Die Positionierung der Teammitglieder im Riemann-Thomann-Kreuz verdeutlicht die Unterschiede zwischen den jeweiligen Teammitgliedern. Die Wahrnehmung des Einzelnen zu den Eigenschaften und Verhaltensweisen von ihm selbst und den anderen wird geschärft. Vielfach ist allein schon das Erkennen der unterschiedlichen Positionierungen ein erster Schritt auf dem Weg zum besseren gegenseitigen Verständnis. Es werden »Mindeststandards, die für beide Seiten gelten« (Kanitz, 2015: 34) entwickelt. Die Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdwahrnehmung und deren Relativierung ermöglicht also die weitgehend objektive Darstellung der Situation im Team. Hierzu bedarf es der Bereitschaft von allen Seiten, sich auf die Erstellung des Riemann-Thomann-Kreuzes einzulassen und sich mit der Fremdwahrnehmung durch die anderen Teammitglieder bzw. durch den Teamleiter konfrontieren zu lassen.
Nun kann es sein, dass ein oder mehrere Teammitglieder Schwierigkeiten haben, sich im Riemann-Thomann-Kreuz zu positionieren, weil sie in sich selbst sowohl eine gewisse Nähe- als auch eine gewisse Distanzorientierung spüren, je nach Situation und Gegenüber. Gleiches kann auch für die Dauer- und die Wechselorientierung gelten. Das ist vollkommen normal, denn »jeder ist ein Gemisch aus allen vier Strebungen« (Thomann, 2004: 235). In dem Fall kann zu folgender Interpretation gegriffen werden, um die Positionierung trotzdem zu ermöglichen:
• Die Raumachse wird als zweigeteilt verstanden. Im Schnittpunkt der Raum- und der Zeitachse wird die Näheorientierung als 0 Prozent ausgeprägt betrachtet, wohingegen die 100 Prozent bei einer Positionierung ganz weit links auf der Raumachse erreicht werden. Die Distanzorientierung wiederum wird ebenfalls im Schnittpunkt der Raum- und Zeitachse als zu 0 Prozent ausgeprägt angesehen. Die 100 Prozent Ausprägung der Distanzorientierung werden ganz rechts auf der Raumachse realisiert.
• Die Zeitachse wird ebenfalls als zweigeteilt verstanden. Im Schnittpunkt der Raum- und der Zeitachse sind sowohl die Dauer- als auch die Wechselorientierung mit 0 Prozent ausgeprägt. Ganz oben auf der Zeitachse erreicht die Dauerorientierung 100 Prozent, wohingegen die Wechselorientierung ganz unten auf der Zeitachse zu 100 Prozent realisiert wird.
Die Teammitglieder werden dazu aufgefordert, sich auf allen vier Teilachsen zu positionieren und zwar in Abhängigkeit von der Stärke der jeweils wahrgenommenen Orientierung zwischen 0 und 100 Prozent. Ein Mitarbeiter, der sich als meist näheorientiert empfindet, sich aber in manchen, wenn auch selten vorkommenden Situationen auch mal zum konzentrierten Arbeiten in ein Einzelbüro zurückzieht, der wird seine Kreuzchen an zwei Stellen der Raumachse setzen. Zum einen ganz weit links für die als sehr hoch empfundene Näheorientierung und zum anderen direkt rechts vom Schnittpunkt der Raum- und Zeitachse für die als zumeist gering empfundene Distanzorientierung. Eben dieser Mitarbeiter wird sich auch auf der Zeitachse positionieren. Vielleicht empfindet er sich als meistens stark dauerorientiert, manchmal aber auch als kreativ und spontan. Dann wird er seine beiden Kreuzchen auf der Zeitachse entsprechend setzen. Verbindet er nun die Kreuzchen für die jeweilige Orientierung miteinander, dann ergeben sich vier Dreiecke mit ganz unterschiedlichem Flächeninhalt. Im gerade beschriebenen Fall hat das Dreieck im linken oberen Quadranten den größten Flächeninhalt. Demensprechend stellt sich der betreffende Mitarbeiter als überwiegend nähe- und dauerorientiert heraus. (vgl. Thomann, 2004: 236)
