»Ich habe Tanjas Kamera mitgenommen. Darauf waren mehrere Digitalfotos, die sie erst vor kurzer Zeit gemacht hat, ich bin die meisten durchgegangen.« Isabella nahm wieder einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas. Auf ihrer Oberlippe hatten sich kleine Schweißperlen gebildet, wie Tau auf einer Pfirsichhaut.
»Gut, Isabella. Können die uns einen Eindruck davon vermitteln, wie Tanja so war, was sie gemacht hat?«
»Sie war ein bisschen unterwegs und es sind auch Fotos von einigen Personen dabei, mit denen wir nicht gesprochen haben.«
»Die müssen wir ausfindig machen.«
Isabella nickte. »Ich bin dabei. Aber ich will euch gerne etwas zeigen, das vielleicht wichtig ist. Ich glaube, Tanja wurde überwacht.«
»Wieso glaubst du das?«
»Kommt mit.« Isabella stand auf und ging ins Vorzimmer, wo sie einen größeren und besseren Bildschirm als Rolands hatte. Sie weckte den Computer aus seinem Ruhezustand, rief die Bilder von der Speicherkarte der Kamera auf, die in dem Kartenschlitz steckte und klickte auf eine Serie Fotos, die in einem Park oder Wald aufgenommen worden waren. Zuerst hatte Tanja Bilder von ein paar Kindern auf einem Spielplatz und einigen Hunden gemacht, die im Wasser spielten. Es sah aus, als ob es am Meer war. Roland wischte sich den Schweiß von der Stirn und beneidete sie. Die nächsten Bilder waren Nahaufnahmen verschiedener Blätter und Blumen. Eine weiße Blume mit einem Schmetterling auf dem Kronblatt, eine gelbe mit einer Biene. Roland räusperte sich hörbar. Das waren zwar hübsche Fotos, aber sie hatten keine Zeit, hier herumzustehen und sie zu bewundern.
»Was wolltest du uns zeigen, Isabella?«, fragte er ungeduldig.
Tanja ging nun einen dicht bewachsenen Waldrand entlang. Einer der Wälder, die wild wuchern durften, vermutete er. Sie hatte den Fokus auf eine besondere Baumrinde gerichtet. Die Rinde war gestochen scharf, während die Blätter im Hintergrund dunkel und verschwommen waren. Das Mädchen hatte zweifelsohne Ahnung von Fototechnik gehabt.
»Das hier«, sagte Isabella und deutete auf ein Bild, ohne den Bildschirm zu berühren, während sie zu ihm aufsah. »Und das hier.«
»Was, Rinde?«
»Ich glaube, das ist eine Art Pilz«, murmelte Kim hinter Roland und zupfte sich mit einer professoralen Miene an einem imaginären Spitzbart. Isabella schaute wütend zu ihm hoch.
»Mann, natürlich nicht die Rinde. Versucht doch mal, das hinter dem Baumstamm zwischen den Zweigen und Blättern zu erkennen. Im Dunkeln. Könnt ihr das nicht sehen?« Sie deutete wieder auf den Bildschirm.
Roland beugte sich näher an den Bildschirm heran.
»Und hier auf dem nächsten Bild und dem übernächsten, aber dann ist es weg. Kannst du sie nicht sehen, Roland? Die Augen?«
Er kniff seine ein wenig zusammen und jetzt konnte er etwas erkennen. Etwas, das in der Dunkelheit zwischen den Blättern schimmerte. Eine dunkle Silhouette in dem verschwommenen Hintergrund trat deutlicher hervor.
»Ich kann versuchen, das ein bisschen aufzuhellen.« Isabella benutzte die Maus, um die Helligkeit zu regulieren.
Roland richtete sich verblüfft auf. Jetzt war es ganz deutlich. Dort stand eine Person und lauerte zwischen den Bäumen, fast unmöglich zu sehen, verborgen zwischen den Blättern in der Dunkelheit, aber als Isabella das Bild aufhellte, war es zweifelsfrei zu erkennen. Das, was aufleuchtete, war ein Augenpaar.
»Kann das nicht bloß ein Spaziergänger sein?«, schlug Kim vor.
»Zwischen den dichten Bäumen da? Das ist doch eine höchst ungewöhnliche Stelle, um dort spazieren zu gehen. In der Regel folgen die Leute in Parks den Wegen.«
Roland gab ihr Recht. Die Person war dort zwischen den Bäumen fehl am Platz.
»Ja, wir müssen herausfinden, wo diese Bilder gemacht wurden.«
»Ich glaube, Tanja wurde überwacht«, wiederholte Isabella. »Vielleicht über längere Zeit und Maja vielleicht auch. Der Täter kannte ihre Gewohnheiten und Routinen. Deswegen konnte er in ihr Zuhause eindringen, zum richtigen Zeitpunkt, wenn sie nicht da waren.«
Roland nickte langsamen bestätigend. »Und Tanja hatte ihn mit im Fokus, sicher ohne es zu wissen.«
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