Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Agnes Sapper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027208784
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werde ich dir auch ganz überlassen; aber bisher mußte ich schon Einhalt tun, Lisette hätte nie genug bekommen für Berta. Weil ich nun von Mädchenkleidern nichts verstehe, habe ich es ein für alle Male so gehalten, daß ich an Weihnachten und an ihrem Geburtstag all ihre Wünsche erfüllt habe und damit Punktum fürs ganze Jahr.«

      »Dann mag es freilich im Frühjahr und Sommer manchmal knapp ausgesehen haben. Ich meine, wir müssen ihr dringend eine Jacke kaufen.«

      »Die Zeiten sind gottlob vorbei, in denen ich mich darum kümmern mußte,« sagte der Direktor. »Du weißt, was nötig ist. Sieh zu, daß Berta so einfach wird wie du und wie auch ihre Mutter war.«

      Berta wunderte sich sehr, als die Mutter schon nach ein paar Minuten wieder ins Zimmer kam und sagte: »Ich will dich nach der Schule abholen, und dann kaufen wir zusammen eine Jacke.« Nie war so etwas bei ihrem Vater vorgekommen.

      Als Berta um vier Uhr aus ihrem Klassenzimmer kam, stand die Mutter in eifrigem Gespräch bei der Vorsteherin, die nun, als Berta herzutrat, freundlich zu ihr sagte: »Ich glaube, du wirst nun bald wieder einen bessern Platz erobern, als du im letzten Jahre inne hattest; solch gute Nachhilfe, wie du sie jetzt bekommen wirst, macht sich immer fühlbar!«

      Sehr höflich geleitete die Vorsteherin die Frau Direktor bis unter die Haustüre, und allmählich zerstreuten sich auch die Mitschülerinnen, die neugierig auf die neue Mutter gesehen hatten. »Berta,« sprach jetzt die Mutter, »die Vorsteherin hat mir gesagt, du seist in den letzten zwei Jahren ziemlich zurückgekommen. Sie meinte, du seist leichtsinnig geworden. Ich habe dich aber verteidigt und gesagt, du seist nicht leichtsinnig, aber es habe dir an der Nachhilfe und Aufsicht der Mutter gefehlt, die andern Kindern zuteil wird. Sie freute sich, als sie hörte, daß ich viel im Ausland war und Kinder gelehrt habe, und meinte, im Französischen fehle es dir am meisten. Französisch und Englisch ist mir so geläufig wie Deutsch, und wenn du willst, kann ich dir versprechen, daß du in einem Jahr auch Französisch sprechen kannst. Ich habe sehr nette französische Jugendschriften und Spiele; wenn wir diese eifrig benützen und jede Woche zwei Tage ausmachen, an welchen wir nur Französisch reden, so ist dir’s in einem Jahr geläufig. Aber nur wenn du selbst willst!«

      »Freilich, freilich will ich,« rief Berta voll Eifer.

      »Aber du solltest noch eine Freundin dabei haben, es ist viel netter bei den Spielen; weißt du nicht ein liebes, fleißiges Mädchen? Es darf aber weder Luise noch Lore sein!«

      »Kennst du denn diese schon?« fragte Berta ganz erstaunt.

      »O ja, die kenne ich ganz genau, obwohl mir nur der Vater und die Vorsteherin ein paar Worte über sie gesagt haben. Das sind zudringliche Mädchen, die viel öfter kommen als man sie will und mit denen du gemeinsam gearbeitet hast; oder offen gestanden, die dich abschreiben ließen. Die hast du gewiß nicht wirklich lieb.«

      »Nicht so lieb wie Helene Flink, die kam oft mit ihrer Mama, als meine Mama noch lebte, und Papa hat sie auch gern.«

      »Gut, deren Mutter werde ich besuchen und dann machen wir ein französisches Kränzchen aus, willst du?« Wie gerne wollte Berta! Solche Geselligkeit war ihr etwas ganz neues.

      Inzwischen waren sie an dem Laden angekommen, in dem die Jacke gekauft werden sollte. Da gab es eine große Auswahl, von den einfachsten bis zu den feinsten.

      »Diese würde dir passen, gefällt sie dir?« fragte die Mutter.

      »Ja, sehr gut.«

      »Aber hier haben wir etwas ganz Elegantes, das würde dem Fräulein noch viel besser stehen,« sagte der Ladendiener und zeigte ein reich verziertes Jäckchen.

      »Ja, das ist die schönste von allen,« sagte ruhig die Mutter und leise fügte sie hinzu: »Hat deine Mama immer das Schönste gewählt oder war sie für das Einfache?«

      »Für das Einfache,« sagte Berta und legte die schöne Jacke beiseite. »Aber das wäre doch etwas viel Vornehmeres,« drängte der Verkäufer. »Ich will sie nicht, ich will die andere,« entschied Berta bestimmt, und mehr als die schönste Jacke freute es sie, daß die Mutter ihr offenbar befriedigt zunickte.

