Vom Geist Europas. Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerd-Klaus Kaltenbrunner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783990810545
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von Regen, Donner und Blitzen befruchtete Boden, der uns trägt, nährt und im Tode wieder aufnimmt. Der biblische Gottvaterfluch, daß Adam zur Erde wiederkehren werde, wie er von ihr genommen sei, lautet in von Hesiod inspirierter matriarchalischer Auslegung schlicht und einfach: Der Mutter bist du ausgeboren, also wirst du zurückfinden zur Mutter … Himmel und Erde, einander herzend, bilden gleichsam das Haus der Welt, den vom Sternengewölbe überzelteten Schollengrund aller Lebewesen, die von oben beleuchtete Weltenhöhle, aus der wir eigentlich gar nicht fallen können, weder im Leben noch im Tode.

      Nun aber gibt es kein Innehalten mehr, der Weltprozeß wird erst jetzt völlig entfesselt. Dem heiligen Inzest von Gaia und Uranos entsproßt als erster Titan Okeanos, der von Pontos, dem gewöhnlichen Meer, zu unterscheidende Weltozean, den sich die Alten als die Erde ringförmig umkreisenden Strom vorstellten. Dann gebiert die uranisch befruchtete Erdgöttin die übrigen der insgesamt zwölf Titanen, deren jüngster Kronos ist, „dieses schreckliche Kind”. Hierauf folgen drei hundertarmige Riesen und die ebenfalls gewaltigen Kyklopen, welche später dem Zeus als Schmiede dienen werden.

      Uranos wird bange angesichts dieser kraftstrotzenden Brut. Eifersüchtig versteckt er sie tief im Schoß der Erde. Er befördert sie somit auf unvorstellbare Weise zurück in den Leib seiner Mutter und Gattin Gaia. Er mißgönnt ihnen das Licht und zwingt die Mutter der Riesenkinder, auf die Freuden weiterer Geburten und heranwachsender Nachkommenschaft zu verzichten. Damit löst er eine Familientragödie aus, die alle Ehedramen der Welt, von Sophokles’ „Oidipus” über Strindbergs „Der Vater” bis zu Karl Schönherrs „Der Weibsteufel” und Eugene O’Neills „Trauer muß Elektra tragen”, durch ihre kosmogonische Dimension in den Schatten stellt.

      Die unter der Last der gewaltsam in ihrem Schoß zurückgehaltenen Kinder stöhnende Gaia schmiedet grollerfüllt eine gewaltige Sichel. So wie sie sich zuerst mit ihrem Sohn Uranos verbunden hatte, so verbündet sich die Enttäuschte nun gegen ihn mit dessen eigenen Kindern. Sie fordert Rache für die ihr von Uranos angetane Schande. Die gekränkte Gaia schmiedet nicht nur die Sichel, sondern einen Verschwörerbund. Aber alle faßt Entsetzen, als sie vernehmen, was die in ihrer Würde beleidigte Mutter ihren Kindern ansinnt. Einzig der jüngste der Titanen, „der listenmächtige” Kronos, erkühnt sich, den Frevel des Vaters durch einen anderen zu sühnen:

       Mutter, so will denn ich dir dies versprechen und möchte

       Gern das Werk vollenden, denn unser verrufener Vater

      Kümmert mich wenig, zuerst hat er ja übel gehandelt.

      Und dann geschieht etwas Ungeheuerliches, das sich allenfalls mit dem apokalyptischen Krieg zwischen Michael und den abgefallenen Engeln vergleichen läßt. Die Eichendorffsche Mondnachtidylle, wo der Himmel die Erde leise küßt, endet unversehens in einer von der Mutter eingefädelten, vom jüngsten Sohn vollstreckten Bluthochzeit mit äonischen Auswirkungen:

       An kam mit der Nacht der gewaltige Uranos, sehnend

       Schlang er sich voller Liebe um Gaia und dehnte sich endlos

       Weit. Da streckte der Sohn aus seinem Verstecke die linke

      Hand und griff mit der rechten die ungeheuerlich große,

       Schneidende, zahnige Sichel und mähte dem eigenen Vater

       Eilig ab die Scham und warf im Fluge sie nieder

      Hinter sich

      Der Muttersohn Kronos tötet den Himmelvater Uranos nicht, aber er entmannt ihn. Angestiftet von der Erdmutter, beraubt er ihn des Gemachtes während des nächtlichen Liebesspiels. Aber bei Hesiod mindert nicht einmal eine mutterrächerische, männlichkeitsmordende Meintat die All-Fruchtbarkeit.