Für die Bewertung der Positionierung der Teammitglieder im Riemann-Thomann-Kreuz ist es von besonderer Bedeutung, dass die Positionierung in allen vier Quadranten als wertneutral anzusehen ist. Keine Positionierung ist besser als die andere – nur anders. Thomann formuliert das so: »Im zwischenmenschlichen Kontakt geht es mehr darum, mit den Unterschieden umgehen zu lernen, als sie zu verkleinern oder zu vermeiden« (Thomann, 2004: 237). Jeder Typ Mitarbeiter eignet sich für andere Aufgaben. Besteht ein Team aus Teammitgliedern aus allen vier Quadranten, so ist die Zusammensetzung des Teams sehr heterogen. Die Teambildung und das Vertrautwerden mit den Teammitgliedern dauern voraussichtlich länger und fallen schwerer als in einem homogenen Team. Möglicherweise kann ein derart heterogenes Team die anstehenden Aufgaben aber besser erfüllen als ein homogenes Team. Die Fähigkeiten und Talente der Teammitglieder sind so verschieden, dass jedes Teammitglied eine andere Teilaufgabe optimal erledigen kann. Ein Team, bei dem alle Teammitglieder in einem Quadranten verortet sind, wird als homogenes Team gesehen. Das bedeutet zwar, dass die Teammitglieder sich ähnlich sind, aber dadurch sind sie nicht unbedingt effizienter. Das hat etwas mit den in Teams manchmal auftretenden Teamphänomenen zu tun, die in Kapitel B.3 eingehend besprochen werden. Letztendlich hängt die erfolgreiche Zusammenarbeit im Team davon ab, inwieweit sich die Teammitglieder selbst verstehen und ob sie bereit sind, den anderen Teammitgliedern Verständnis entgegenzubringen.
Nun sind nicht alle Teams so homogen oder heterogen wie gerade beschrieben und damit so einfach zu analysieren. Grundsätzlich erfolgt die Analyse nach folgender Vorgehensweise: Der Quadrant, in dem sich der jeweilige Mitarbeiter befindet, wird als dessen Heimatfeld bezeichnet:
• Das Heimatfeld eines Mitarbeiters mit einer hohen Distanz- und Dauerorientierung (rechts oben
• Das Heimatfeld eines Mitarbeiters mit einer hohen Distanz- und Näheorientierung (links oben
• Das Heimatfeld eines Mitarbeiters mit einer hohen Nähe- und Wechselorientierung (links unten
• Das Heimatfeld eines Mitarbeiters mit einer hohen Distanz- und Wechselorientierung (rechts unten
In seinem Heimatfeld fühlt sich der Mitarbeiter am wohlsten. Dementsprechend wird der Mitarbeiter mit dem Heimatfeld der Leistungsorientierung sich am wohlsten fühlen, wenn er von Teamkollegen umgeben ist, die ebenfalls leistungsorientiert sind. Deren Verhalten und Handlungsweise kann er nachvollziehen und kann sich in sie gut hineinversetzen, da er selbst so empfindet wie sie. Das Feld, das dem Heimatfeld diagonal gegenüberliegt, wird als die sog. Antiheimat des Mitarbeiters bezeichnet. Mit einem Teamkollegen in der Antiheimat fällt die Zusammenarbeit besonders schwer, weil er so anders denkt und handelt als der Mitarbeiter selbst. Die Antiheimat des Mitarbeiters mit der Leistungsorientierung ist dementsprechend der Quadrant der Kreativitätsorientierung und der Lebendigkeit. Dem ständig vorausplanenden, verlässlichen und sehr auf die eigene Autonomie bedachten Mitarbeiter im Quadranten der Leistungsorientierung ist die Zusammenarbeit mit dem kreativen, begeisterungsfähigen und sehr spontanen Mitarbeiter im Quadranten der Kreativitätsorientierung zutiefst suspekt. Er kann sich in die Gedankenwelt des Mitarbeiters in seiner Antiheimat nur schwer bis gar nicht hineinversetzen und versteht ihn schlicht nicht. Die Zusammenarbeit mit Teamkollegen, die in der eigenen Antiheimat verortet sind, fällt dementsprechend schwer.
In einem Team, in dem geteilte Führung praktiziert wird, ist die Arbeitsweise von den Mitarbeitern geprägt, die sich mehrheitlich in einem der Quadranten befinden. Was unter geteilter Führung zu verstehen ist, wird in Kapitel A 3.5 eingehend besprochen. In einem Team mit einer Mehrheit an Teamplayern ist bei geteilter Führung die Arbeitsatmosphäre von Vertrautheit und Wärme geprägt und das Wir-Gefühl wird hochgehalten. Ist ein einzelner Teamkollege im Quadranten der Freiheitsliebe und Unabhängigkeit