»Das war die Rache für die Torte«, erwiderte er und konnte schon wieder frech grinsen. »Aber ich finde, jetzt haben wir genug geredet. Wo ist denn nun meine Überraschung?«
»Na, hier!« Mit großer Geste wollte Janine die Küchentür öffnen, als ein Handy klingelte.
Wendy verdrehte die Augen.
»Nicht schon wieder!«, stöhnte sie, als Danny Norden das Mobiltelefon aus der Tasche zog und es kurzerhand – ohne einen Blick auf das Display zu werfen – ausschaltete. Es wurde Zeit, dass dieser ärgerliche Tag eine erfreuliche Wendung nahm. Und was war besser dazu geeignet als ein Stück Prinzregententorte von seiner Freundin Tatjana im Kreise seiner Wahlfamilie zu genießen?
*
»Er geht nicht ran.« Unverrichteter Dinge legte Daniel Norden den Hörer auf die Gabel des Wandapparats. Er gesellte sich zu Matthias Weigand, der am Waschbecken stand und sich die Hände einseifte.
»Dann müssen wir ohne seinen Segen operieren«, bemerkte Matthias. »Aber es ist ja genau das, was er von Anfang an wollte. Er wird zufrieden sein mit uns.« Ein Hauch von Ironie schwang in seiner Stimme mit.
Die überhörte Daniel geflissentlich und griff nach der Seife. Sarina Staller lag schon im OP und wurde auf den Eingriff vorbereitet. Das abrupte Aufstehen war nicht ohne Folge geblieben.
»Jetzt ist die Situation wesentlich kritischer. Wir müssen uns beeilen. Je länger die Bandscheibe auf die Nervenwurzel drückt, umso größer wird die Gefahr einer dauerhaften Lähmung.« Er stellte den Wasserhahn ab und nahm eines der Handtücher vom Stapel.
Eine Schwester stand schon bereit, um ihm in die Handschuhe zu helfen. Danach verknotete sie den Mundschutz in seinem Nacken. Es konnte losgehen.
»Bist du bereit?«, fragte er Weigand.
»Auf in den Kampf, Torero!« Mit einer gekonnten Drehung tänzelte Matthias durch die Tür in den Operationssaal. Daniel folgte ihm. Die gekräuselte Haut um seine Augen verriet, dass er lächelte. Er mochte den meist gut gelaunten, aber doch gewissenhaften Kollgen, der immer für einen Spaß zu haben war. Sogar dann, wenn er unter enormem Druck stand. Vielleicht war das das Geheimnis seines Erfolgs.
Sarina lag in tiefem Narkoseschlaf auf dem Bauch, der Eingriff konnte beginnen.
»Skalpell!«, verlangte Dr. Weigand. Die Schwester reichte es ihm. Er arbeitete hochkonzentriert. Mit ruhiger Hand setzte er den Schnitt. »Tupfer.«
Die Assistenzärztin Dr. Neubeck stand ihm gegenüber und unterstützte ihn.
Daniel beobachtete das Geschehen.
»Wie sieht’s aus?«
Matthias hatte den besseren Blick auf das Operationsfeld.
»Schlimm. Genauso, wie ich nach dem Sturz befürchtet habe. Die Bandscheibe ist ein Geröllfeld. Aber ich komme gut ran.« Er beugte sich ein wenig tiefer. »Schere!«, verlangte er von der Operationsschwester.
Daniel sah hinüber zum Anästhesisten.
»Wie geht es ihr?«
»Alles unter Kontrolle«, erwiderte Dr. Klaiber. Die Geräte in seinem Rücken piepten. »Wie lange braucht ihr ungefähr?«
»Das haben wir bald. Bitte das Licht ausrichten.« Weigands nächste Bemerkung galt Schwester Gisela, die seinen Wunsch sofort erfüllte. »Achten Sie auf die Haken!«, ermahnte er Dr. Neubeck. »Gut, so bleiben.«
»Wie stark blutet er?«, fragte Arnold Klaiber in die konzentrierte Stille hinein. »Brauchen wir Konserven?«
»Bis jetzt sind es etwa 200 Milliliter«, erteilte Daniel die gewünschte Auskunft. »Alles im grünen Bereich.«
»Spülung!« Schwester Gisela reichte Matthias eine große Spritze mit steriler Lösung.
Schon eine Viertelstunde später war alles vorbei.
