Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch). William Shakespeare. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: William Shakespeare
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075833631
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Scheint Held und Feiger, Narr und Weiser, Künstler

       Und Tor, Weichling und Starker nah verwandt;

       Doch in dem Sturm und Schnauben ihres Zorns,

       Wirft Sondrung, mit gewaltger, breiter Schaufel

       Alles aufschütteind, leichte Spreu hinweg,

       Und was Gewicht und Stoff hat in sich selbst,

       Bleibt reich an Tugend liegen, unvermischt.

      NESTOR

       In schuldger Ehrfurcht deinem heilgen Thron,

       O Agamemnon, wird dein letztes Wort

       Nestor erläutern. In dem Kampf mit Wechsel

       Bewährt sich echte Kraft. Auf stiller See,

       Wie fährt so mancher gaukeind winzge Kahn

       Auf ihrer ruhgen Brust, und gleitet hin

       Mit Seglern mächtgen Baus?

       Doch laß den Raufer Boreas erzürnen

       Die sanfte Thetis: rasch durchschneidet dann

       Das starkgerippte Schiff die Wellenberge,

       Springt zwischen beiden feuchten Elementen

       Gleich Perseus' Roß – wo bleibt das eitle Boot,

       Des schwachgefügte Seiten eben noch

       Wettkämpften mit der Kraft? Es flieht zum Hafen,

       Wenns nicht Neptun verschlingt. So trennt sich auch

       Des Mutes Schein vom wahren Kern des Mutes

       Im Sturm des Glücks, denn strahlt es hell und mild,

       Dann wird die Bremse quälender der Herde

       Als selbst der Tiger; doch wenn Stürme spaltend

       Der knotigen Eiche Knie darniederbeugen

       Und Schutz die Fliege sucht, ja, dann das Tier des Mutes,

       Wie aufgeregt von Wut, wird selber Wut

       Und brüllt, in gleichen Tönen widerhallend,

       Dem zorngen Glück entgegen.

      ULYSSES

       Agamemnon,

       Du großer Fürst, Gebein und Nerv der Griechen,

       Herz unsrer Scharen, Seel und einzger Geist,

       In dem Gemüt und Wesen aller sollte

       Beschlossen sein, hör, was Ulysses spricht,

       Den Beifall und die Huldgung abgerechnet,

       Die,

       zu Agamemnon Mächtger du durch Rang und Herrscherwürde, zu Nestor Und du, Ehrwürdger durch dein hohes Alter, Ich euren Reden zolle, die so trefflich, Daß Agamemnon und der Griechen Hand Sie sollt in Erz erhöhn; und deine gleichfalls, Ehrwürdger Nestor, silberweiß, mit Banden Aus Luft gewebt, stark wie die Achs, urn die Der Himmel kreist, sollt aller Griechen Ohr An deine weise Zunge fessein – doch, Du Staatsmann und du Fürst, vergönnt Ulysses Nach Euch zu reden.

      AGAMEMNON

       Sprich, Held von Ithaka; so sicher ists,

       Daß kein unnützes, kein gehaltlos Wort

       Je deine Lippen teilt, als wir erwarten,

       Wenn Hund Thersites anstimmt sein Gebell,

       Je Witz, Musik, Orakel zu vernehmen.

      ULYSSES

       Troja, noch unerschüttert, wär gefallen

       Und herrenlos des großen Hektor Schwert,

       Wenn folgendes nicht hemmte:

       Verkannt wird Seel und Geist der Oberherrschaft!

       Und seht: so viele Griechenzelte hohl

       Stehn auf dem Feld, so viel Parteienhohlheit! –

       Wenn nicht der Feldherr gleicht dem Bienenstock,

       Dem alle Schwärme ihre Beute zollen,

       Wie hofft ihr Honig? Wenn sich Rang verlarvt,

       Scheint auch der Schlechtste in der Maske edel.

       Die Himmel selbst, Planeten und dies Zentrum,

       Reihn sich nach Abstand, Rang und Würdigkeit,

       Beharrungskraft, Form, Lauf, Verhältnis, Jahreszeit,

       Amt und Gewohnheit in der Ordnung Folge;

       Und deshalb thront der majestätsche Sol

       Als Hauptplanet in höchster Herrlichkeit

       Vor allen andern, sein heilkräftig Auge

       Verbessert den Aspekt bösartger Sterne

       Und trifft, wie Königs Machtwort, allbeherrschend

       Auf Gut und Böses. Doch wenn die Planeten

       In schlimmer Mischung irren ohne Regel,

       Welch Schrecknis! Welche Plag und Meuterei!

       Welch Stürmen auf der See! Wie bebt die Erde!

       Wie rast der Wind! Furcht, Umsturz, Graun und Zwiespalt

       Reißt nieder, wühlt, zerschmettert und entwurzelt

       Die Eintracht und vermählte Ruh der Staaten

       Ganz aus den Fugen! Oh, wird Rangordnung,

       Die Letter aller hohen Plän, erschüttert,

       So krankt die Ausführung. Wie könnten Gilden,

       Würden der Schule, Brüderschaft in Städten,

       Friedsamer Handelsbund getrennter Ufer,

       Der Würde und das Recht der Erstgeburt,

       Ehrfurcht vor Alter, Zepter, Kron und Lorbeer

       Ihr ewig Recht ohn Rangordnung behaupten?

       Tilg Rangordnung, verstimme diese Saite,

       Und höre dann den Mißklang! Alles träf

       Auf offnen Widerstand. Empört dem Ufer

       Erschwöllen die Gewässer übers Land,

       Daß sich in Schlamm die feste Erde löste,

       Macht würde der Tyrann der blöden Schwäche,

       Der rohe Sohn schlüg seinen Vater tot,

       Kraft hieße Recht – nein, Recht und Unrecht, deren

       Endlosen Streit Gerechtigkeit vermittelt,

       Verlören, wie Gerechtigkeit, den Namen.

       Dann löst sich alles auf nur in Gewalt,

       Gewalt in Willkür, Willkür in Begier;

       Und die Begier, ein allgemeiner Wolf,

       Zwiefältig stark durch Willkür und Gewalt,

       Muß dann die Welt als Beute an sich reißen

       Und sich zuletzt verschlingen. Großer König,

       Dies Chaos, ist erst Rangordnung erstickt,

       Folgt ihrem Mord.

       Und dies Nichtachten jeder Rangordnung

       Geht rückwärts Schritt für Schritt, indems hinauf

       Zu klimmen strebt. Des Oberfeldherrn spottet,

       Der unter ihm zunächst, den höhnt der zweite,

       Den nächsten dann sein Untrer: so vergiftet

       Vom ersten Schritt, der seinem Obern trotzt,

       Wird jeder folgende zum neidschen Fieber

       Kraftloser, bleicher Nebenbuhlerschaft.

       Und solch ein Fieber ists, das Troja schirmt,

       Nicht eigne Stärke. Kurz, den Troern schafft

       Nur unsre Schwäche Frist, nicht eigne Kraft.

      NESTOR