»Was, Herr Consul?«
»Spreche ich so undeutlich? Er ist entlassen.«
»Nicht mal als Knecht?«, fragte der Wandergeselle. »Ich mache alles, selbst die schmutzigsten Arbeiten.«
»Ich habe Knechte«, erwiderte Tile und ging hinaus.
»Tot?«, fragte Johanna von Alfeld. Ihr Gesicht war bleich.
»Ja, tot«, sagte Heinrich. Er hatte nicht die geringste Lust, über den Vorfall in der Lovekenstube zu sprechen. Hunger hatte er, aber die Weinsuppe war längst erkaltet. Heinrich von Alfeld brach sich ein Stück vom Brot.
»Soll ich die Suppe aufwärmen lassen?«, fragte Johanna. »Ich wäre dir sehr dankbar«, entgegnete Heinrich.
»Nun, dann sage ich der Magd Bescheid.« Johanna blieb aber sitzen. Weiber waren nun mal furchtbar neugierig. »Wer hat es denn getan?«
»Weiß ich doch nicht.« Heinrich von Alfeld hatte die Nase voll. Seine Ratskollegen hatten ihn bereits mit inquisitorischen Fragen gequält, nun wollte er in Ruhe gelassen werden.
»Hast du nichts gesehen?«
»Geh ins Bett!«, sagte von Alfeld müde. Er mochte kein weiteres Wort mehr wechseln, mit niemandem.
»Heinrich!« Jetzt machte Johanna auch noch diese Kuh augen, von denen sie glaubte, sie würden ihn erregen. Und sie neigte den Kopf zur Seite – das war alles andere als verführerisch. Die Frau, mit der Heinrich von Alfeld seit elf Jahren verheiratet war, widerte ihn nur noch an.
»Ins Bett! Oder ich hole den Stock!«
»Das darfst du nicht.« Johanna zog die Lippen kraus. Sie hatte Recht, als Ehemann durfte er seine Frau zwar schlagen, aber nur in Maßen. Übertrieb er die Züchtigung, würde man ihn vor den Rat zitieren, und sein blödes Weib hätte Anspruch auf Entschädigung. Warum hatte er sie nur geheiratet? Eine rhetorische Frage: Sein Vater hatte die Ehe gestiftet. Johanna war schließlich eine Raven, und die Raven waren reich. Deshalb hatte er die dumme Kuh ehelichen müssen. Pecunia non olet! Aber sie, sie stank ihm.
»Sofort ins Bett mit dir!«, befahl er erneut. Nun endlich gehorchte sie und verschwand.
Als junger Mann hatte er immerhin noch gehofft, dass Liebe aus Gewohnheit entstand. Aber aus Gewohnheit entstand nur Hass.
Heinrich von Alfeld schenkte sich Wein ein. Er handelte zwar mit Einbecker Bier, das als das beste Bier der Welt galt, aber als wohlhabender Knochenhauer und Ratsherr trank er natürlich am Abend einen Krug guten Franzenweins. Das konnte er sich leisten, auch dank Johannas üppiger Mitgift. Sie hatte dafür gesorgt, dass er sich zu den angesehensten Bürgern Hildesheims zählen durfte. Aber nun brauchte er sie nicht mehr. Er stand auf eigenen Füßen, und zwar sehr sicher.
Heinrich von Alfeld erhob sich und ging zur Tür. Schon lange grübelte er darüber nach, wie er sein Weib auf gewandte Weise beseitigen konnte. Den Beischlaf vollzog er seit Jahren nicht mehr; wenn ihn die Geschlechtslust ankam, ging er entweder in die Badestube oder zu seiner Tochter Anna. Anna war ein liebes Mädchen, sehr nachgiebig und mit einer sehr weichen Haut.
Heinrich riss die Tür auf. Im Vorraum hockte die Magd Frieda auf einer Bank, schwankend zwischen dem Bedürfnis, sofort einzuschlafen, und der Furcht, dass ihr Herr noch Wünsche äußern könnte.
Ihr Herr hatte einen Wunsch.
»Frieda, bring mir meinen Sohn!«, ordnete er an.
»Welchen, Herr?«
»Ja, welchen schon, dummes Stück?! Den ältesten natürlich.«
»Peter?« Frieda war noch nicht ganz bei sich.
»Ich habe nur einen ältesten Sohn«, sagte Alfeld und schlug die Magd ins Gesicht. Das stimmte nicht ganz, denn seinen ersten männlichen Nachkommen hatte er vor vielen, vielen Jahren mit Frieda gezeugt; Johanna war damals zu jung und nicht empfängnisbereit gewesen. Das Kind, das nicht einmal getauft worden war, hatte er sofort nach der Entbindung in der Abortgrube versenkt. Er wollte keine Bankerte – die verursachten nur Schuldgefühle und Kosten.
