ALEXANDER
Dieser Mann, mein Fräulein, hat sich die Eigentümlichkeit von allerlei Tieren zugeeignet: Er ist so kühn wie der Löwe, so täppisch wie der Bär, so langsam wie der Elefant; ein Mann, in dem die Natur so viel Launen gehäuft hat, daß seine Tüchtigkeit in Torheit untergeht, seine Torheit durch Verständigkeit gewürzt ist. Niemand besitzt eine Tugend, von der er nicht einen Anflug bekommen hätte, noch irgend jemand eine Unart, von der ihm nicht etwas anklebte; er ist melancholisch ohne Ursach und lustig wider den Strich; er hat die Gelenkigkeit zu jedem Dinge, aber jedes Ding ist an ihm so ungelenk, daß er wie ein gichtischer Briareus hundert Hände und keine zum Gebrauch hat, oder wie ein stockblinder Argus lauter Augen und keine Sehkraft.
CRESSIDA
Wie kann aber dieser Mann, der mich lächeln macht, den Hektor in Zorn bringen?
ALEXANDER
Man erzählt, er sei gestern mit Hektor in der Schlacht handgemein geworden und habe ihn niedergeschlagen, und der Verdruß darüber und die Schmach habe den Hektor seitdem nicht essen noch schlafen lassen.
Pandarus kommt.
CRESSIDA
Wer kommt?
ALEXANDER
Fräulein, Euer Oheim Pandarus.
CRESSIDA
Hektor ist ein tapfrer Degen.
ALEXANDER
Wie nur irgendeiner in der Welt, Fräulein!
PANDARUS
Was sagt ihr? Was sagt ihr?
CRESSIDA
Guten Morgen, Oheim Pandarus!
PANDARUS
Guten Morgen, Muhme Cressida! Wovon sprecht ihr? Guten Morgen, Alexander! Wie gehts dir, Nichte? Wann warst du in Ilium?
CRESSIDA
Heute morgen, Oheim.
PANDARUS
Wovon spracht ihr, als ich kam? War Hektor schon gewaffnet und ins Feld gezogen, als du nach Ilium kamst? Helena war wohl noch nicht aufgestanden, nicht wahr?
CRESSIDA
Hektor war schon fort, aber Helena noch nicht aufgestanden.
PANDARUS
Ja, ja, Hektor war recht früh auf den Beinen.
CRESSIDA
Davon sprachen wir eben; und daß er aufgebracht sei.
PANDARUS
War er aufgebracht?
CRESSIDA
Das sagt mir dieser da.
PANDARUS
Freilich war er aufgebracht; ich weiß auch, warum; heut wird ers ihnen beibringen, das kann ich ihnen sagen, und Troilus wird ihm so ziemlich gleichkommen; sie mögen sich nur vor Troilus in acht nehmen; das mogen sie mir glauben!
CRESSIDA
Wie! Ist der auch aufgebracht?
PANDARUS
Was, Troilus? Troilus ist der Beßre von beiden!
CRESSIDA
O Jupiter! Da ist gar kein Vergleich!
PANDARUS
Wie, nicht zwischen Troilus und Hektor? Erkennst du nicht einen Mann, wenn du ihn siehst?
CRESSIDA
Nun ja, wenn ich ihn sonst schon sah und kannte.
PANDARUS
Ganz recht; ich spreche, Troilus ist Troilus.
CRESSIDA
Da sprecht Ihr wie ich, denn ich weiß gewiß, er ist nicht Hektor.
PANDARUS
Nein, und Hektor ist auch nicht Troilus in gewissem Betracht.
CRESSIDA
So tun wir keinem Unrecht; er ist er selbst.
PANDARUS
Er selbst? Ach, du armer Troilus! Ich wollte, wäre –
CRESSIDA
Er ist es ja.
PANDARUS
Mit dem Beding ginge ich barfuß nach Indien!
CRESSIDA
Hektor ist er nicht!
PANDARUS
Er selbst? Nein, er ist nicht er selbst – ja, ich wollte, er wäre er selbst. Nun, die Götter leben noch; die Zeit schaffts ihm oder entraffts ihm; ja, Troilus, ich wollte, sie hatte mein Herz im Leibe! Nein, Hektor ist kein beßrer Mann als Troilus.
CRESSIDA
Verzeiht!
PANDARUS
Er ist älter.
CRESSIDA
Ich bitte um Entschuldigung!
PANDARUS
Der andre ist noch nicht so alt; ihr sollt ganz anders sprechen, wenn der andre erst so alt sein wird. Hektor kann lange warten, ehe er seinen Verstand bekommt!
CRESSIDA
Den braucht er auch nicht, wenn er seinen eignen hat.
PANDARUS
Noch seine Eigenschaften.
CRESSIDA
Tut nichts!
PANDARUS
Noch seine Schönheit!
CRESSIDA
Sie würde ihn nicht kleiden, seine eigne ist besser.
PANDARUS
Du hast kein Urteil, Nichte! Helena selbst beteuerte neulich, daß Troilus, wenn von brauner Farbe die Rede sei – denn braun ist er allerdings – und doch nicht so recht eigentlich braun –
CRESSIDA
Nein, sondern braun.
PANDARUS
Die Wahrheit zu sagen, braun und nicht braun.
CRESSIDA
Die Wahrheit zu sagen, wahr und nicht wahr.
PANDARUS
Sie stellte seinen Teint über den des Paris.
CRESSIDA
Nun, Paris hat Farbe genug.
PANDARUS
Das hat er auch.
CRESSIDA
So hatte Troilus denn zu viel Farbe; wenn sie seinen Teint über den des andern stellt, ist er höher an Farbe; wenn nun Paris rot genug ist und Troilus hochrot, so ist das ein zu teuriges Lob für einen guten Teint. Ebensogern hätte Helenas goldne Zunge den Troilus wegen einer Kupfernase rühmen können.
PANDARUS
Ich schwöre dir, ich glaube, Helena liebt ihn mehr als den Paris.
CRESSIDA
Dann ist sie wirklich eine leichtsinnige Griechin.
PANDARUS
Nein, ganz gewiß, das tut sie. Neulich stellte sie sich zu ihm in das Bogenfenster, und du weißt, er hat nur drei oder vier Haare am Kinn –
CRESSIDA
O gewiß, eines Bierzapfers Rechenkunst würde hinreichen, diese Einheiten in eine Summe zu ziehn.
PANDARUS
Nun, er ist noch sehr jung, und doch sind seine Nerven so stählern, daß er dir bis auf zwei, drei Pfund ebensoviel aufheben wird als sein Bruder