»Schön, dass Sie sich auch mal nützlich machen«, schickte Lammers ihm nach.
Matthias antwortete nicht darauf.
*
»Du möchtest mehr über mich erfahren? Also gut. Ich bin 1,85 groß, 89 Kilogramm schwer und bestehe zu mehr als 50 Prozent aus Wasser. Ich habe mit meinen 35 Jahren das erste Lebensviertel mehr oder weniger erfolgreich hinter mich gebracht und verfüge über ein Hirn und einen Körper, den ich als Arbeitsgerät verwende.« Renate Schober stand vor dem Computer ihrer Freundin und blickte auf die geöffnete Seite des Dating-Portals. »Das ist ja mal eine nette Antwort«, bemerkte sie lächelnd. »Und gutaussehend ist er auch noch. Zumindest das, was man erkennen kann. Wann trefft ihr euch?« Sie drehte sich um und hielt Ausschau nach Marita.
Das Chaos in der kleinen Wohnung war unbeschreiblich. Das nahm nicht wunder, denn Marita Wonnegut bekam eine neue Küche. Dementsprechend sah es in den übrigen Zimmern aus. Überall stapelten sich Kisten und Schachteln mit Küchenutensilien. Töpfe und Pfannen, die keinen Platz mehr gefunden hatten, standen genauso auf dem Esstisch wie die Lebensmittel des täglichen Bedarfs. Auf dem Balkon diente ein kleiner Campingkocher als Übergangsherd.
Dort machte sich Marita gerade zu schaffen.
»Oh, keine Ahnung. So weit sind wir noch nicht«, rief sie. An ihrer Stimme erkannte Renate, dass ihr die Frage peinlich war.
Sie trat an die Balkontür und musterte Marita, die in Arbeitskleidern am Gasherd stand und in einem Topf rührte.
»Was ist los? Du verheimlichst mir doch irgendwas!«
Marita stellte die Gasflamme aus und verteilte Nudeln aus dem Topf auf zwei Teller. Damit gesellte sie sich zu Renate. Die beiden Frauen suchten sich in all dem Durcheinander einen Platz.
»Guten Appetit«, wünschte Marita und schob eine Gabel Spaghetti mit Tomatensauce in den Mund.
»Ebenfalls. Und jetzt raus mit der Sprache«, verlangte Renate. »Was ist los? Ist der Kerl verheiratet? Oder siebenfacher Vater?« Die Frage war nicht ganz ernst gemeint.
»Nein! Laut seinem Profil ist er Single, hat studiert, ist weder ein Muttersöhnchen noch nimmt er Drogen. Zumindest behauptet er das.«
»Kling wie ein echter Glücksgriff«, freute sich Renate ehrlich für ihre Freundin. Doch ein Rest Skepsis blieb. »Wo ist der Haken?«
Marita wischte sich mit einer Serviette die Tomatensauce vom Mund und trank einen Schluck Schorle.
»Der Haken bin ich«, gestand sie endlich mit schiefem Lächeln.
»Das verstehe ich nicht.«
»Er hat keine Ahnung, dass ich älter bin als er«, gestand sie schließlich.
»Wie kann das sein? Du hast doch bestimmt ein Foto ins Internet gestellt.« Ein aberwitziger Gedanke kam Renate in den Sinn, und sie schnappte nach Luft. »Sag bloß, du hast gelogen.«
Marita schwankte zwischen Verzweiflung und Belustigung. Sie warf das krause Haar in den Nacken, dass die selbstgebastelten Ohrringe nur so klimperten.
»Ich habe mich doch nur für meinen neuen Artikel in diesem Portal angemeldet. Wir wollten beweisen, dass es Männern, die im Internet nach einer Partnerin suchen, entweder nur um das Eine geht, oder sie aber irgendeinen Makel haben, der ihnen die Partnersuche im richtigen Leben schwer macht.«
Ungläubig schüttelte Renate den Kopf.
»Was für ein ausgemachter Unsinn! Wie seid ihr denn auf diesen Blödsinn gekommen?«
Mit jedem Wort ihrer Freundin sank Marita ein Stück mehr in sich zusammen. Verlegen zupfte sie an einem Faden ihres selbstgestrickten Pullovers.
»Das ist auf Elviras Mist gewachsen. Und du kennst sie ja. Wenn sich Frau Chefredakteurin etwas in den Kopf gesetzt hat, dann wird das gemacht. Oder man fliegt.«
»Meiner Ansicht nach wäre das die bessere Wahl gewesen.« Renate wickelte Nudeln auf ihre Gabel und steckte sie in den Mund. Eine Weile herrschte Schweigen.
