Marcel Hirscher. Alex Hofstetter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alex Hofstetter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783903183803
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      In der Saison 2007/08 ist Marcel im Europacup nicht aufzuhalten. Er fährt vor allem im Slalom außergewöhnlich und holt sich Platz eins in der Gesamt- sowie in der Slalom-Wertung.

       Mikes Tagebuch-Eintrag, 2. Dezember 2007

      Heute hatte ich das Vergnügen, im Rahmen der Europacup-Slaloms in Åre/Schweden Marcel erstmals persönlich kennenzulernen. Ich bin mit Reinfried Herbst und Manfred Pranger hier, weil es sinnvoll ist, Rennrhythmus aufzubauen. Marcel hat hier riesige Probleme im flachen Gelände. Deshalb fragte er mich nach Rat und wir analysierten in unserem gemütlichen Häuschen im Ortsteil Byget beim Videoschauen seine Läufe. Die Chemie zwischen uns passte sofort.

      Mit starken Europacup-Ergebnissen in der Tasche, ist Marcel schon im Laufe der Saison schnell ein Thema für weitere Weltcup-Einsätze. Österreichs Cheftrainer Toni Giger lässt ihn im Dezember 2007 im Weltcup-Slalom in Bad Kleinkirchheim fahren – Platz 24 mit Startnummer 66, trotz schwerem Fehler. Eigentlich sollte sich Marcel über seine ersten Weltcup-Punkte freuen, doch er ist stattdessen sauer wegen seines Fehlers: Er wollte in die Top-Ten fahren.

      Die teaminterne Kritik, wieso der „junge Hirscher“ den Vorzug vor manchem Routinier erhalten hat, ist schnell im Keim erstickt. Giger setzt weiter auf den aufstrebenden Jungstar. Wie sieht eigentlich Papa Ferdl mit etwas Abstand die Integration von Marcel und ihm selbst in die „erste Liga“ des Verbands? Verlief sie wirklich reibungslos? „Naja, dass es reibungslos funktioniert hat, wäre eine Lüge. Da gab’s schon einige Konfrontationen mit gewissen Trainern. Aber eines muss ich ganz klar sagen: Toni Giger hat uns immer, wirklich immer die Stange gehalten!“

      Danach pendelt Marcel zwischen Europacup (erster Sieg im Slalom in St. Vigilio/Italien am 14. Dezember) und Weltcup und absolviert ein wahres Monsterprogramm. Höhepunkt ist ein erstes Top-Ten-Ergebnis im Weltcup: Rang neun im Adelboden-Slalom mit Startnummer 48. Der Aufstieg geht in rasendem Tempo weiter: Doppel-Gold bei der Junioren-WM Ende Februar in Formigal/Spanien in Slalom und Riesentorlauf, erster Weltcup-Podestplatz mit Rang drei im Slalom von Kranjska Gora am 9. März. Marcel steht daraufhin erstmals so richtig im Fokus der Journalisten, die allesamt die Geschichte vom Burschen von der Stuhlalm hören wollen, der gerade auszieht, um die Ski-Welt zu erobern. Beim Weltcup-Finale in Bormio, bei dem Teamkollege Reini Herbst den Slalom-Sieg holt, fährt Marcel als Dritter neuerlich aufs Stockerl.

      Reinfried Herbst

      „Schüchtern, aber sauschnell!“

      Zimmereinteilung fürs Weltcup-Finale 2008 in Bormio: Der junge, aufstrebende Marcel Hirscher teilt sich das Doppelzimmer mit Reinfried Herbst. Reini ist einer der Hauptprotagonisten des aktuellen österreichischen Slalom-Wunderteams, das zwei Jahre davor bei Olympia 2006 in Sestriere einen legendären Dreifachsieg (Benni Raich vor Reinfried Herbst und Rainer Schönfelder) landete. „Marcel war total schüchtern und zurückhaltend und wollte ja keinen Blödsinn bauen“, erinnert sich Herbst. Wenige Stunden später gewinnt Reini den Slalom, Marcel fährt auf Platz drei – beide auf Blizzard! „Eine Sternstunde für Blizzard! Kaum jemand außer mir fuhr im Weltcup diesen Ski. Und plötzlich stehen zwei Blizzard-Leute beim Weltcup-Finale auf dem Podest.“ Wegen derselben Skimarke, insbesondere aber auch wegen Reinis stets offener und herzlicher Art wird er zu einer ersten wichtigen Bezugsperson für Marcel bei den „Großen“. „Vor allem bei den Europacup-Rennen war Papa Ferdl nicht immer dabei. Da suchte Marcel oft meinen Rat.“ Für Herbst ist es Ehrensache, einem jungen Kollegen unter die Arme zu greifen. „Ich hab niemals in meiner Karriere irgendwelche Materialerkenntnisse vor Teamkollegen verheimlicht. Konkurrenz kannte ich nur vom Starthaus bis zur Ziellinie, da wollte ich schneller als der andere sein. Manche sagen, dass ich dumm war und dadurch viele Siege verschenkt habe. Aber das ist einfach meine Art, so bin ich.“ Dabei ist natürlich schon früh offensichtlich, dass Marcel eine ernste „Gefahr“ für die Stars ist und auf der Überholspur nicht aufzuhalten sein wird. „Wir wussten, dass der Hund auf einem eigenen Level ist, dass wir uns festhalten können. Ihm fehlte nur noch die Konstanz.“ Die ja sehr schnell kommen sollte.

