Helden und andere Probleme. Jan Philipp Reemtsma. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Philipp Reemtsma
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783835345652
Скачать книгу
daß jede solche Kanalisierung nicht nur auf etwas hin erfolgt, sondern von etwas weg: Abwehr. Shulman faßt diesen Mechanismus, der meist unbewußt greift, als Ergebnis bewußter Reflexion: »If I look deeply into myself, I can identify – side by side with hope, faith, and a certain embryonic capacity for empathy – the same dark forces that are active among the most predatory of the settlers. I, too, am capable of hate and of polarizing the world. Perhaps the balance, individual and collective, is always precarious. Here is a reason to act.«[22]

      Nur werden eben Entschlüsse nicht auf Grund der Vernunft allein bzw. auf Grund der Einsicht in gute Gründe gefaßt, sondern, und eben auch in diesem Falle, auf Grund von besonderen Emotionen: »a breathtaking experience of freedom«. Das ist es, was, ich habe es bereits zitiert, »ordinary men and women can be – if they chose«. Daß etwas eine Saite in uns anschlägt, setzt voraus, daß wir diese Saite haben. Wir können nicht alle Helden sein. Wären wir alle Helden, so gäbe es keine mehr, sie müssen ja, um hervorgehoben zu werden, eine kleine Minderheit sein. Um die Anfangsdefinition wieder aufzunehmen: Helden repräsentieren Tugenden, die Allgemeingültigkeit beanspruchen, in extrem gesteigerter, also seltener Form. Daß wir von den Taten eines Helden bewegt werden (und sie nicht nur abstrakt anerkennen), ist eine wesentliche Erweiterung unseres Verständnisses vom Helden, genauer: von unserem Akt der Zuschreibung des Heldentums, denn auf diese Zuschreibung kommt es an: Jemand auf einer einsamen Insel kann tun, was er will, zum Helden wird er nie, und wer nichts als Hohn erntet, muß wenigstens die Bewunderung späterer (oder, noch gewagter, vergangener) Geschlechter phantasieren, um sich in der Gegenwart als Held zu fühlen. Dabei geht es bei der Bewunderung, die wir zollen, wie gesagt, weniger um die Resultate seines Tuns – in deren Licht sind seine Taten manchmal nicht mehr als ein Rütteln an den Gitterstäben der Weltgeschichte: »Ich will hier raus!« – als um sein Tun selbst.

      Es muß hier wohl das Wort »Narzißmus« fallen. Das Problem: In der Psychologie (welcher Ausrichtung auch immer) ist das natürlich ein wertfreier Begriff, in der Alltagskommunikation ist er in der Regel pejorativ konnotiert (synonym mit »eitel« bis »rücksichtslos«). Nehmen wir das Buch von Laplanche und Pontalis Das Vokabular der Psychoanalyse zur Hand; dort finden wir: »Der primäre Narzißmus bezeichnet einen frühen Zustand, in dem das Kind sich selbst mit seiner ganzen Libido besetzt. Der sekundäre Narzißmus bezeichnet eine Rückwendung der von ihren Objektbesetzungen zurückgezogenen Libido.« Und: »Diese Begriffe werden in der psychoanalytischen Literatur und selbst in Freuds Werk sehr unterschiedlich aufgefaßt, was eine einheitliche und genauere Definition als die von uns vorgeschlagene verbietet.«[23] Das eröffnet die Möglichkeit, auf eigene Faust den Narren zu spielen; zudem versteht sich, daß, wenn im Folgenden von »Narzißmus« die Rede ist, allein der »sekundäre Narzißmus« gemeint ist.

      Den Begriff »Narzißmus« wertfrei zu halten hat seinen guten Grund. Denn eine in ihrem Leben permanent (oder immer mal wieder) narzißtisch angetriebene Person kann ebenso auf die Mißbilligung wie auf die Bewunderung ihrer Umwelt stoßen. Wenn jemand ein Buch schreibt, so ist das ohne narzißtischen Antrieb nicht zu machen. Zwar: sich nur am Anblick des eigenen Namens auf einem Buchumschlag zu erfreuen ist ein wenig billig, aber ganz ohne geht es nicht. Es gehört zum Set an narzißtischen Bestätigungen, die der Autor anstrebt, braucht, um weiterzumachen. Nicht nur der Autor. Welcher Schauspieler, er ginge noch so in seiner Rolle auf, wäre »nur Hamlet«? Er ist immer derjenige (so hofft er irgendwie), der Hamlet so spielt, wie er noch nie gespielt worden ist – und wenn ihn am Ende der Applaus wie eine Welle hochhebt, auf der er ein paar Minuten surfen kann, dann hat er, was er sucht. Nur leider zu kurz, er wird versuchen, den Moment zu verlängern – findet sich in der Kantine ein Fan? –, und dann geht er nach Hause oder ins Hotelzimmer und hat den Katzenjammer: Er hat sich verausgabt und nur einen Bruchteil von dem, was er gegeben hat, zurückbekommen. Aber es war doch gar kein give-and-take, er hat doch nicht für das Publikum gespielt, sondern für den Applaus des Publikums? Das Beispiel mag lehren, daß man zwar aus narzißtischen Antrieben handeln kann, aber am Ende so handelt, wie wenn man es bloß »für andere« getan hätte, und diese anderen wie man selbst empfinden es so.

