Erschrocken verneinte Felicitas. Es war nicht ihre Absicht gewesen, ihren charmanten Tischherrn vor den Kopf zu stoßen. Den ganzen Abend dachte sie schon darüber nach, wie sie mit dem Verdacht ihres Mannes umgehen sollte, und sie hatte keine Lösung gefunden. Bis jetzt.
»Es tut mir leid. Ich bin eine schlechte Schauspielerin.« Alkohol und Verlegenheit waren für ihre zartrosa Wangen verantwortlich, die ihr den Anschein eines verlegenen jungen Mädchens gaben. Nicht zum ersten Mal seit ihrer Begegnung bedauerte Adrian, dass sie vergeben war. Der Blick, mit dem sie ihn musterte, ließ sein Herz schneller schlagen. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
»Alles, was Sie wollen«, erwiderte er heiser.
Fee drehte ihr Glas in den Händen.
»Fanden Sie die Idee mit dem Gesundheitszentrum eigentlich genauso gut wie ich?«
»Wie bitte?« Adrian musterte sie so verwirrt, dass sie augenblicklich von seiner Unschuld überzeugt war.
Ein Stein fiel ihr vom Herzen, und zum ersten Mal seit einer Stunde war ihr Lächeln wieder echt.
»Das Gesundheitszentrum, in das die Behnisch-Klinik integriert werden sollte. Ich finde, dass das eine großartige Chance für uns alle gewesen wäre.« Die Lüge kam ihr leicht über die Lippen.
»Ehrlich gesagt habe ich immer noch keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«
»Tut mir leid«, erwiderte Fee in gespieltem Bedauern. »Ich dachte, Dieter Fuchs hätte mit Ihnen darüber geredet.«
»Ich kenne diesen Fuchs überhaupt nicht«, gestand Adrian. Er freute sich sichtlich darüber, dass Felicitas endlich wieder auftaute. »Was ist er denn für ein Typ?«
»Machen Sie sich selbst ein Bild«, empfahl Fee. Mit einem Mal fühlte sie sich frei und leicht wie eine Feder. Ein Stein war ihr vom Herzen gefallen. »Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, sich in der Behnisch-Klinik zu bewerben?«, wechselte sie rasch das Thema.
Adrian lehnte sich zurück. Sein wohlwollender Blick ruhte auf Felicitas.
»Verraten Sie mir lieber, welcher Arzt nicht in dieser Klinik arbeiten will. Modernste Geräte, fortschrittliche Behandlungsmethoden, Fortbildungsmöglichkeiten, ein gutes Arbeitsklima«, zählte er ein Argument nach dem anderen auf, das über die Behnisch-Klinik im Umlauf war. »Mal abgesehen von Ihrem Mann, der sich einen Namen als herausragender Diagnostiker gemacht hat.« Sein Lächeln wurde tiefer. »Wer aber meiner Ansicht nach noch viel mehr Beachtung verdient hat, ist die Chefin der Pädiatrie.« Seine Stimme war tief und weich. »Es ist mir eine Ehre, mit Ihnen hier sitzen zu dürfen. Dieses Glück haben sicher nicht viele Männer.«
Es war schon lange nicht mehr vorgekommen, dass das Kompliment eines Mannes Fee verlegen gemacht hatte.
»Mein Mann würde sagen, dass Sie einen guten Geschmack haben.« Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu.
»Und was sagen Sie?«
»Dass ich mich jetzt leider von Ihnen verabschieden muss.« Felicitas leerte ihr Glas in einem letzten Zug. Sie stellte es zurück auf den Tisch, griff nach ihrer kleinen Tasche und stand auf. »Vielen Dank für den schönen Abend. Es tut mir leid, dass ich vorhin so schweigsam war.«
Auch Adrian war aufgestanden und knöpfte das Sakko zu.
»Und mir tut es leid, dass Sie schon gehen.«
»Wir sind heute erst angereist und Massage und Sauna haben mich müde gemacht.« Sie reichte ihm die Hand. »Übrigens kommt mein Mann morgen Abend zum Essen. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns Gesellschaft leisten würden.«
Die Enttäuschung verdüsterte sein Lächeln wie eine Wolke, die sich vor die Sonne schob. Doch Adrian war kein Junge mehr und wusste, wann er sich geschlagen geben musste.