Frieda, die dick geworden war und Alfeld längst nicht mehr gefiel, machte sich unverzüglich auf den Weg. Heinrich kehrte in die Stube zurück und setzte sich auf die Bank vor dem Ofen, denn Wärme konnte er jetzt gebrauchen, und der einzige Wärmespender in seinem Haus war der Kamin. Und Anna, seine Tochter.
Peter erschien im Nachtgewand. Er war nun neunzehn Jahre alt und musste alsbald verheiratet werden. Waldemar Klingenbiel war seit langem scharf auf Peter. Seine Tochter Magdalena war zwölf, also heiratsfähig. Heinrich stand dieser Verbindung nicht im Wege. Waldemar war zwar kein Ratsherr, und das Sankt-Andreas-Knochenhaueramt war nicht das führende, aber Klingenbiel hatte Geld. Hundert Marien groschen war ihm die Ehe wert. Das war keine gigantische Summe, aber Alfeld würde seinen Sohn endlich loswerden.
»Setz dich zu mir«, bat Heinrich. Peter nahm Platz, am äußersten Ende der Bank. Heinrich von Alfeld wusste, dass sein Sohn ihn abgrundtief hasste, ging aber gelassen darüber hinweg. In seinem Haus hasste jeder jeden. Nur Anna, die hasste nicht. Sie liebte ihren Vater.
»Was wollt Ihr, Herr Vater?«, fragte Peter. Er schaute an Heinrich Alfeld vorbei und musterte die Ofenkacheln, als hätte er sie noch nie gesehen.
»Ja, was denkst du denn? Was soll ich wohl wünschen? Dass du krepierst?«
»Wünscht Ihr das, Herr Vater?«
»Ach was! Ich bin Knochenhauer, ich handle mit Fleisch. Und du bist ein Stück Fleisch für mich, das ich günstig verkaufen möchte.«
»An Waldemar Klingenbiel, Herr Vater?«
»Genau, Sohn. Du wirst seine Tochter Magdalena heiraten.« Heinrich von Alfeld lächelte. Magdalena war ein ausgesprochen süßes Mädchen. Peter würde sie zwar heiraten, aber Alfeld hoffte, auch etwas von dem Kuchen abzubekommen. Besser konnte es doch gar nicht sein. Nur Gott würde dieser sündhaften Konstruktion nicht gewogen sein; deshalb hatte Alfeld bereits vorsorglich päpstliche Ablassbriefe erworben, die ihm 99 999 Jahre Sündenablass und Schutz vor dem Fegefeuer gewährten, und dann konnte man weitersehen. Ein Vermögen hatten diese Briefe gekostet, doch sie waren ihren Preis wert.
»Ich liebe dieses Mädchen aber nicht, Herr Vater«, wagte Peter einen schwachen Einwand. Ernst nehmen musste Alfeld ihn nicht, denn Peter wollte erben, und das konnte er nur, wenn er sich wohl verhielt.
»Ja, das ist Pech«, sagte Heinrich. »Aber du weißt selbst, dass es Heiraten aus Liebe nur bei den Armen gibt. Büdner, Tagelöhner, Gaukler und anderes Gesindel dürfen ihrem Herzen folgen oder, wenn du so willst, auch ihrem Schwanz. Unser einer setzt eben andere Prioritäten. Klingenbiel gibt Magdalena eine beachtliche Mitgift. Ich habe schon mit meinem Schwager Dirich Raven gesprochen. Er verkauft uns ein Haus in der Jacobistraße, auf dem auch die Braugerechtigkeit liegt. Ich meine, Junge, du bist vollkommen missraten, was nur deiner Mutter geschuldet sein kann. Du kannst überhaupt nichts. Dass du zum Knochenhauer taugst, habe ich gar nicht erwartet. Aber deine Mutter wollte doch, dass du Priester wirst. Ich habe dein Studium an der Universität Erfurt finanziert … Und du? Ein Jahr hast du durchgehalten. Du bist dumm, Peter, so dumm wie deine Mutter. Theologie und Jurisprudenz sind für dich Bücher mit sieben Siegeln. Aber vielleicht, habe ich gedacht, wird ein anständiger Kaufmann aus ihm, wenn er schon in der Stadt versagt, in der Adam Riese tätig war. Adam Riese, sagt dir das was? Nein? Natürlich nicht. Du kannst ja nicht einmal rechnen! Genauer gesagt, du rechnest wie ein Lutheraner: Eins mit eins ist vier. So rechnet dieser Luther doch.«
»Herr Vater, so dürft Ihr nicht reden«, sagte Peter leise.
»Nein? Ich darf in meinem Haus nicht reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist? Weil mein missratener Erstgeborener ein Martinianer ist? Dein Luther bringt doch nur Unordnung ins Reich. Ich bin Metzger, ich weide Tiere aus und verkaufe das Fleisch, und mit Gott bin ich im Reinen.« Heinrich von Alfeld klopfte sich auf die Schulter. »Wirst du Magdalena Klingenbiel heiraten?«
»Wenn