Helden und andere Probleme. Jan Philipp Reemtsma. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Philipp Reemtsma
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783835345652
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Wäre er in der deutschen Fassung ohne einen Schwertstreich gestorben, es hätte zum Helden nicht gereicht. Es ist darum mehr als fragwürdig, wenn heutzutage Lebensgeschichten von Menschen, die nichts anderes waren als Leidende, so rezipiert werden, als wäre die Zuschreibung, sie seien Helden gewesen, selbstverständlich. Bei allem Bekenntnis zum Universalismus: Wer sich in eine Tradition der Eigenschaftszuschreibung einreihen möchte, kann eben nicht aus dieser Tradition ausscheren – allenfalls sie modifizieren. Es geht dabei nicht um Universalien, die unveräußerlich und traditionstranszendent existieren, sondern solche, die sich in der Tradition herausgebildet haben. Und dazu gehört im Falle des Helden, wenn nicht die Tat, so doch das Tun. Wenn das Leid hinzutritt, wird es durch das vorgängige Tun bewußt hervorgerufen oder zumindest bewußt in Kauf genommen.

      Das ändert nichts daran, daß wir Menschen, die Außerordentliches erlitten haben – aber eben nur: erlitten –, in mancher Hinsicht für Menschen ansehen, denen wir in besonderer Weise zuhören sollten. Sie wissen nämlich etwas über die Welt, das wir in der Regel nicht – oder doch zumindest so nicht – wissen. Und dies – so unsere Intuition – nicht nur über jenes Ereignis, das sie zu Leidenden machte, und über dieses Leid selbst, sondern »irgendwie« über die Welt als solche. Das ist der Grund, warum Bücher wie die von Primo Levi, Robert Antelme, Jean Améry, Ruth Klüger solche Autorität haben, daß man, wenn man mit einem Zitat von ihnen einen Aufsatz abschließt, leicht dem ganzen Aufsatz Autorität verleiht (und warum Menschen in solche Schwierigkeiten geraten, wenn sie sich auf Deutungskontroversen wie die zwischen Levi und Améry einlassen – was sie in der Regel vermeiden).

      Was für einen Status wir solchen Menschen, die gelitten haben und durch ihre Berichte zu exemplarisch Leidenden geworden sind, auch zuschreiben wollen, »Helden« können wir sie nicht nennen, sonst würde unter diesem Begriff nichts Faßbares mehr begriffen. Zum Helden gehört die Tat – muß es eine Gewalttat sein? In den alten Maeren schon, aber es hat sich eine Tradition herausgebildet, die Tat und Tod scheidet. Christian Schneider hat insofern unrecht, wenn er den Helden mit der Gewalttat identifiziert: »Mit einem Wort: Wer Held sagt, sagt automatisch Tod. Oder genauer: Mord.«[13]

      Schon früh gibt es ganz erstaunliche andere Helden. Im Historischen Wörterbuch der Philosophie ist dem Eintrag »Held, Heros« zu entnehmen, daß die ursprüngliche Verwendung des Wortes »Heros« ebenjene Übersteigerung des menschlichen Maßes meinte, um die es mir geht, im Totenkult aber zusehends metaphorisiert wurde – das Wort wurde zu einer postumen Ehrzusprechung, bis hin zur Heroisierung von Gründern von Philosophenschulen. Catull heftete das Wort an Geliebte, Ovid an verlassene Frauen, die ihren treulosen Geliebten »epistulae heroides« schreiben. Aber das gehört doch wohl einem anderen (Sie verzeihen das Wort:) Diskurs an, dem des Anheftens von Etiketten aus anderen Sphären – die Frau wird zur »Königin«, zur »Göttin« etc. Dies ist keine Erweiterung der Rede vom Helden, sondern der von der Frau.

      Wir kennen heutzutage die Rede von den »Helden des Alltags«, eine Redefigur, die sich gegen die Idee eines Gewalttätigen wendet, aber die des Außerordentlichen bewahrt und betont. Trotzdem ist die Rede merkwürdig schief: War es außerordentlich, dann war es eben kein Alltag mehr. Im Alltag riskiert man glücklicherweise sein Leben nicht. Hat jemand unter Einsatz ihres Lebens jemanden aus einem brennenden Auto befreit, dann war das kein »Alltag«, für keinen der Beteiligten und für die Zeugen der Tat nicht; und wenn ein Wurstbudenbesitzer dem Ansturm hungriger Fußballfans standhält und dreimal mehr Bratwürste serviert als sonst, dann ist er ein Kandidat für das Guinness Book of Records und für ein Freiabonnement des Fußballvereins, aber kein Held. Auch diejenigen, die Bundesverdienstkreuze für ehrenamtliche Tätigkeiten bekommen, sind keine Helden, sie sind nützlich, sie sind nötig, sie werden zu Recht geehrt, aber das Wort »Held« ist irgendwie ein Mißgriff: Es fehlt das persönliche Risiko.