Marita war dankbar dafür. Sie wusste, dass ihre Freundin recht hatte. Und konnte es doch nicht ändern.
»Was soll ich denn machen? Im Augenblick bin ich auf diesen Job angewiesen.«
»Papperlapapp. Wenn du ein bisschen mutiger wärst, könntest du schon längst als selbstständige Journalistin arbeiten. Deine Reisereportagen sind genial. Das weißt du genau.«
»Mag sein. Jedenfalls habe ich jetzt dieses Problem an der Backe.« Marita warf einen bedeutungsvollen Blick hinüber zum Computer, von dem ihr Matthias’ Konterfei entgegenlachte. Es war ein Urlaubsfoto mit Bart und Sonnenbrille. Seine Gesichtszüge waren nur zu erahnen. »Das Schlimme ist, dass mir wirklich gefällt, was er schreibt«, seufzte sie sehnsüchtig. »Es ist so lange her, dass ich einen netten Mann kennengelernt habe.«
»Was hält dich ab?« Renates Augen blitzten abenteuerlustig.
»Das uralte Foto, das ich ins Netz gestellt habe. Und meine Alterslüge.« Marita schob die letzte Gabel in den Mund und stellte den Teller mangels irgendeiner anderen Möglichkeit auf einen Farbeimer. Dann stand sie auf. Höchste Zeit, die Pause zu beenden. Und vor allen Dingen das Thema zu wechseln. »Kommst du?« Sie sah erwartungsvoll auf Renate hinab. »Da sind noch ein paar schwere Kisten in der Küche. Die müssen raus, bevor die Handwerker morgen kommen.«
»Schade, dass wir keine starken Männer haben«, seufzte Renate ein paar Minuten später und bückte sich.
»Selbst ist die Frau!«, erwiderte Marita kämpferisch. »Auf drei. Eins, zwei … Auaaaaaaa!« Mit einem Schrei ging sie in die Knie.
Renate erschrak so sehr, dass sie die Kiste fallen ließ. Mit Getöse landete sie wieder auf dem Boden. Doch darauf achtete sie im Augenblick nicht. Ihre einzige Sorge galt ihrer Freundin, die auf dem Boden kniete und sich vor Schmerzen krümmte.
»Was ist? Wo tut es weh?«
»Die Schulter, das Miststück«, stöhnte Marita.
Renate wusste, dass ihre Freundin im Normalfall hart im Nehmen war. Deshalb dachte sie blitzschnell nach.
»Heute ist Sonntag, da hat kein Arzt offen. Ich bringe dich in die Klinik«, erklärte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
*
Matthias Weigand hatte den Vorraum des Operationssaals kaum verlassen, als Alexa Quadt auf ihn zustürzte. Danny Norden war noch immer bei ihr und sah ihr mit gerunzelter Stirn nach.
»Wie sieht es aus, Herr Doktor?«, fragte Alexa atemlos. »Ich halte diese Warterei nicht mehr aus.«
Über ihre Schulter hinweg schickte Dr. Weigand seinem Freund und Kollegen einen vielsagenden Blick. Es tat ihm in die Seele hinein weh, keine guten Nachrichten für die besorgte Mutter zu haben.
»Ich habe eben Nachricht von Medtransplant bekommen. Leider gibt es keine geeignete Spenderleber für Leo.«
Alexa erstarrte. Das Blut wich ihr aus den Wangen.
»Und … und was machen wir jetzt?« Ihre Stimme überschlug sich. »Ich meine, wir müssen doch irgendwas tun.«
»Im Augenblick ist er an die Leberdialyse angeschlossen. Aber das geht natürlich nur zur Überbrückung, bis wir ein geeignetes Spenderorgan gefunden haben.« Matthias dachte kurz nach. Dann fasste er Alexa behutsam am Ellbogen und führte sie in sein Büro. Danny folgte den beiden.
»Bitte setzen Sie sich!«, forderte der Notarzt die Mutter auf.
Zögernd folgte sie seiner Bitte. Ihr Blick klebte an ihm.
»Es gibt noch eine Möglichkeit«, begann Matthias zögernd. »Dazu brauchen wir Ihre Hilfe.«
Danny wusste sofort, worauf er hinauswollte. Alexas Blick klebte an dem Notarzt.
»Ich tue alles, was Sie