Che la beata gioventù vien meno.
Tu, solingo augellin, venuto a sera
Del viver che daranno a te le stelle,
Certo del tuo costume
Non ti dorrai; che di natura è frutto
Ogni vostra vaghezza.
A me, se di vecchiezza
La detestata soglia
Evitar non impetro,
Quando muti questi occhi all’altrui core,
E lor fia voto il mondo, e il dì futuro
Del dì presente più noioso e tetro,
Che parrà di tal voglia?
Che di quest’anni miei? che di me stesso?
Ahi pentirommi, e spesso,
Ma sconsolato, volgerommi indietro. (Il passero solitario, vv. 1–59)
[Die einsame Amsel
Droben, hoch auf der Spitze des alten Turmes, | einsame Amsel, singst du ins weite Land | dein Lied hinaus, bis schließlich der Tag vergeht. | Und harmonischer Wohlklang erfüllt dieses Tal. | Frühling glänzt überall | in den Lüften und jubiliert auf den Feldern, | und Rührung ergreift das Herz, wenn man schauend steht. | Du hörst die Schafe blöken, die Rinder muhen. | Die anderen Vögel ziehen vergnügt um die Wette | am blauen, heiteren Himmel tausend Kreise | und feiern ihres Lebens schönste Zeit. | Du bleibst sinnend beiseit und betrachtest das alles. | Du nimmst nicht teil, und du fliegst nicht. | Scherz und Fröhlichkeit abgeneigt, sitzt du da und singst du, | und so, in Gedanken, verbringst du | des Jahrs und des eigenen Lebens Blütezeit.
Weh mir, wie ähnlich im Grunde | ist deine Art zu leben der meinen. Frohsinn | und Lachen, stets mit der Jugend in süßem Bunde, | und Liebe, auch dich, der Jugend leibliche Schwester | und der späteren Tage bittere Sehnsucht, | achte ich nicht, ich weiß nicht, warum. Statt dessen | zieht es mich fluchtartig fort. | Ein Einsiedler gleichsam und Fremder | am eigenen Heimatort | schaue ich zu, wie der Lenz meines Lebens verstreicht. | Den heutigen Tag, der nun dem Abend weicht, | pflegt man fröhlich zu feiern in unserem Städtchen. | Du hörst in der klaren Luft die Glocke schallen, | hörst wieder und wieder das Donnern aus ehernen Rohren | von Dorf zu Dorf in der Ferne widerhallen. | Die Burschen und Mädchen verlassen | die Häuser im Festtagskleid | und schlendern durch den Ort und füllen die Gassen. | Man sieht und wird gesehen und freut sich von Herzen. | Ich stehle mich einsam beiseit | und suche diese entlegenen Felder, verschiebe | auf eine spätere Zeit | Freude und Scherz, und indessen trifft meinen Blick | in lichtdurchfluteter Luft | die Sonne, die in der Ferne zwischen den Bergen | langsam versinkt und erblindet | am Ende des heiteren Tags, und es scheint mir, sie ruft, | sie flüstert mir zu, daß die glückliche Jugendzeit schwindet.
Einsamer kleiner Vogel, du wirst am Abend | deines Lebens, den dir die Sterne bestimmen, | die Art, wie du lebtest, sicher | nicht bedauern. Denn eure Neigung ist nur | eine Frucht der Natur. | Ich aber, wenn ich nicht | die verabscheute Schwelle | des Alters zu meiden vermag, | wenn diese Augen nicht mehr zum Herzen des andren | sprechen, die Welt sich leert und der morgige Tag | trostloser, dunkler noch als der heutige zu werden verspricht, | was wohl werde ich denken | von mir selbst, und wie ich gelebt und gehofft? | Bereuen werd ich und oft, | doch ungetröstet, die Blicke rückwärts lenken.]