»Mit dem allergrößten Vergnügen.« Er beugte sich über Fees Hand und hauchte einen Kuss darauf.
Sein bedauernder Blick folgte ihr, bis sie aus dem Restaurant trat und mit einem Winken um die Ecke verschwand.
*
Das Licht am Bett brannte. Jutta lag mit weit geöffneten Augen im Bett und starrte auf die Wand gegenüber. Sie reagierte nicht auf das Klopfen und wandte auch nicht den Kopf, als Daniel Norden leise die Tür öffnete.
»Guten Abend, Frau Dehmel«, begrüßte er sie und trat ans Bett.
Noch immer bekam er keine Reaktion.
»Wie fühlen Sie sich?«
»Haben Sie keine Augen im Kopf?« Das war zwar nicht die Antwort, auf die er gehofft hatte, aber immerhin besser als nichts.
Ihm fiel auf, wie gereizt Juttas Stimme war. Er zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich.
»Natürlich habe ich Augen im Kopf. Und ich sehe eine Frau, die jeden Lebenswillen verloren hat.«
»Na und? Was geht Sie das an?«
»Ich bin der Chef dieser Klinik. Es ist meine Pflicht und Berufung, Menschen gesund zu machen. Deshalb sind auch Sie hier. Um gesund zu werden.«
»Ich bin hier, weil meine Schwester mich hergebracht hat«, erwiderte Jutta mit einem Anflug von Trotz.
Daniel unterdrückte ein Seufzen. Er beugte sich vor und sah seine Patientin durchdringend an.
»Frau Dehmel, Sie haben eine Familie, die Sie liebt und braucht«, erklärte er eindringlich.
Jutta erwiderte seinen Blick. Daniel erschrak, als er die Leere darin sah.
»Für meine Familie bin ich eine tickende Zeitbombe. Sie warten nur auf den Knall und darauf, dass alles vorbei ist.«
Daniel Norden saß vornübergebeugt auf dem Stuhl und betrachtete seine ineinander verschränkten Hände. Er dachte angestrengt nach.
»Was ist eigentlich mit Ihnen los, Frau Dehmel?«, fragte er schließlich. »Ihr Körper hat Ihnen gezeigt, dass Sie so nicht weitermachen können. Wenn Sie jetzt nicht die Reißleine ziehen, explodiert die Bombe schneller, als Ihnen lieb ist.«
Juttas Mund verzog sich zu einem Lachen. Doch kein Ton kam heraus. Es war gespenstisch.
»Vielleicht warte ich ja nur darauf, dass es endlich vorbei ist. Mein Mann wird bald eine andere Frau haben, die ihn in jeder Hinsicht glücklich machen kann.« Ihre Miene war verächtlich. »Ich mache nur den Weg frei für das junge Glück.«
»Nehmen Sie doch bitte Vernunft an! So weit ich das zu diesem Zeitpunkt beurteilen kann, ist Ihr Defekt psychischer Natur. Nicht körperlich.«
Jutta verzog das Gesicht.
»Sie erwarten jetzt aber nicht von mir, dass ich auf mein Mountainbike steige und auf den Rauschberg fahre.«
Daniel Norden kannte den Berg im Chiemgau vom Hörensagen. Doch daran dachte er im Augenblick nicht. Stattdessen dachte er über eine Strategie nach, den Panzer zu knacken, in den sich Jutta eingeschlossen hatte.
»Wenn Sie mit allen Menschen, die Ihnen helfen wollen, so sprechen, dann wundert mich gar nichts mehr«, erwiderte er kühl. »Glauben Sie wirklich, Sie sind die einzige Frau auf der Welt, die ein Problem hat?«
Jutta machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich habe Sie nicht um Hilfe gebeten. Mal abgesehen davon, dass mich andere Menschen nicht mehr interessieren. Ich habe genug mit mir selbst zu tun. Was ist denn übrig von mir?« Mit einem ärgerlichen Ruck zog sie die Bettdecke weg. »Sehen sie mich doch an! Das war mal ein sportlicher, begehrenswerter Körper. Und jetzt? Wollen Sie mal anfassen? Nein? Na, sehen sie. Das will ich meinem Mann nicht zumuten.«
Bei allem Verständnis für Juttas Situation verlor Daniel