      Das Verhältnis zwischen Marcel und Reini bleibt stets gut und respektvoll. Die einzige Negativsituation nach Reinis Ansicht entsteht im Vorfeld und rund um die Heim-WM 2013. „Marcel hat sein Team, seine spezielle Betreuung, voll und ganz verdient. Aber es ging in manchen Phasen auf Kosten von uns ‚Alten‘. Wir hatten teilweise nicht einmal mehr einen Trainer, weil sich alle um Marcel kümmerten. Wir blieben gemäß unserem Gefühl auf der Strecke“, erzählt Herbst. Doch er betont: „Diese Kritik war aber niemals gegen Marcel, sondern gegen den ÖSV gerichtet!“

      Herbst bezeichnet sich selbst als „Beißer“. Er zeigte in seiner aktiven Karriere (mit neun Weltcup-Siegen und dem Slalom-Weltcup-Triumph 2010) oft ein großes Kämpferherz. Was allerdings Marcel im Laufe seiner Karriere an Akribie und Willen zeigte, war auch für Herbst eine neue, eigene Liga. „Dieser Fokus, dieses unermüdliche Kämpfen für den Erfolg – Marcel hat wirklich ausnahmslos alles dem Skifahren und dem Erfolg untergeordnet. Ich war ein Beißer, aber diese Hartnäckigkeit über so viele Jahre hätte ich niemals geschafft.“

      Alexander Fröis

      „Jung, zurückhaltend, völlig unbekannt, viele Pickel im Gesicht. Und immer den Papa dabei. So hab ich den Marcel 2005 kennengelernt“, erinnert sich Alexander Fröis lachend ans Kennenlernen. Der Vorarlberger ist Marcels erster Physiotherapeut. Er begleitet ihn quasi – mit einigen kurzen Unterbrechungen – durch seine gesamte Karriere. Bei Fröisi liegen in dieser Zeit die Stars wie Mario Matt oder Reini Herbst auf der Massagebank. „Und dann kommt da so ein Jungspund, so ein Schnösel daher, was will denn der gegen die ganzen Monstergeräte?“ Spätestens nach den ersten gemeinsamen Trainingskursen und Monaten ist aber wirklich allen klar, dass genau dieser „Jungspund und Schnösel“ ein noch größeres Monstergerät als alle anderen werden könnte.

      Fröisi kennt Marcel also, seit dieser noch ein absoluter Nobody war. „Dadurch bestand auch nie die Gefahr, dass ich ein ‚Fan‘ von ihm sein könnte. Ich wusste von Anfang an, wie ich ihn hernehmen musste, beruflich und privat. Ich konnte es mir auch erlauben, ihm ordentlich meine Meinung zu sagen. Dass er sich mit einer Flasche Wein entschuldigen soll, wenn er mal bei der teaminternen Kritik über die Stränge schlug. Oder dass er nicht so viel jammern soll zum Beispiel. Ich konnte mit ihm so reden, wie man halt mit einem guten Freund redet.“

      mit seinem Langzeit-Physio Alexander Fröis

      Die Arbeit mit Marcel ist intensiv, auch zeitintensiv. „Auf die Uhr brauchst du da nicht schauen. Das sind keine Acht-Stunden-Tage. Das ist ein Rund-um-die-Uhr-Job.“ Fröisi ist auch beim Aufwärmen im Startbereich und dann im Starthaus an Marcels Seite. „Früher hat sich das Aufwärmen der Skifahrer auf ein paarmal Beineschwingen beschränkt. Mit Marcel haben wir den gesamten Skisport revolutioniert, viel athletischer gemacht. Therabänder, Liegestütze, Rumpfübungen. Das alles hatte es bis dahin im Startbereich nicht gegeben. Zuerst wurden wir belächelt, dann haben’s alle anderen auch gemacht.“ Fröisi ist es auch, der kurz vor dem Start die letzten Funksprüche der Trainer an Marcel weitergibt. „Viele Trainer geben den gesamten Funkverkehr von zehn Positionen an ihre Athleten weiter. Damit sie danach sagen können: ‚Ich hab’s dir ja eh gesagt.‘ Aber in Wahrheit musst du für den Athleten aus dieser Flut an Infos jene herausfiltern, die für ihn und seinen Fahrstil am relevantesten sind.“ Da ist es natürlich ein entscheidender Vorteil, wenn man sich jahrelang kennt.

      Fröisi sagt, dass Marcel im Training und Rennen fast die physikalischen Gesetze verschiebt. Durch seine Größe hat er Hebel und kann Schräglagen fahren, die für die anderen quasi unvorstellbar sind. Was ihn aber von allen anderen ganz besonders abhebt, ist seine mentale Stärke. „Ich bin wirklich keiner, der als Bewunderer von Marcel gelten will. Aber die Stärke in seinem Schädel ist unvorstellbar. Milchsäure, Laktat, schießt ihm während des Rennens ein. Aber er hört nicht auf, er hört einfach nicht auf, würde