Auch dies hat Platon in den unvergeßlichen Worten seines siebenten Briefes formuliert, im Bewußtsein, daß er hier eine Dimension berührt, die eigentlich jenseits des Äußerungsfähigen liegt: „Denn es läßt sich nicht in Worte fassen wie andere Wissenschaften, sondern aus dem Zusammensein in ständiger Bemühung um das Problem und aus dem Zusammenleben entsteht es plötzlich wie ein Licht, das von einem springenden Funken entfacht wird, in der Seele und nährt sich dann weiter durch sich selbst.”
Platon hat mit diesen Worten sein Ideal einer „Akademie” umrissen, von der unsere Lehr- und Diskutierbetriebe bloß den Namen haben. Kein akademischer Philosoph würde heute mit Cicero Platon den „Gott unter den Philosophen” nennen. Auch vom urspringenden Staunen wird von Schulphilosophen kaum gesprochen, wohl aber in zunehmendem Maße von über die Grenzen ihres Faches hinausdenkenden Naturwissenschaftlern und Soziologen, vor allem aber von den Dichtern.
Achtzig Generationen waren über die Erde gezogen, als Nikos Kazantzakis in dem analphabetischen Arbeiter Alexis Sorbas einen Menschen unseres Jahrhunderts gestaltete, der, ohne je von Platon etwas vernommen zu haben, ein naturwüchsiger Platoniker ist: „Mit demselben fragenden Erstaunen pflegt er jeden Menschen, einen blühenden Baum, ein Glas frisches Wasser anzusehen … Alles erscheint ihm als Wunder, und jeden Morgen, wenn er die Augen aufschlägt und die Bäume, das Meer, die Steine oder einen Vogel ansieht, steht er mit offenem Mund da.”
Die Sonne Homers lächelt auch uns noch und ebenso das Intelligenz, Argument und Apophantik gewordene Lächeln der leicht gekräuselten Lippen des Sokratikers Platon. Das Lächeln des metaphysischen Charmeurs ist das gleichsam transzendentale Lächeln des Odysseus von Ithaka wie des Alexis Sorbas von Kreta. Es umspielt das Antlitz Picos della Mirandola, Erasmus’, Goethes und Novalis’. Mag in gewissen Stunden philosophischer Verdauungsschwäche und Verstimmung ein freudloser Famulus sich trübselig sagen:
Ich empfinde fast ein Grauen,
Daß ich, Plato, für und für
Bin gesessen über dir:
Es ist Zeit hinauszuschauen
Und sich bei den frischen Quellen
In dem Grünen zu ergehn,
Wo die schönen Blumen stehn …
(Martin Opitz)
Aber was ist recht verstandener Platon, der nicht zum verschulten Platonismus oder altphilologischen Pflichtpensum erniedrigte Platon, anderes als ein Wasserfall frischer Quellen und ein ewiger Frühling, der den abendländischen Geist immer wieder zum Erblühen bringt? Sooft uns seine Sonne lächelt, taut das Eis der Denkzwänge und Schematismen, ist etwas Griechisches im Aufbrechen: am Pariser Hof zur Zeit des Scotus Eriugena; im zwölften Jahrhundert in Chartres; dann im mediceischen Florenz und überhaupt in der italienischen Renaissance; in der im siebzehnten Jahrhundert gedeihenden Schule von Cambridge, die mittelbar noch einen Newton beeinflußte; in Weimar und Jena zur Zeit Goethes und Schillers; unter König Ludwig I. in München, als dort Baader, Schelling, Görres, Döllinger und Lasaulx lehrten.
Sooft uns Platon lächelt, wird es aufgeräumter, heller und freundlicher in Europa, erhebt sich der Mensch vom Prokrustesbett angemaßter Orthodoxie, kämpft er mit dem Florett gegen die Windbeuteleien der Sophisten und materialistische Herabsetzung. Platon ist allemal Geistesfrühling, Sonnenaufgang, Erwachen aus dogmatischem Schlummer und phantombewirkten Katzenjammer. Wo Platon lächelt, blüht Geistes-Gegenwart, Freude am Denken und staunende Feinfühligkeit gegenüber dem Wunderbaren. Platon ist die Philosophie, die dem Boëthius im Kerker erscheint, so wie sie den zum Tode verurteilten Sokrates die ironische Haltung gegenüber dem Leben bis zuletzt bewahren läßt. Das Lächeln Platons umspielt und segnet alle Momente, in denen der Vorrang der Form vor dem Stoffe sich mit siegreicher Anmut kundgibt. Es erneuert und vertraut auf die ästhetische Erziehung des Menschen, die Versöhnung von Sinnlichkeit und Geist, Schönheit, Weisheit und Güte. Es läßt uns entzückt für einen gnadenhaften Augenblick un riso dell’universo gewahren, von dem Dante (Paradiso XXVII, 4 ff.) singt:
Was ich hier sah, schien mir ein Lächeln süß
Des Weltalls, also daß mir Aug und Ohr
Die Trunkenheit ins Innere strömen ließ.
(1989)
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