      Das von Kronos amputierte Geschlechtsglied des Himmelvaters fällt durch die Sphären zur Erde herab. Das ihm entquellende Blut des verstümmelten Uranos sickert in Gaias Schoß. Darauf enstehen schließlich die drei Erinnyen, das waffenschimmernde Riesenvolk der Giganten und, als lieblicheres Gegengewicht zu soviel Entsetzen, die ersten Nymphen, die sogenannten Meliaden, weil sie vorzugsweise in einer Esche (griechisch melia) wohnen. Spätere Zeiten, die den Nymphen und Feen abhold waren, machten dann aus der Esche den Baum, in dem die Hexen hausen, ausgelassene Sabbate abhalten und aus dessen Holz die Stiele der Besen anfertigen, auf denen sie rittlings zum Blocksberg entfahren.

      Von der Esche stammen aber sowohl nach Hesiod als auch nach germanischem und iranischem Mythos die Menschen ab. Genauer wäre zu sagen, daß nach Hesiod das Menschengeschlecht des ehernen Zeitalters eschengeboren sei, während der spätantike Enzyklopädist Hesychios von Alexandrien alle Sterblichen diesem Baum entsprungen sein läßt.

      Uralt ist ja der Glaube, daß Bäume und Menschen verwandt, daß Blut und Harz im Grunde ein einziger Saft seien. Völker sind Menschenwälder, Wälder sind Baumvölker. Der kosmische Baum, an dem das Schicksal der Welt hängt, ist die dem Odin heilige Esche Yggdrasill. Esche ist aber im Griechischen ein Synonym für Lanze oder Speer. Aus dem Holz, aus dem sie selber zu sein wähnten, fertigten die alten Griechen wie Germanen ihre Waffen an. Bei Homer (Ilias II, 542 ff.) heißt es deshalb:

      Rasch ihm folgte sein Volk mit rückwärtsfliegendem Haupthaar,

       Schwinger des Speers und begierig, mit ausgestreckter Esche

       Krachend des Panzers Erz an feindlicher Brust zu durch-

      schmettern.

      Die lebenschenkende und holden Nymphen gesellte Esche wird durch männliches Handwerk zum Todesholz. Bäume wie Krieger werden gefällt, sind im Tode: Gefallene. Noch zur Ritterzeit umpflanzten deshalb Fürsten, Grafen und Vögte gerne ihre Burgen mit Eschen. Daran erinnern auch die in deutschen Landen so häufigen Ortsnamen Esch, Eschbach, Eschau, Eschdorf, Eschelbach, Eschelbronn, Eschenau, Eschenberg, Eschenbruch, Eschenhausen, Eschenlohe, Eschenrode, Eschwege, Eschweiler und manche ähnliche. Der ritterliche Dichter des „Parzival”, Meister Wolfram, nannte sich selbst immer „von Eschenbach”. Die vielen Speere, die in den Turnieren, Tjosten und Schlachten des Gralsepos geschwungen und zerbrochen werden, sind ebenso aus Eschenholz wie die Kampfstangen der Helden Homers und der Schaft der Lanze, mit dem der römische Soldat in die Seite des tot am Kreuze hängenden Nazareners stieß.

      Wegen des lieblichen Geschmacks des Saftes insbesondere der Mannaesche, den die Zikaden wie Nektar schätzen, galt die Esche den Griechen nicht nur als gewachsenes Nymphäum, Lebensbaum und Waffenholzlieferin, sondern geradezu als „Süßholz”. Die griechischen Namen für Esche (melia) und Honig (meli) sind fast gleichlautend. Die Meliaden sind also honigspendende Manna-Mädchen. In dieser Eigenschaft erinnern die Eschennymphen ans Goldene Zeitalter, das von so manchem Volk mit dem Honigseim zusammengebracht wird. Die ursprünglichste, naturgegebene Speise der Götter, angemessen dem von ihnen genossenen wesenhaften Glück, ist nicht die Ambrosia, sondern der Honig, der wunderbar von selbst aus Blumenblüten und Baumkronen herabtaut. Pasi theois meli, „Allen Göttern Honig”, lautet die Inschrift eines Tontäfelchens aus Knossos, das schon etwa achthundert Jahre alt war, als Hesiod seine „Theogonie” schuf.

      Sogar der seines Zeugungsgliedes beraubte Uranos ist noch erstaunlich fruchtbar, bringt durch das grausam vergossene Blut Erinnyen, Giganten und Eschennymphen hervor. Schließlich purzelt der vom Himmel auf die Erde herabgefallene Phallos bergabwärts ins Meer. Hier aber geschieht das Wunder aller Wunder, wandelt sich Entsetzen urplötzlich in Entzücken, abscheuliche Entmannung in anmutsvollste Weibwerdung:

       Aber sobald dann die Scham mit der stählernen Sichel geschnitten

      Und sie vom Lande gekollert hinab in das brausende Weltmeer,

       Trieb sie lange dahin durch flutende Wellen; da hob sich

       Weißlicher Schaum aus unsterblichem Fleisch, es wuchs eine Jungfrau

       In ihm empor, sie nahte der heiligen Insel Kythere

      Erst, doch gelangte sie dann zum ringsumflossenen Kypros.