Treasure Love. Sandra Pollmeier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Pollmeier
Издательство: Bookwire
Серия: Treasure Hunt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783968160009
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Schritt auf mich zu und umarmte mich für den Bruchteil einer Sekunde, so wie man es halt macht, wenn man einem guten Bekannten nach langer Zeit plötzlich wieder über den Weg läuft. Noch immer roch er wie damals und es fühlte sich so schrecklich vertraut an, als wäre es gerade gestern gewesen, dass ich ihm das letzte Mal so nah gekommen bin.

      Erst nach ein paar Sekunden wurde mir bewusst, dass ich nicht alleine hier war und es vielleicht angebracht sein könnte, auch ein paar Worte zu sagen. Es hatte mir buchstäblich die Sprache verschlagen. Doch Noah, der Ben weder kannte noch wusste, welche gemeinsamen Erlebnisse uns verbanden, reagierte schneller als ich und ergriff die Initiative. Demonstrativ legte er mir seinen linken Arm um die Taille, zog mich beschützend an seine Seite und streckte Ben freundlich, aber bestimmt seine rechte, noch freie Hand entgegen. „Noah Willford, freut mich Sie kennenzulernen.“

      Ben warf Noah einen flüchtigen, abschätzenden Blick zu. Wie immer, wenn ihm etwas missfiel, zog er seine Stirn kraus und streckte sein Kinn herausfordernd nach oben. „Ben Stevens, freut mich ebenfalls“, entgegnete er mit einem kurzen Nicken. Noahs Blick wurde mit einem Schlag entspannter. „Stevens? Sind Sie ein Verwandter von Sofia? Sie hat mir nichts von Ihnen erzählt.“

      Allmählich wurde es unumgänglich, mich an dem aufkommenden Gespräch zu beteiligen. Mit einem Räuspern versuchte ich meinen anfänglichen Schock zu überspielen und presste mir mühevoll ein möglichst unbefangenes Lächeln ab. „Ja… ähm,… Noah… Darf ich vorstellen, das ist mein Bruder Ben. Wir haben uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, deshalb hat es mir gerade etwas die Sprache verschlagen.“

      „Du hast mir nie gesagt, dass du einen Bruder hast!“

      Jetzt schien Noah wirklich erleichtert und klopfte Ben kumpelhaft auf die Schultern, was dieser sich kommentarlos, aber nicht ohne einen gewissen Widerwillen gefallen ließ. Ohne auf Noah zu achten, sah er mich durchdringend an und ich wusste auch ohne Worte, dass ihm mein neuer Freund nicht sonderlich gefiel.

      „Ben und ich kennen uns auch eigentlich nicht besonders gut und sind auch eigentlich keine richtigen Geschwister“, antwortete ich möglichst gelassen. „Wir sind nicht zusammen aufgewachsen und haben uns erst nach dem Tod meines Vaters kennengelernt. Ben hat mir in den ersten beiden Monaten nach Papas Unfall geholfen, wieder Fuß zu fassen. Etwas später bin ich aber zu Stella gezogen, wie du ja weißt.“

      Wir gingen ein paar Schritte weiter und ich faltete meine rechte Hand in Noahs, was Ben ebenfalls mit einem Zucken in den Augenwinkeln registrierte.

      „Ich verstehe.“ Noah lächelte, ich sah ihm an, dass er eigentlich gar nichts verstand. „Dann kann ich Ihnen ja nur danken, dass Sie Sofia in dieser schweren Zeit zur Seite gestanden haben. Es ist schlimm, wenn man in so jungen Jahren mit einem Mal ganz allein dasteht.“

      Anstatt zu antworten, lächelte Ben nur gepresst und schenkte Noah einen abschätzigen Blick von der Seite.

      „Und ich freue mich, dass sie nun anscheinend neue Freunde gefunden hat“, entgegnete er nach einer Weile.

      Hallo? Ich war auch noch da. Warum redeten sie über mich wie über ein kleines Kind? Dieses höfliche Geplänkel ging mir auf den Geist. Ich hatte so viele Fragen an Ben, dass ich es nahezu quälend empfand, vor Noah so zu tun, als würde man im Vorbeigehen einen netten Smalltalk halten. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er sich von uns verabschieden würde, doch den Gefallen tat mein neuer Freund mir nicht. Im Gegenteil, er schien ganz erpicht darauf zu sein, Ben näher kennenzulernen, und verwickelte ihn in eine nervenzehrend langweilige Konversation über das Wetter, Weihnachten und die Uni, dass ich kaum noch in der Lage war, dem Gespräch der beiden zu folgen.

       Wo warst du die ganze Zeit? Warum bist du damals einfach so verschwunden? Und was willst du jetzt wieder hier? Jetzt, wo ich es endlich geschafft habe, nicht mehr alle fünf Minuten über dich nachzudenken?

      „… Findest du nicht auch, Sofia? … Sofia?“

      „Hm?“ Erst als ich meinen Namen vernahm, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.

