein verirrtes, schutzsuchendes Kind.

      Und Margarete schaute zu dem Bilde auf, und aus allen Winkeln des Raumes lösten sich Erinnerungen gleich feinen Spinnweben und schwebten auf sie zu.

      Immer schmerzlicher ward sich Margarete bewusst, dass sie Hans Westfal von ganzem Herzen geliebt hatte. Aber der Ahnenstolz und Hochmut der Grossmutter hatte ihr Empfinden so einzuzwängen verstanden, dass sie nicht darauf gekommen, dass sie Hans Westfal geliebt hatte.

      Nun wusste sie es mit einer grausamen und trotz allem Schmerz doch beseligenden Gewissheit, sie beide waren vom Schicksal für einander bestimmt gewesen.

      Sie barg ihr Antlitz in den Händen.

      Zu spät, viel zu spät begriff sie Hans Westfals Liebe und die ihre.

      Aber nur nicht mehr weinen. Sie wollte keine Frage, keinen Blick nach dem Grund der Tränenspuren auf ihrem Antlitz forschen lassen.

      In allen Lebenslagen nach aussen hin Haltung bewahren! das war das Leitmotiv gewesen, das Fürstin Alexandra hochmütiges Gesicht stets so undurchdringlich gemacht

      Margarete