»Sehr gute Arbeit!«, lobte Daniel Norden seinen Mitarbeiter.
»Danke.« Wieder einmal standen sie nebeneinander am Waschbecken. Doch trotz seines Erfolgs wirkte Matthias bedrückt.
Daniel sah ihn von der Seite an.
»Was ist los? Ist es wegen des Streits mit Danny?«
Matthias machte gar nicht erst den Versuch zu leugnen.
»Es ist eigentlich nicht meine Art, einem Freund in den Rücken zu fallen.«
»Davon kann doch überhaupt keine Rede sein«, versicherte Dr. Norden mit Nachdruck. »Ihr hattet eine Meinungsverschiedenheit. Das kommt in den besten Familien vor.«
»Mag sein!« Seufzend stellte Matthias den Wasserhahn ab und trocknete die Hände. »Aber ich fürchte, ich kann mich erst freuen, wenn die Sache aus der Welt geschaffen ist.«
»Dazu habt ihr beide jetzt alle Zeit der Welt.« Lächelnd klopfte Daniel ihm auf die Schulter.
Sein erster Arbeitstag als Klinikchef war vorüber. Er war anstrengender, aufregender und überraschender gewesen, als er sich das hätte träumen lassen. Doch schon jetzt freute er sich auf die Herausforderungen des kommenden Tages. Ein gutes Zeichen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und auf dem richtigen Weg zu sein.
*
Es war schon spät, als auch Jenny Behnischs Tag endlich ein Ende hatte. Ein letztes Mal wanderte sie in ihrer Eigenschaft als Klinikchefin durch die Flure. Um diese Uhrzeit war Ruhe eingekehrt. Nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Alles war still. Eine Flut von Erinnerungen überfiel sie. Bilder aus längst vergangenen Zeiten huschten an ihrem inneren Auge vorbei. Sie erinnerte sich genau an den Tag, als sie die Klinik zum ersten Mal betreten hatte. Im Rückblick erschien sie sich selbst wie ein anderer Mensch.
»Wir sind gemeinsam gewachsen und haben uns entwickelt«, murmelte sie, als spräche sie zu einem Menschen. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl, als ob die Wände Ohren hätten. Auf magische Art und Weise fühlte sie sich verstanden. »Etwas von mir bleibt bei dir«, erinnerte sie sich an das Abschiedslied ihrer Kollegen. »Welch weise Worte. Ich muss Daniel unbedingt fragen, wer das ausgesucht hat.« Jenny war an der Eingangstür angelangt. Um diese Uhrzeit waren die Schiebetüren verschlossen. Sie verabschiedete sich vom Nachtportier und trat durch die kleine Seitentür hinaus in die frische Nachtluft.
Dort wurde sie schon sehnsüchtig erwartet.
»Da bist du ja!« Roman trat aus dem Schatten der Wand auf sie zu. Er legte die Arme um sie. Sein prüfender Blick ruhte auf ihrem Gesicht. »Ist der Abschied sehr schwer gefallen?«
»Zwischendurch schon«, gab sie zu. »Aber am Ende haben es mir zwei ganz besondere Kollegen doch überraschend leicht gemacht.«
Roman nickte verstehend.
»Bist du damit einverstanden, wenn wir ein andermal darüber reden?«
Jenny lachte leise und ließ sich bereitwillig wegführen.
»Natürlich. Wir haben ja jetzt alle Zeit der Welt.« Ohne es zu wissen, benutzte sie die gleichen Worte wie zuvor ihr Freund und Nachfolger Dr. Daniel Norden.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, erwiderte Roman vergnügt. Arm in Arm wanderten sie durch die Dunkelheit in Richtung Wagen. »Neue Ufer warten schon auf uns. Die Flüge nach Tunesien sind gebucht.«
»Ach, ich freue mich auf die neuen Herausforderungen«, seufzte Jenny. »Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal nach Afrika zurückkehren würde, zu meinen Anfängen als Ärztin.« Sie schickte ihm einen zärtlichen Seitenblick. »Das macht mich sehr glücklich.«
Roman drückte sie an sich, sagte er aber nichts. Kurz darauf erreichten sie den Wagen. Er ließ die Schlösser aufschnappen. Gleichzeitig bemerkte er, dass Jenny mit sich haderte.
»Nicht umdrehen!«, warnte er sie.
Sie