Sie wandte sich ab und sah hinüber zu Roman, der geduldig auf sie wartete.
»Fahren wir!« Sie lächelte ihm zu und legte all ihre Liebe in dieses Lächeln. Sie hatte diesem Mann viel zu verdanken. Nicht weniger als ihre Zukunft.
*
Sprühend vor Energie und randvoll mit immer neuen Ideen kam es selten vor, dass Tatjana auf ihren Freund wartete. Wie so oft stand sie auch an diesem Abend in der Küche und sprühte Tupfen von Lachscreme auf Blätterteigkreise. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, und sie konnte es kaum erwarten, bis sich der Schlüssel im Schloss drehte. Als es endlich so weit war, ließ sie alles stehen und liegen und flog ihrem Liebsten förmlich entgegen.
»Einen wunderschönen guten Abend, Herr Dr. Norden. Bitte legen Sie ab. Die Hausschuhe sind vorgewärmt und das Stuhlkissen aufgeschüttelt. In zehn Minuten steht das Essen auf dem Tisch. Nehmen Sie Platz und fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.«
Wie vom Donner gerührt stand Danny im Flur und musterte Tatjana aus schmalen Augen.
»Was ist passiert?«, fragte er argwöhnisch. »Willst du mich verlassen? Hast du ein neues Geschäft gekauft? Dich in ein Affenbaby verliebt, das du unbedingt adoptieren möchtest?«, zählte er die Möglichkeiten auf, die ihm spontan einfielen.
»Nein. Nein. Und nein«, beantwortete Tatjana die Fragen wahrheitsgemäß. »Ich bin einfach nur nett zu dir.«
»Das ist es ja, was mich so irritiert.«
Tatjana stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn belustigt an.
»Also gut. Ich will tatsächlich etwas von dir.«
Danny verdrehte die Augen gen Himmel.
»Ich habe es geahnt. Bitte lass Gnade walten. Mein erster Tag als Chef war schlimm genug.«
»Oh!« Damit hatte Tatjana nicht gerechnet. »Trotz meiner Überraschung?«
An die Prinzregententorte erinnert, huschte ein Leuchten über Dannys Gesicht.
»Die hat mir das Leben gerettet.«
Tatjana lachte.
»Ich wusste ja, dass meine Torten magisch sind. Aber dass sie Leben retten können … Alle Achtung.« Sie legte die Arme um Dannys Hals. »Das musst du mir genauer erklären.« Im nächsten Moment stutzte sie. Schnuppernd hob sie die Nase. »Ist es möglich, dass du sie erst vorhin bekommen hast?« Wenn es um Süßigkeiten ging, war Tatjana wie ein Spürhund. Der feine Duft nach Buttercreme und Schokolade entging ihr nicht. »Sag bloß, deine Damen haben dich so lange schmoren lassen?«
»Sagen wir so: Wir haben uns gegenseitig auf die Folter gespannt.« Wenn Danny die Ereignisse des Tages Revue passieren ließ, musste er wohl oder übel lachen. »Aber das ist eine lange Geschichte.« Er beugte sich über Tatjana und küsste sie.
»Kein Problem«, raunte sie an seinen Lippen. »Ich habe Zeit.«
»Und ich Hunger.«
»Aber du hast doch eben erst Torte gegessen!«, reklamierte Tatjana.
»Hunger auf dich!«, stellte Danny richtig und verschloss ihren Mund mit einem Kuss, der jeden möglichen Widerspruch im Keim erstickte.
*
Auch wenn Sarina Staller nicht mehr Danny Nordens Patientin war, machte er sich dennoch am nächsten Morgen vor der Sprechstunde auf den Weg in die Klinik, um nach ihr zu sehen.
»Wenn Matthias etwas dagegen hat, werde ich ihn das Fürchten lehren.« Tatjanas Liebe hatte Dannys Selbstbewusstsein wieder gestärkt. Kampflustig marschierte er durch die Klinik.
Wie es der Zufall wollte, war auch Matthias Weigand unterwegs zu seiner Patientin. Vor ihrer Tür trafen die beiden Ärzte aufeinander.
