Leichen bluten nicht - Roland Benito-Krimi 6. Inger Gammelgaard Madsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inger Gammelgaard Madsen
Издательство: Bookwire
Серия: Roland Benito
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711668580
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Maja einen Freund?«

      »Ja, aber der war’s nicht, falls Sie das glauben.«

      »Wie können Sie sich da so sicher sein?« Er warf ihr ein kleines, aufmunterndes Lächeln zu, das nicht erwidert wurde.

      »Der wohnt in Kopenhagen.«

      »Okay. Und da war er auch gestern Abend und heute Nacht?«

      »Ja, er war übers Wochenende bei Maja, ist aber am Sonntagabend heimgefahren. Jetzt ist er wieder auf dem Weg hierher. Ich hab’ ihm heute Morgen sofort eine SMS geschickt, als …«

      Eine eingehende Nachricht ließ ihr Handy piepsen, das sie umklammerte wie eine Rettungsboje; der unentbehrliche Kontakt zu den Freunden und der Welt. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Ding mit dem silberschimmernden Apple-Logo gerichtet, ein ultimatives Statussymbol.

      »Wissen Sie, ob Maja gestern Abend mit jemandem ausgegangen ist?«

      »Ist sie nicht. Wir waren gestern Nachmittag zusammen beim Spinning und da hat sie gesagt, dass sie sich einen ruhigen Abend machen und früh ins Bett gehen wollte. Wir hatten auch ein etwas wildes Wochenende.«

      »Inwiefern wild?«, fragte Roland und hörte selbst, wie naiv das klang.

      »Halt in der Stadt und so.«

      Jetzt klingelte Rolands Telefon. Es war Niels, der wissen wollte, was er aus dem Mädchen herausbekommen hatte. Roland erklärte ihm, dass er auf Isabella warten müsse. In Majas Wohnung hatten sie keine Anzeichen für einen Einbruch oder Kampf gefunden, alles war in bester Ordnung und es sah nicht aus, als hätte sie Besuch gehabt. Aber das Schlafzimmer fanden sie etwas verwüstet vor, mit einem umgestürzten Nachttisch und einer zerbrochenen Lampe. Sowohl auf dem Boden als auch auf der Bettwäsche war Blut. Die Kriminaltechniker nahmen Proben, es handelte sich um Majas Blut. Roland bedankte sich für die Informationen und konzentrierte sich wieder auf Nanette.

      »Hat sich Maja mit jemandem in der Stadt getroffen?«

      Nanette schaute ihn beinahe beleidigt an.

      »Nein, natürlich nicht. Sie ist verrückt nach Carsten, außerdem war der doch mit.«

      Das klang fast, als wäre es etwas ganz anderes gewesen, wenn ihr Freund nicht dabei gewesen wäre.

      »Wo haben Sie sie gefunden?«

      »Im Bett. Sie hat nicht aufgemacht und ist nicht ans Handy gegangen. Ich hab’ einen Wohnungsschlüssel. Sie hat auch einen für meine, wenn wir uns mal ausschließen oder so, damit wir … als ich ’reingekommen bin war sie nicht da, und ich hab’ nach ihr gerufen. Aber dann, im Schlafzimmer …« Sie drückte zwei Finger gegen die Stirn und schloss die Augen fest, als ob sie so das Bild, das sie heraufbeschwört hatte, wieder verschwinden lassen könnte.

      Roland gab ihr einen Moment, um sich zu sammeln.

      »Sie sagen also, die Tür war abgeschlossen?«

      Nanette nickte.

      »Konnten Sie mit ihr reden?«

      »Nein, ich dachte, sie wär’ tot. Ich hab’ sofort einen Krankenwagen gerufen.«

      Plötzlich schaute sie zur Tür herüber. Er folgte ihrem Blick und stand sofort auf, als er Isabella mit der gleichen blonden Haarfarbe wie Nanette entdeckte. Man hätte sie fast für Schwestern halten können. Roland stellte sie einander vor.

      »Ich unterhalte mich noch ein bisschen mit Nanette, während du mit Maja redest.« An Nanette gewandt fügte er hinzu: »Dann werden wir den, der das hier getan hat, bestimmt finden.« Ihre großen, braunen Augen waren voller Tränen. Mehrere ungeklärte schwere Vergewaltigungen in Aarhus – das würde einen Skandal geben. Das würde dem Bürgermeister garantiert nicht gefallen.

