Die beste Alternative
Die Entwicklung der besten Alternative bietet sich als Hilfsmittel an, um eine hinreichende Verhandlungsmotivation und wirksamere Sicherung der Ergebnisse zu erzielen. Die beste Alternative ist vor allem dann von Interesse, wenn Differenzen mit der gegnerischen Partei nicht zu überbrücken sind oder die Gegenseite aus einer übermächtigen Position heraus verhandelt. Die zwei Zielsetzungen der besten Alternative bestehen aus dem Eigenschutz der benachteiligten Partei und der Festsetzung eines Mindestergebnisses, ein sog. Limit. Diese Zielsetzungen schränken zwar die Verhandlungsflexibilität ein, bewahren die jeweilige Partei jedoch vor zu hohen Kosten, negativen Eingeständnissen oder gar Existenzbedrohung.
Die beste Alternative trägt dazu bei, Alternativergebnisse abzuwägen, die neben den eigentlichen Verhandlungsergebnissen existieren. Je attraktiver die eigene beste Alternative ist, desto größer ist die Verhandlungsmacht einer Partei.
Die Entwicklung der besten Alternative erfolgt in drei Schritten:
1. Schaffung von Alternativmöglichkeiten, falls keine Lösung zustande kommt.
2. Priorisierung und Weiterentwicklung der geeigneten Möglichkeiten in praktische, realitätsnahe Optionen.
3. Auswahl der besten Alternative unter den geeigneten Möglichkeiten.
Die beste Alternative bietet nicht die beste, sondern die zweitbeste Lösung für ein Problem – sonst wären Verhandlungen des eigentlichen Problems redundant. Daher erfordert die beste Alternative einen gewissen Aufwand an Beziehungen oder Kosten, der höher ist als die bestmögliche Verhandlungslösung. Entwickeln beide Parteien eine beste Alternative, dann bilden diese Alternativen die natürliche Grenze, innerhalb derer die Verhandlung stattfindet. Hält eine Verhandlungspartei ihre beste Alternative für attraktiver als das Angebot der Gegenseite, wird sie dem Angebot nicht zustimmen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass jede Option für eine Einigung den Interessen beider Seiten besser gerecht wird, als deren jeweilige beste Alternative. (vgl. Fisher u. a., 2002: 145 ff)
Fünf abschließende Schritte
Die fünf abschließenden Schritte sollen noch einmal aufzeigen, wie Verhandlungssituationen generell erleichtert werden, unabhängig des Kontextes:
1. Das problematische Verhalten der Gegenseite bzw. der Verhandlungsparteien nicht verstärken.
2. Die Gegenseite zum Aufbau von Vertrauen und Sicherheit bewegen durch wertschätzende, offene und faire Kommunikation(-smittel).
3. Nur auf die optimale Lösung des Sachproblems orientieren und persönliche Beziehungen außen vorlassen.
4. Auf eine konkrete Übereinkunft hinarbeiten, die unter objektiven Kriterien eine Win-Win-Situation für beide Konfliktparteien zulässt.
5. Zustimmung zur Lösung erzielen und eine verbindliche Vereinbarung mit der Gegenseite treffen – eventuell auf die entwickelte »beste Alternative« zurückgreifen. (vgl. Fisher u. a., 2002: 155 ff)
1.2 Werte angemessen berücksichtigen
»Die Kultur einer jeden Organisation wird geprägt durch das schlechteste Verhalten, welches die Führung zu tolerieren bereit ist.« (Gruenert/Whitaker, 2015: 36).
Die Bedeutung von personenzentrierten Werten wurde in der pädagogischen Forschung bisher unterschätzt. Die Werte, von denen die Rede ist, sind: Beziehung, Respekt und Empathie (Juul/Jesper, 2019: 27). Werden diese Werte den individuellen Persönlichkeitsmerkmalen zugeschrieben und in der Folge nicht als Kompetenzen verstanden, so führt das zu einer Einschränkung der Möglichkeiten, an der Qualität und dem Umfang der Beziehungskompetenz der Führungskraft zu arbeiten. (vgl. analog die Ausführungen zur Unterrichtsarbeit von Lehrern von Juul/Jesper, 2019: 28)
In der Personalarbeit gilt es ebenso, die Beziehungskompetenz der Führungskräfte zu entwickeln. So können sie ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und ihre Werte an ihre Mitarbeiter weitergeben.