      Anders verhält es sich mit jenen, denen Susan Neiman in Moral Clarity das Kapitel »Heroes of Enlightenment« widmet: »Are they saintly?« schreibt sie. »Not in the least, though you may find them extraordinary. I suspect each would say they are no more than what ordinary men and women can be – if they chose.«[14] Nur: wenn sie wählen, sind sie eben nicht mehr »ordinary men and women«. Und die, die so gewählt haben, wissen das – wenigstens irgendwie. Was sind das für Leute? Sie sind zum Beispiel tätig im Westjordanland, in Afghanistan, haben die Pentagon-Papers veröffentlicht, haben für Rassengleichheit gekämpft. Sie alle sind persönliche Risiken eingegangen, sie alle werden übrigens nicht von jedermann als Helden bezeichnet, Daniel Ellsberg nicht von der Nixon-Administration, David Shulman nicht von radikalen israelischen Siedlern, Sarah Chayes nicht von denen, die das afghanische Dorf, an dessen Wiederaufbau sie arbeitet, unter Beschuß nehmen, Bob Moses nicht von der Witwe von Herbert Lee, der erschossen wurde, als er sich, dem Appell von Moses folgend, im Bundesstaat Mississippi in eine Wählerliste eintragen lassen wollte: »You killed my husband!«[15]

      Aber welche Saite wird in uns zum Klingen gebracht? Man könnte sagen, daß hier Menschen praktisch für Ideale einstehen, die uns – einmal, weil wir in ihre kulturellen Kontexte zufällig hineingeboren oder -gewachsen sind, zum andern, weil wir aus »Gründen, Wahl des Bessern« bei ihnen geblieben sind – besonders bedeutsam erscheinen, weil hier Tun nicht an die Stelle von Reflexion tritt, sondern zu ihr hinzukommt und – in gewissem Sinne – sie einlöst. Und dies unter Inkaufnahme eines nicht geringen persönlichen Risikos. Der frühere Green Beret Lieutenant Colonel Tony Schwalm über Sarah Chayes: »She was risking life and limb to craft a better, freer, more secure way of life for a people that she did not know very long before she started her efforts.«[16] – Das alles ist richtig, aber nicht Alles, denn unsere Bewunderung ist nicht abstrakt – wir sehen nicht ein Notenbild, sondern die Saite klingt tatsächlich. Wir sehen nicht etwas ein – das auch –, sondern werden zudem emotional bewegt. In welcher Hinsicht?

      Susan Neiman zitiert Sarah Chayes: »This is not about selflessness. For the first time in my life I feel balanced.«[17] Tatsächlich: Ebensowenig wie Schiller und Schopenhauer einem Menschen über den Weg trauen wollten, der dem, dem er hilft, nur hilft, weil eine abstrakte Pflicht es von ihm verlangt, und der nicht irgendeine Sympathie (nicht unbedingt mit dem Individuum, sondern) mit dem Mit-Menschen als Menschen oder vielleicht bloß als Kreatur empfindet, so würden wir einem sauertöpfischen Wiederaufbauhelfer, Streetworker, Kämpfer gegen Diskriminierungen aller Arten nicht recht trauen wollen, wenn wir nicht annähmen, daß er das, was er tut, auch gerne tut. Ebenso, wie es kaum einen Gewalttäter gibt, der das, was er tut, nicht irgendwie (da gibt es viele Möglichkeiten) gerne tut, gibt es keinen, der etwas tut, was wir »gut« nennen, der das nicht irgendwo und irgendwie gerne tut. Neiman schreibt: »Peace work, says Shulman, is mostly boring, long waiting punctuated by occasional bouts of action or fear – much like war. Yet some of his descriptions are so lyrical you want to go off and join him just for the pleasure of it«.[18] Und: »What keeps Shulman going?« Shulman sagt, seine Motive und die derjenigen, mit denen er zusammenarbeitet, seien »wildly obscure, oblique« – aber das gilt für alle Motive, egal, was man tut (weshalb das Reden über »Motive« fast nie etwas bringt und man es besser einfach aufgibt). Aber: »They have come‚ out of loyalty to one another, to friends; nothing is worse than the shame of letting them down«[19] – much like war? – »We few, we happy few, we band of brothers« – Wie beschreibt Shulman seinen Kampfeinsatz im Libanon?: »The official ideology […] was of no consequence compared to the ›high‹ we got from one another, from the wild, somewhat unnerving adventure of it all.«[20] Der bereits zitierte Schwalm nennt Chayes »a ballerina in a battlefield«. Also nicht nur ein Bewußtsein des Risikos, das man eingeht, sondern eine gewisse Verachtung des Risikos? Ich bin nicht sicher, daß Chayes recht hat, wenn sie sagt, daß die Bereitschaft der Afghanen, bestimmte Risiken nicht einzugehen, auf ihre traumabedingte Unfähigkeit, sie zu kalkulieren, zurückgehe.[21] Das kann im Einzelfall so sein, es kann aber auch sein, daß einer vorsichtiger ist als sie, weil er weiß, was ihm blühen kann. Ein Trauma kann sowohl realitätsuntüchtig als auch in gesteigertem Maße realitätstüchtig machen. Meistens wohl beides, wenn auch nicht immer gleichermaßen.

      Der Einsatz für den Frieden wie im Krieg kann sich, darauf deuten die Indizien, aus denselben oder wenigstens ähnlichen psychischen Quellen speisen. Das entspricht der nicht nur psychoanalytischen Einsicht,