      „Ich sagte, Ben könnte uns doch morgen Abend auf den Weihnachtsball der Uni begleiten. Ich hätte da noch eine Freikarte, es gibt dort immer hervorragendes Essen, gute Musik und viele hübsche Dozentinnen und Referendarinnen, die die Weihnachtstage ungerne allein verbringen. Wie klingt das für euch?“

      „Also… ich weiß nicht“, wehrte Ben ab, bevor ich mich zu der Frage äußern konnte. „Ich bin hier eigentlich nur auf der Durchreise und wollte ein paar Dinge besorgen… außerdem habe ich keinen Anzug dabei. Und ich will auch nicht stören.“

      „Das ist doch alles kein Problem“, widersprach Noah. „Einen Anzug kann ich dir leihen, wir haben ungefähr die gleiche Größe. Und der Bruder meiner Freundin stört uns doch nicht, ganz im Gegenteil. Ich würde mich freuen, dich näher kennenzulernen. Wenn du möchtest, kannst du auch ein paar Nächte bei mir wohnen, ich habe Zimmer genug. Dann kannst du dir das Hotel sparen.“

      Wow! Jetzt waren die beiden schon per Du. Aber Ben schien es nicht entgangen zu sein, dass Noah „bei mir“ gesagt hatte und nicht „bei uns“. Nein. Davon, mit ihm zusammenzuziehen, war ich noch weit entfernt. Auch wenn Noah mich schon häufiger hatte dazu überreden wollen.

      Ein flüchtiges, schiefes Lächeln huschte über Bens Gesicht.

      „Okay“, sagte er zu Noah und sah doch wieder nur mich dabei an. „Zu dem Ball komme ich mit. Aber ich bleibe in meinem Hotel. Übermorgen muss ich nämlich schon wieder abreisen, da lohnt sich das Umziehen nicht.“

      Hatte er mir meine Enttäuschung angesehen? Ich war immer schon schlecht darin gewesen, meine Mimik unter Kontrolle zu halten. Nur bis übermorgen? Und dann? Würde er wieder ohne eine Adresse, ohne eine Telefonnummer verschwinden? Und ich würde wieder quälend lange Monate über ihn nachgrübeln?

      „Toll, das freut uns sehr“, antwortete Noah einfach schon mal pauschal für mich mit. „In welchem Hotel bist du untergekommen?“

      „Im Park Hyatt Hamburg, Zimmer 409“, entgegnete Ben etwas zögernd.

      Im Hyatt? Hatte Ben im Lotto gewonnen? Das war eine der nobelsten Adressen vor Ort. Ein Fünf-Sterne-Hotel in bester Lage.

      „Perfekt. Dann lasse ich dir morgen Nachmittag einen Anzug zukommen. Und gegen 18.00 Uhr schicke ich dir ein Taxi, das bringt dich dann zur richtigen Adresse. Sonst noch etwas, das du brauchst?“ Noah wollte Ben anscheinend in nichts nachstehen und schien es ebenfalls zu genießen, einen auf „dicke Hose“ zu machen. Schließlich war er ja der reife Mann mittleren Alters, der mit beiden Beinen fest im Leben stand.

      Ben presste die Lippen zusammen. Irgendetwas schien ihm noch auf der Seele zu liegen, doch offenbar wusste er nicht, wie er die richtigen Worte finden sollte.

      „Nur noch eine Kleinigkeit“, fügte er schließlich etwas gepresst hinzu. „Sofia, du könntest mir unser Familienstammbuch mitbringen. Ich bräuchte da ein paar Abschriften für so ´n behördlichen Kram. Du bekommst es auch ganz bald zurück.“

      Die Bemerkung sollte beiläufig klingen, doch es irritierte mich, dass Ben mir zum ersten Mal seit dem Beginn unserer Unterhaltung nicht mehr in die Augen sehen konnte. Stattdessen ging sein Blick an mir vorbei auf den Schneematsch, der sich unter unseren Füßen befand. Wozu brauchte er dieses olle Stammbuch?

      „Kein Problem“, versicherte ich, ohne weiter nachzuhaken. „Das bringe ich dir morgen Abend mit.“

      Sicher würde sich morgen noch ein Moment ergeben, in dem wir die Chance hatten, unter zwei Augen miteinander zu reden. Auf dem Weihnachtsball versammelten sich alljährlich sämtliche Mitarbeiter der Uni zu einem ausschweifenden Spektakel. Diese Tradition kannte ich bereits, als Papa noch zum illustren Kreis der geladenen Gäste zählte. In diesem Jahr gehörte ich zum allerersten Mal selbst dazu – dank Noah.

      „Wir müssen jetzt los“, sagte mein Freund und schüttelte kameradschaftlich die Hand meines vermeintlichen „Nur-Bruders“. „Dann bis morgen. Hier ist meine Nummer, wenn noch irgendetwas ist.“ Er zog eine Visitenkarte aus der