»Guten Morgen!«, grüßte Danny seinen vermeintlichen Konkurrenten betont freundlich. »Du hast hoffentlich nicht die ganze Nacht Wache hier geschoben, um mir den Zutritt zum Zimmer zu verwehren.« Seine Augen blitzten gefährlich.
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Matthias Weigand überraschend friedfertig. »Es gibt da etwas, was du wissen solltest.«
»Ach ja?« Danny musterte den Mann, der eigentlich sein Freund war, argwöhnisch.
»Nach einem Sturz aus dem Bett mussten wir Sarina gestern Abend operieren. Dein Vater hat versucht, dich vorher noch zu erreichen. Leider vergeblich.«
»Ihr wart das …«
»Ja, wir waren das.« Matthias lächelte, und Danny legte den Kopf schief.
»Sieh mal einer an! Dann war deine sensationelle Methode also doch ein Schuss in den Ofen.« Diese Häme konnte er sich beim besten Willen nicht verkneifen. »Wenn du gleich operiert hättest, könnte sich Sarina jetzt auf die Reha vorbereiten.«
»Oder gesund sein, wenn der Unfall nicht gewesen wäre«, stellte Matthias richtig. »Die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt.« Dannys Tonfall störte ihn. »Warum bist du eigentlich immer noch so sauer auf mich?« Er hielt ihm die Hand hin. »Ich denke, wir sind quitt.«
Danny zögerte kurz. Dann schlug er ein. Im nächsten Moment lagen sich die beiden Freunde in den Armen.
»Tut mir leid, dass ich so ein Hornochse war. Normalerweise bin ich gar nicht so empfindlich. Tatjana schimpft immer, ich hätte so viel Gefühl wie ein tiefgekühlter Kaktus«, entschuldigte sich Danny. »Das war nicht sehr professionell von mir.«
Matthias lachte.
»Charmante Freundin«, erwiderte er, ehe er wieder ernst wurde. »Und ich hätte ein bisschen sensibler vorgehen können. Dein Dad, ich meine, mein Chef hat schon recht. Kommunikation heißt das Zauberwort. Aber wir sind ja noch jung und arbeiten daran. Und jetzt komm! Lass uns zu Sarina gehen. Ich bin gespannt, wie sie sich heute Morgen fühlt.«
Die beiden Ärzte betraten hintereinander das Krankenzimmer. Zu ihrer großen Verwunderung empfing Sarina sie mit rot verquollenen Augen und Leichenbittermiene.
»Du liebe Zeit, geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigte sich Matthias erschrocken. »Haben Sie Schmerzen?«
Sarina zog einen Schmollmund und deutete auf ihr Herz.
»Ja, da!«
Die beiden Ärzte atmeten erleichtert auf.
»Ist es wegen Ihres Freundes?«, fragte Matthias mitfühlend.
Sie nickte.
»Jannis hat mich verlassen. Ausgerechnet in der schwersten Zeit meines Lebens.« Wieder quollen Tränen aus ihren Augen.
Matthias setzte sich auf die Bettkante, zog ein Taschentuch aus der Spenderbox am Nachttisch und betupfte ihre Wangen. Danny stand vor dem Bett und sah ihm sichtlich belustigt dabei zu. Es war ein offenes Geheimnis, dass sein Freund schon seit geraumer Zeit auf Freiersfüßen wandelte. Und Sarina Staller war ohne Zweifel ein hübsches Mädchen.
»Sie sollten lieber froh sein, dass sie ihn endlich los sind«, erklärte Matthias denn auch. »Dieser Mensch hat Ihnen nicht gutgetan, und Streit und Eifersucht sind das Letzte, was Sie im Augenblick brauchen.«
Langsam versiegten die Tränen, und Sarina schickte ihm einen dankbaren Blick.
»Ich weiß auch nicht, warum ich ihm nicht vertrauen konnte. Normalerweise bin ich gar nicht eifersüchtig«, erzählte sie ihm bereitwillig.
Matthias Weigand wiegte den Kopf.
»Wahrscheinlich hat er Ihnen das Gefühl gegeben, nicht vertrauenswürdig zu sein. Ob zu Recht oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Manche Menschen passen einfach nicht zusammen. Dann sollte man es lassen und nach einem geeigneteren Exemplar Ausschau halten, statt sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.«
Seine