      An diesem Abend hatten die Eltern noch vielerlei zu ordnen und Berta half dabei. »Hier sind die Schlüssel zum Schreibtisch,« sprach nun der Vater, »dieser kleine schließt die kleinen Fächer auf.« Berta erinnerte sich, in welchem Unmut sie damals den Schreibtisch geleert hatte; gut, daß die Mutter dies nicht wußte. Inzwischen hatte der Vater das oberste Fächlein aufgeschlossen und siehe, es war voll von Kleinigkeiten, die Berta gehörten. »Was ist das, Berta,« rief der Vater, und eine böse Falte zog sich auf seiner Stirne zusammen, »sind diese Sachen von dir?«

      »Ja,« antwortete Berta, »ich habe ganz vergessen, sie herauszunehmen.«

      »Vergessen? das ist nicht wahr!«

      »Doch, Vater, ich habe es gewiß nur vergessen!«

      »Das kann doch wohl sein,« warf die Mutter begütigend dazwischen.

      »Nein, das kann nicht sein, denn ich habe ihr damals bestimmt den Auftrag gegeben, sofort auszuräumen, und was dabei gesprochen wurde, haben wir beide auch nicht vergessen.«

      Berta errötete tief. Hastig griff sie nach den Dingen, die in der kleinen Schublade waren, um sie herauszunehmen. Der Vater zog die große Schublade auf – sie war leer; ebenso waren die andern alle ausgeräumt, nur die einzige war vergessen, an die der Vater unglücklicherweise gerade zuerst gekommen war.

      »Ach so,« sagte der Direktor, »das ist etwas anderes, da habe ich dir Unrecht getan, ich war der Meinung, du hättest gar nichts ausgeräumt;« und als er sah, wie Berta mit den Tränen kämpfte, fügte er freundlich hinzu: »Es war ja nur ein Mißverständnis.« Aber für Berta war es mehr; die Mutter hatte sicher erraten, daß sie widerwillig den Platz für sie geräumt hatte, und es war Berta, als wären nun all die lieblosen Gedanken aufgedeckt, die sie früher gehegt hatte. Sie fing so bitterlich zu weinen an, daß die Eltern wohl merkten, es müsse seinen besonderen Grund haben.

      »Ich kann mir denken, warum es dir so schwer ums Herz ist,« sagte die Mutter, »es tut dir weh, alle deine Sachen ausräumen zu müssen. Es war wohl dein Lieblingsplätzchen?«

      »Ja,« sagte der Vater, »seit ihrer Mutter Tod hat sie sich den Schreibtisch angeeignet und diese Schlüssel zu sich genommen; aber es versteht sich von selbst, daß sie dies alles nun abgibt; nicht wahr, Berta, du möchtest es nicht anders haben?«

      »Nein, nein,« rief sie, aber sie war so erregt, daß sie ihr Schluchzen nicht unterdrücken konnte. »Ich sehe, wie schwer es ihr wird,« sprach die Mutter, »und ich will ihr gern den Schreibtisch abtreten. Lege deine Sachen nur wieder herein und nimm den Schlüssel zu dir.« Der Vater wollte Einsprache erheben, aber die Mutter ließ sich nicht überreden. »Ich will nur, was man mir freiwillig und gerne gibt, es ist mir viel lieber so. Hier Berta, nimm deine Schlüssel.« Ungerne folgte Berta, so machte ihr der Besitz des Schreibtisches keine Freude mehr.

      Beim Abendessen war keine so heitere Stimmung wie am Morgen beim Frühstück. Der Vater war ärgerlich über den Verdruß, den es wegen des Tagebuchs und wegen des Schreibtisches gegeben hatte; die Mutter sah, daß Berta nicht wieder fröhlich war wie vorher, und konnte es sich nicht erklären. Sie wußte ja nicht, daß Berta mit sich selbst kämpfte, ihre Schüchternheit zu überwinden und der Mutter alles zu gestehen, was ihr auf dem Herzen lag.

      »Käme die Mutter nur wieder zu mir ans Bett, dann könnte ich alles sagen,« dachte Berta, »aber sie kommt nicht; sie ist auch am Hochzeitsabend nur gekommen, weil mein Haar offen war.« Unwillkürlich griff Berta nach ihrem Zopf: er war fest geflochten. »Ich mache ihn auf, dann kommt sie vielleicht, um ihn wieder zu flechten,« und sie löste das Zopfband; sie hoffte, daß es im Lauf des Abends von selbst aufgehen würde, wie oft war das schon geschehen, wenn sie es nicht gewollt hatte! Der Zopf wollte sich aber heute gar nicht lösen und als es bald Zeit für sie war, zu Bett zu gehen, mußte sie noch einmal heimlich nachhelfen, um ihre Haare zu lockern. »Dein Haar ist ja ganz offen,« sagte nun die Mutter, »wie kommt das nur, der Zopf war doch heute abend noch ganz schön?«

      Berta