1.2.1 Vorbildfunktion der Führungskräfte
Führungskräfte haben einen großen emotionalen Einfluss auf ihre Mitarbeiter. Hatfield, Cacioppo und Rapson untersuchen dieses Phänomen und bezeichnen den Effekt als »emotionale Ansteckung« (Hatfield u. a., 1993: 96 ff, im englischen Original: emotional contagion). Darunter ist zu verstehen, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter in sozialen Interaktionen mit ihren Emotionen und ihrem daraus abgeleiteten Verhalten wie mit einem Virus infizieren (vgl. Rose, 2019a: 105). Diese Art der emotionalen Beeinflussung verläuft meistens top-down. Barsade und Knight haben experimentell gezeigt, dass die größte Ansteckungsgefahr (positiv wie negativ) für die Mitarbeiter besteht und die Führungskräfte sozusagen virulent sind. (vgl. Barsade/Knight, 2015: 21 ff)
Führungskräfte nehmen eine Vorbildfunktion ein und haben über den Effekt der »emotionalen Ansteckung« die Möglichkeit, ihre eigenen Werte an die Mitarbeiter weiterzugeben. Rose geht davon aus, dass es sehr hilfreich ist, wenn Führungskräfte erwünschtes Verhalten vorleben und umschreibt das mit dem Begriff des »Walk the Talk« (Rose, 2019a: 76). Darunter ist zu verstehen, dass Personen mit Vorbildfunktion das umsetzen sollen, was sie vorschlagen und selbst nach den Werten leben sollen, die sie mündlich vertreten. Derartig gelebte Authentizität ist immens wichtig. Das wird auch im Interview mit Tobias Esch deutlich.
Auszug aus einem Interview mit Prof. Dr. Tobias Esch, Universitätsprofessor und Leiter des Instituts für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/ Herdecke, zum Thema Werte und Glücksempfinden.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Dinge, die Führungskräfte gewährleisten müssen, damit ihre Mitarbeiter tatsächlich so etwas wie Glück im Rahmen der Arbeit empfinden?
Prof. Dr. Esch: »Vor allem: authentisch sein! Das heißt nicht, immer gute Laune haben, trotzdem geht es darum, immer wieder auch positive Dinge zu betonen, sie aktiv zu benennen, Dankbarkeit und Wertschätzung auszudrücken. Es hilft, »die Tür offenzuhalten« – das fällt vielen schwer. Ziel ist es, erreichbar zu sein, aber vor allem im Sinne innerer Präsenz. Und es geht noch einen Schritt weiter: Viele Menschen in Unternehmen vermissen Transparenz: Anerkennung, aber auch konstruktive Kritik. Führungskräfte müssen nicht immer alles begründen, aber es hilft nachweislich, sich hier ein Stück weit »über die Schulter schauen zu lassen«. Die Leute wollen spüren, dass es keinen doppelten Boden, keine geheime Agenda gibt. Die Karten sollten offen auf dem Tisch liegen, Transparenz und Fairness sind die Schlüssel.
Dazu gehört auch, für sich persönlich einen Wertekanon zu definieren, nach dem man konsequent führt. Das sind nicht diese platten Leitsprüche oder Pamphlete mit Phrasen, die eh keiner liest. Es geht vielmehr um ein Tun, um einen mir gemäßen, ethischen Rahmen, an den ich mich konsequent halte und mit dem ich auch auf meine Mitarbeiter schaue. Und an dem diese mich messen können! Hier ist es nicht das Ziel, alles schön zu reden. Führungskräfte sollten differenzieren, aber nach Möglichkeit im positiven Bereich. Wenn sie das tun, werden sie »lesbar« für andere – das zeitigt dieses Gefühl von Kontrolle, das wir so dringend benötigen.« (Rose, 2019: 64 f; Hervorhebungen durch die Autorin).
Mitarbeiter fühlen sich, wenn sie eine Wahlmöglichkeit haben, zu den Führungskräften stärker hingezogen, die positive Werte verkörpern und z. B. ihre Mitarbeiter besonders respektvoll behandeln und insgesamt wertschätzend agieren (vgl. Cameron/McNaughtan, 2014: 445 ff und Rose, 2019a: 77). In dem Fall erfolgt eine positiv geprägte Ansteckung und die Mitarbeiter werden sich gegenseitig ebenfalls mit Respekt behandeln. Der Virus des respektvollen Umgangs verbreitet sich in der Folge, wenn auch in abgeschwächter Form, ebenfalls bei sozialen Interaktionen zwischen Mitarbeitern auf einer Hierarchiebene. (vgl. Rose, 2019a: 105)
Der Multiplikatoreffekt übt insgesamt einen großen Einfluss auf das emotionale Klima der gesamten Organisation aus (vgl. Tee, 2015: 654 ff).