Der Geselle des Knochenhauers. Frank Goyke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Goyke
Издательство: Bookwire
Серия: Hansekrimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863935122
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Der Prediger der Andreaskirche meinte heute Morgen, dass Lutheraner hinter dem Mord an Peter Groper stecken. Er hat die Anhänger des Martinismus in Bausch und Bogen verdammt. Das ist ja nichts Neues. Aber wie man hört, werden sie von allen Kanzeln nicht nur eines unmoralischen Lebenswandels geziehen, sondern auch der Mordlust. Der Mord an Groper passt Weihbischof Fannemann ausgezeichnet ins Konzept.«

      »Aber was hast du mit den Lutheranern zu schaffen?« Gesche nahm die rechte Hand ihres Mannes und hielt sie fest. »Als mein Vater noch Bürgermeister war, wagten sie nicht den Kopf zu heben.«

      »Das stimmt nicht. Den Kopf gehoben haben sie schon …«

      »Aber sie hatten nichts zu sagen.«

      »Wohl wahr«, sagte Tile.

      »Mein Vater hat eine Delegation nach Burgos geschickt, die Kaiser Karl ein Wappenprivileg für unsere Stadt abringen sollte, was ihr ja auch gelungen ist. Mittlerweile habe ich jedoch den Eindruck, dass seine Verdienste um unsere Stadt sehr schnell in Vergessenheit geraten sind. Das Wappen ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, und über meinen Vater spricht man nicht mehr!«

      »Ich schon, Gesche. Ich habe nicht vergessen, dass dein Vater ein verdienstvoller Mann war. Warum regst du dich auf?«

      »Ich rege mich nicht auf!«

      »Und ob.« Tile streichelte seiner Frau das Gesicht. Gesche musste sich sehr zusammenreißen, um ihn nicht anzulächeln, das spürte er.

      »Ich frage mich nur, warum du auf Seiten der Protestanten stehst«, sagte sie.

      »Dort stehe ich ja nicht«, widersprach Tile. »Was dieser Luther über Gott und die göttliche Gnade, was er von der Sünde und den Sakramenten denkt, ist mir egal. Ich bin Ratmann, Gesche, ich stehe auf Seiten meiner Stadt. Und schau dir Hildesheim an. Überall findest du geistliche Immunitäten, wo die Rechtsmacht des Rates nichts gilt. Und das betrifft nicht nur die Domfreiheit. Jedes gottverdammte Kloster verfügt über unbeweglichen Besitz, wo nur geistliches Recht gilt. Jeder Mörder braucht bloß ein paar Straßen weit zu laufen, und schon ist er der städtischen Gerichtsbarkeit entzogen.«

      »Komm, Tile, die geistlichen Immunitäten achtet der Rat doch schon lange nicht mehr«, sagte Gesche.

      »De facto nicht, da hast du Recht. Aber ich möchte, dass wir auch de jure nicht mehr vor den klerikalen Sonderrechten den Hut ziehen müssen. Wenn der Klerus enteignet ist, fällt auch seine ihm eigentümliche Jurisdiktion.«

      »Du bist Lutheraner aus Geldgründen?« Gesche schüttelte den Kopf.

      »Du willst mich einfach nicht verstehen. Seit der Stiftsfehde ist Hildesheim arm. Wenn wir das Kirchenvermögen kassieren, steht unsere Stadt viel besser da. Und sie ist endlich ein einheitliches Rechtsgebiet.«

      »Und das möchtest du?«

      »Das möchte ich, Gesche. Ich will mich nicht länger von Geistlichen an der Nase herumführen lassen, die das Wort Gottes, das sie verkünden, nicht einmal lesen können. Ich bin Geschäftsmann. Mein Alltag wird vom Handel und vom Geld bestimmt. Aber ich gebe es wenigstens zu. Die Kirche wird reich mit Ablässen, aber sie tut so, als gehe es ihr nur um den Glauben. Sie ist eine Mastgans, Gesche, und es wird Zeit, sie zu schlachten.«

      »Aber wo bleibt Gott?« Gesche legte ihren Kopf an Tiles Schulter. »Wir dürfen Gott nicht vergessen.«

      »Das tue ich auch nicht. Im Gegenteil. Aber der Papstkirche ist Gott längst gleichgültig geworden. Sie ist ein Handelsunternehmen wie die Fuggerei. Gott haben sie vergessen. Sie huldigen nur noch dem Mammon.«

      »Und Martin Luther?«

      »Er klärt den Glauben zu dem, was er sein sollte: eine persönliche Zwiesprache mit dem Herrn.«

      »Du glaubst also nicht, dass Hildesheimer Protestanten hinter dem Mord an Groper stecken?«, fragte Gesche.

      »Nein, das ist dummes Zeug. Sie haben ja kein Motiv.« Tile küsste seine Frau auf die Nasenspitze. Er hatte Gesche allein aus dem Grund geheiratet, dass sie die Tochter des nunmehr verstorbenen Bürgermeisters Hans Wildefuer war. Doch mittlerweile liebte er sie, und ihr Körper weckte seine Begierde.

      »Ich liebe dich für deinen Eigensinn«, sagte Gesche. »Nur deshalb?«

      »Nicht nur. Du bist ein großer, starker Mann.«

      »Und du magst große, starke Männer?«

      »Nicht alle. Nur einen.«

      »Heißt er Tile?«

      »Mhm.«

      »Und welche Folgerungen soll ich daraus ziehen?«

      »Die Antwort findest du unter meinem Hemd.«

      Und in der Tat fand Tile dort die Antwort.

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