Außer den drei oben angesprochenen Fragen hat sich, vor allem in den letzten Jahren, die Forschung selbstverständlich auch weiteren Aspekten zugewandt: Neben der immer wieder auftauchenden biographistischen Deutung des Textes, derzufolge Leopardi mit dem Ich des Textes exakt sich selbst und sein Leben in Recanati portraitiert habe, und neben den zahlreichen intertextuellen Anknüpfungspunkten vom «passer solitarius» in Psalm 102 über diverse Gedichte Petrarcas bis hin zu Texten ungefähr aus Leopardis Zeit sind dies vor allem zwei Bereiche: Zum einen wird, gerade in den neuesten Arbeiten, die Frage nach der Selbstbezüglichkeit des Textes gestellt, die Frage danach, ob es sich um ein Gedicht über das Dichten handle, zum anderen die Frage nach der Zeit, die in Anbetracht der vielen und vielfältigen Erwähnungen im Gedicht als dessen zentrale Isotopie angesehen werden muß, die zugleich die meisten anderen Aspekte berührt oder einschließt.1
Der oben vollständig abgedruckte Text ruft in Erinnerung, daß das Gedicht nicht in regelmäßige Strophen, sondern in drei ungleich lange Versabschnitte geteilt ist, von denen der erste und der dritte mit 16 und 15 Versen ungefähr gleichlang sind, während der mittlere mit 28 Versen beinahe die doppelte Länge umfaßt und damit fast die Hälfte des Gedichts ausmacht. Diese freie Strukturierung, die einhergeht mit nur wenigen, verstreut eingesetzten Reimen, findet sich bekanntlich auch sonst in der Lyrik des späten Leopardi, der sich nach und nach von der strengen Canzonenform löst, wie sie aus der provenzalischen Dichtung in die italienische übernommen und vor allem in der bei Petrarca gestalteten Weise kanonisiert wurde. Diesem Aufbau in drei Teile entspricht die Sprechsituation des Gedichts, die, auch wenn das ganze Gedicht hindurch das lyrische Ich die Sprechinstanz bleibt, doch mehrfach changiert: Im ersten Teil wendet es sich vor allem an den Vogel, der im zweiten Vers direkt angesprochen wird. Hier dominiert ein eher beschreibender Gestus, insofern die Lebensgewohnheiten des Vogels geschildert werden, die sich von denen anderer Vögel unterscheiden. Demgegenüber beschreibt das Ich im zweiten Abschnitt, wie wiederum gleich die ersten beiden Verse unterstreichen («quanto somiglia | Al tuo costume il mio» [«wie sehr ähnelt deine Lebensweise der meinen»]), seine eigenen Gewohnheiten, die nun wiederum dargelegt werden, aber hier ist sein Gesang von vornherein mit der Exclamatio Oimè als Klage statt als neutrale Beschreibung gekennzeichnet. Diese Doppelheit wiederholt sich im dritten und letzten Versabschnitt, der wie zuvor einen kürzeren Teil dem direkt angesprochenen Vögelchen, «Tu, solingo augellin», widmet und diesem mit dem «A me» ab Vers 50 einen doppelt so langen Teil entgegensetzt. Dieser mündet in den letzten beiden Versen in einen durch «Ahi» eingeleiteten, klagenden Ausruf, die einzige Antwort auf die drei zuvor gestellten Fragen des Ich.
Insbesondere zwischen erstem und zweitem Abschnitt sind die Bezüge vom Gedicht klar markiert und lassen sich bei aufmerksamem mehrfachem Hören und Lesen deutlich wahrnehmen, weil sich essentielle Elemente wiederholen: In der Mitte des ersten Teils ist zunächst von der «primavera» die Rede, dann vom Hören, «Odi», und von den anderen; dies wiederholt sich exakt im zweiten Teil, wo in v. 26 der Frühling, in v. 29sq. insistierend das «du hörst» und mit der «Dorfjugend» in v. 33 auch das Pendant zu den anderen Vögeln wiederkehren. Dies wird in der Weise umrahmt, daß Teil I mit dem Du und auf dem Land beginnt, während Teil II mit dem Ich auf dem Land endet (cf. v. 2sq. und v. 36sq.); umgekehrt endet Teil I damit, daß der Vogel sich nicht um das schert, was den anderen Freude bereitet – «non ti cal d’allegria» (v. 14) –, so wie der zweite damit beginnt, daß das Ich sich um Frohsinn, Lachen und Liebe nicht kümmert: «non curo» (v. 22). Zahlreiche Elemente des Gedichts also lassen die enge Verbindung, die Ähnlichkeit zwischen Ich und «passero» hörbar und sichtbar werden, und tatsächlich unterstreichen diese beiden Teile in vielerlei Hinsicht die Gemeinsamkeiten zwischen beiden.2
Allerdings könnte man doch leise Skepsis anmelden, wenn man die raffiniert überkreuzte Struktur der jeweiligen Rahmenteile betrachtet, die die Parallelen im Innern überlagern: Zwar wird so einerseits der Zusammenhalt der beiden Versabschnitte sehr deutlich markiert – am Anfang und Ende die «campagna», die Ich und Du in ihrer Gemeinsamkeit umschließt, dazwischen mit «non ti cal || non curo» ein gleitender Übergang vom Du zum Ich, der seinerseits die Ähnlichkeit durch den ähnlichen Klang sinnlich wahrnehmbar macht. Andererseits und gleichzeitig stellt durch diesen Chiasmus der zweite den ersten Teil auf den Kopf und weist damit bereits auf den dritten Teil voraus, der, wie erwähnt, die Strukturierung des Vorausgegangenen in einer Art Stretto wiederholt und dabei im Ich-Teil auch den Klagegestus wiederaufnimmt. Anders als zuvor jedoch betont das Ich nun vor allem die Unterschiede, wie schon die Opposition von «Tu – A me» andeutet, während zuvor mit «Passero solitario» und «Io solitario» die Analogie hervorgehoben worden war. So steht jetzt auf der einen Seite die Selbstgewißheit des Vogels, den in all seinem Wollen und Streben die Natur leitet. Auf der anderen Seite setzt das Ich diesem fraglosen «certo del tuo costume» (v. 47) konsequent seine eigenen Fragen