      4

      Pia hatte vollständig das Kommando übernommen. So hatte Andreas sie sehr gut in Erinnerung – herrschsüchtig und dominant. Er überlegte, wie wohl ihre Zusammenarbeit mit ihrem Vater gewesen war. Johan Spang tolerierte die Mitbestimmung der Frauen nicht. Wie es seine Mutter trotz allem so lange mit ihm ausgehalten hatte, begriff er nicht. Es hatte der Mann zu sein, der sowohl die Finanzen als auch die Arbeit steuert. Vielleicht war Pia ihm untertänig gewesen und revanchierte sich jetzt, indem sie ihren neuen Chef von Anfang an auf seinen Platz verwies. Der kleine Bruder, den sie immer hatte knechten können. Aber die unglückliche Frau auf dem Stuhl ihnen gegenüber sah diese Seite von ihr nicht. Er musste zugeben, dass Pia ihren Job verstand. Sie sprach beruhigend und verständnisvoll, zeigte Entwürfe für Anzeigen und Blumendekoration für die Kirche und schlug vor, die Beisetzung könne in der Kirche in Vejlby stattfinden. Die Frau nickte bloß, nahm ihre Brille ab und trocknete sich die Augen mit einem weißen, mit Spitzen besetzten Baumwolltaschentuch, das sie aus der Tasche gefischt hatte. Es war, als ob ihr erst jetzt aufging, dass sie ihren Mann nach 40 Jahren für immer verloren hatte, und Andreas fühlte einen starken Druck in der Brust, als er die Trauer so deutlich in ihrem Gesicht sah. Er schämte sich innerlich dafür, nicht die gleichen Gefühle gehabt zu haben, als sein Vater starb. Er hatte nicht eine einzige Träne vergossen, als er die Nachricht von seinem plötzlichen Tod erhalten hatte. Nun, wo er diese echte Trauer sah, überkam ihn der Drang zu weinen, obwohl er den Verstorbenen überhaupt nicht gekannt hatte. Eignete er sich für diesen Job, wenn es ihm so ging? Würde das mit der Zeit nachlassen?

      Sie waren zu der Präsentation der Särge gekommen, als Pia in ihren Ausführungen abrupt unterbrochen wurde. Eine Frau in einem geblümten Sommerkleid trat plötzlich durch die Tür. Ihr Gesicht war vor Wut und Verzweiflung verzerrt. Anklagend deutete sie auf Pia.

      »Wo ist er?«, schrie sie mit einer Stimme, die nicht klang, als ob sie von einem so schmächtigen Menschen käme.

      Pia erwiderte ihren Blick ruhig und schien sie plötzlich wiederzuerkennen. »Was meinen Sie, Frau Iversen?« Schnell stand sie auf, führte die aufgewühlte Frau in den Vorraum und schloss die Tür hinter sich. Andreas war auf einmal mit der Kundin alleine und hatte keine Ahnung, was er sagen sollte oder was da vor sich ging. Die Frau schaute ihn nervös an, ganz offensichtlich interessierte sie das auch.

      »Sollen wir uns jetzt die Särge ansehen?«, fragte er und öffnete den Katalog mit Bildern und Preisen des Sortiments. Er deutete auf einen ganz gewöhnlichen weißlackierten.

      »Ja, der ist gut«, sagte die Frau, ohne das Bild richtig anzusehen und benutzte wieder das durchnässte Taschentuch. Sie schielte zu der geschlossenen Tür, durch die die lautstarke Stimme der Fremden drang, ohne dass sie jedoch verstehen konnten, was sie sagte. Er entdeckte jetzt auf der Preisliste, dass er auf den billigsten Sarg gedeutet hatte, aber das passte sicher gut zum Status der Witwe. Sie sah nicht wie jemand mit viel Geld aus.

      Hinter der Tür wurde es still. Kurz darauf kam Pia zurück und lächelte entschuldigend.

      »Bitte entschuldigen Sie die Störung. Es hat sich als Missverständnis herausgestellt.« Sie setzte sich. »Wir sind sicher bei den Särgen angekommen, nicht?«

      »Ich habe den ausgewählt, den ihr Kollege mir empfohlen hat«, sagte die Frau heiser. Ihre Augen hatten einen neugierigen Schimmer angenommen, und hätte die Trauer nicht gerade jetzt alles in ihrer Welt überschattet, hätte sie ganz sicher um eine Erklärung für die sonderbare Unterbrechung gebeten.

      »Welcher ist das?«, fragte Pia lächelnd.

      Andreas deutete auf die Abbildung und sie warf ihm sofort einen scharfen Blick zu.

      »Den würde ich jetzt nicht gerade empfehlen, Frau Kjeldsen. Er ist von nicht so hoher Qualität wie zum Beispiel dieser hier.« Sie drehte den Katalog zu der Kundin um und zeigte ihr einen Sarg aus hellem Birkenholz. »Der soll doch auch präsentabel aussehen, wenn er in der Kirche steht, nicht? Das sind Sie Ihrem Mann doch wohl schuldig?«

      Die Witwe nickte passiv und sank wieder traurig in sich zusammen.

      »Okay, dann nehmen wir stattdessen die Variante aus Birkenholz«, korrigierte Pia mit einem tadelnden Blick in Andreas‘ Richtung. Der kostete fast siebentausend Kronen. Andreas wurde schlecht und er trank von dem kalten Kaffee in seiner