      Umgekehrt: Ein Buch kann Tausende erfreuen, belehren, Trost oder Einsicht in ihr Leben bringen, und wir lieben die Autorin oder den Autor darum, ja, bei manchen Büchern haben wir das Gefühl, es sei (und das mag vor Jahrhunderten geschehen sein) nur für uns geschrieben worden. Wir bewundern den Autor oder die Autorin, die vielleicht jahrelang über diesem Buch gesessen haben, und wir bewundern auch das Moment der Askese während der Abfassung des Buches. Seine oder ihre Familie, die Peers etc. mögen das ganz anders sehen: Er / sie vernachlässigt die anderen, zieht sich zurück auf eine (weitere) Emanation seines Ich, der sie / er, wenn nicht alles, so doch bemerkenswert viel unterordnet, auf den zweiten oder dritten Platz verweist. Kreativität (ich meine nicht: Häkelkurse oder »creative writing«) bedarf des Narzißmus und einer gewissen A-Sozialität – sprich: Abzug der Libido von den Objekten, Umlenkung auf das eigene Ich und seine Hervorbringungen.

      Es gibt eine Fernsehserie des Mitteldeutschen Rundfunks – eine der erfolgreichsten Serien des Deutschen Fernsehens überhaupt – mit dem Titel In aller Freundschaft. Das Rezept dieser Serie ist einfach: In jeder Folge wird wenigstens ein mehr oder weniger komplizierter Fall in ein Krankenhaus in Leipzig (die »Sachsenklinik«) eingeliefert, um den sich das Serienpersonal, Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Pfleger, zu kümmern hat, und meist geht es gut aus. Nebenbei (in manchen Folgen nicht nur nebenbei) geht das Privatleben der Protagonisten mit Ehekrisen, Liebschaften (zeitweise glücklichen, manchmal notorisch unglücklichen) weiter, und das ist es, was uns bei der Stange hält wie bei jeder Serie: Wir wollen wissen, wie es weitergeht. Hält es diesmal? Wie kommt das Ehepaar Heilmann (Heilmann heißt der Chefarzt – just think of that!) über den Tod ihrer Tochter und ihres Schwiegersohns hinweg? Wird Frau Dr. Globisch endlich den Richtigen finden? Wird Frau Dr. Eichhorn ewig die Melancholikerin vom Dienst bleiben müssen? Kommen der Assistenzarzt Dr. Brentano und Schwester Arzu wieder zusammen? Ich nenne die Titel immer mit, weil die Ärzte sich auch untereinander stets mit ihren Titeln anreden: »Könnten Sie sich das mal ansehen, Dr. Kreuzer?« »Gerne, Dr. Brentano!« Dabei ist es doch ein akademischer Fauxpas, wenn Gleichbetitelte einander mit Titeln versehen – jedenfalls heutzutage, Groddeck nannte Freud »Herr Professor«, und Freud replizierte: »Herr Doktor«, nun, er war aus Wien.

      Dieser liebenswerte Unsinn der Serie mag uns aber auf die richtige Spur führen. Die Konflikte, mit denen uns die Serie heimsucht, sind im Kern fast immer Konflikte um den Narzißmus der medizinischen Protagonisten. Dr. Kreuzer ist ehrgeizig und hält sich für den besten und modernsten Arzt der Klinik und gefährdet dauernd die Freundschaft mit seinen Kollegen; Dr. Brentano muß für seine Prüfungen lernen, und Schwester Arzu bleibt allein zu Hause und schmollt: Sie sei ja nur »eine kleine Krankenschwester«; die Ehe der Heilmanns steht dauernd unter Streß, weil er Verabredungen, Hochzeitstage etc. vergißt, weil er in der Klinik aufgehalten wird. Er müsse schließlich Leben retten, sagt er; er wolle ihr damit wohl sagen, sie sei bloß Friseurin, antwortet sie darauf und dreht sich zur Wand. Es ist aber so, daß diejenigen, die die »Sachsenklink« nach strapaziösen und komplizierten Operationen (»Ich kann ihn nicht mehr halten, Blutdruck sinkt! Er wird tachykard!« »Defi, schnell! Weg vom Bett!« »Wir haben ihn wieder. Das war knapp.«) gesund wieder verlassen (das ist jedenfalls die Regel), dies der Tatsache, daß die Ärzte ihrem Beruf mehr Aufmerksamkeit schenken als ihren Lebenspartnern, verdanken (das gilt nicht nur für die männlichen Ärzte, bei den männlichen entspricht es nur mehr dem Klischee, weshalb es dort mehr ausgewalzt wird).

      Interessant ist, daß es in dieser Serie ab und zu (und häufiger, wie mir scheint, als die Wahrscheinlichkeitsrechnung erlaubt) vorkommt, daß Chirurgen und Chirurginnen ihre eigenen Verwandten oder Partner auf dem Operationsplan vorfinden. In der Regel wollen sie – gegen alle Professionalität – selbst operieren, worauf dann der Klinikchef einschreiten muß (»Sie wissen doch …«). Klar: dem betroffenen Operateur könnte die Hand zittern, wenn er seine eigene Frau aufschneiden soll und wenn es an ihm hängt, ob er ihr Leben retten kann oder nicht. Wäre die Serie etwas weniger sentimental, könnte auch die Ambivalenz gegenüber dem geliebten Objekt zur Sprache kommen sowie der Umstand, daß nur der ein guter Chirurg ist, der gerne Körper aufschneidet (ich jedenfalls würde mich keinem Chirurgen anvertrauen, der kein Vergnügen an seinem Beruf hätte). Wichtiger aber scheint