»Und seit ich in Ihrem Leben bin, Frau Doktor, muss ich mich jeden Tag in den Arm kneifen, um mich davon zu überzeugen, dass alles wahr ist, dass ich nicht träume, dass ich den besten Job habe, den ich jetzt habe und das bei der allerbesten Chefin der Welt.«
Roberta wurde rot, sie konnte mit Lob einfach nicht umgehen, und sie fand, dass Alma ganz gehörig übertrieb. Schnell lenkte sie ab.
»Es ist Ihnen nicht gelungen, Nicki zum Bleiben zu bewegen«, sagte sie traurig. »Wie war sie denn drauf, als sie abgefahren ist?«
Alma setzte sich für einen Moment, sie hatte alles, was auf dem Herd stand, unter Kontrolle.
»Es ging ihr sehr schlecht, und ich weiß nicht, ob sie sich davon noch einmal erholen wird. Sie hat Herrn Andoni wirklich geliebt.«
»Ja, das hat sie«, bestätigte Roberta, »aber sie hätte ihn nicht verlassen müssen, dann wäre alles anders gekommen. Alma Sie wissen selbst, dass man Menschen nicht manipulieren kann, und man kann auch nicht erwarten, dass der andere für immer allein bleibt. Roberto Andoni ist ein liebenswerter, ein sensibler, ein kluger Mann, den lässt man nicht allein, weil die äußeren Rahmenbedingungen einem nicht gefallen. Man kann nicht alles haben.«
Alma nickte.
»Das habe ich Ihrer Freundin auch gesagt, aber hinterher ist man immer schlauer. Ich weiß nicht, wie man ihr helfen kann. Sie ist wirklich am Boden zerstört, hoffentlich tut sie sich nichts an.«
Da konnte Roberta ihre Haushälterin trösten. Nicki konnte durch die gesamte Gefühlsskala gehen, sie konnte wie kein anderer Mensch alle Gefühle durchleben. Aber sie war eine sehr starke Persönlichkeit, und antun würde sie sich niemals etwas. Da war sich Roberta ganz sicher, und das sagte sie Alma auch.
Sie würde später versuchen mit Nicki zu telefonieren, aber jetzt wollte sie nicht mehr über ihre Freundin reden, und deswegen erkundigte sie sich: »Und gibt es etwas Neues im Sonnenwinkel?«
Eigentlich hatte sie nichts erwartet und war ganz erstaunt, als Alma ihr sagte, dass in das Haus von Ricky und Fabian Rückert eine Frau mit Kind eingezogen war.
»Das ist doch schön, für Kinder und Jugendliche ist das hier ein Paradies. Nirgendwo sonst können junge Menschen so sorglos aufwachsen, und wenn sie etwas erleben wollen, müssen sie nur bis Hohenborn fahren. Also, wenn ich Kinder hätte, ich wäre froh, sie hier aufwachsen zu sehen.«
Alma blickte ihre Chefin an.
Bildete sie sich das nur ein, oder hatte deren Stimme wirklich ein wenig traurig geklungen?
»Das können Sie doch, Frau Doktor«, sagte sie.
Roberta versuchte ein Lachen.
»Träumen Sie weiter, liebe Alma. Ich habe nicht einmal einen Mann. Und Sie wissen, die wachsen auch nicht auf Bäumen. Ich weiß nicht einmal, ob ich mir das noch einmal antun würde. Mit Männern habe ich kein Glück.«
Sie dachte an ihren schrecklichen Exmann, aber ihr fiel auch Kay Holl ein, der unbekümmerte junge Aussteiger, mit dem sie eine kurze, heftige Liebesgeschichte verbunden hatte, die wunderschön gewesen war. Es war Magie. Roberta träumte noch heute davon, und wenn sie ganz besonders einsam war, wünschte sie sich, Kay käme zurück. Welch frommer Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen konnte, weil ihre Lebensmuster einfach zu verschieden waren und sie beide nicht dazu bereit waren, ihr Leben für den anderen aufzugeben. Kay war aus einem etabliertem Leben ausgestiegen, um frei zu sein, frei und unabhängig. Und sie konnte sich einfach nicht vorstellen, etwas anderes zu sein als Ärztin. Ihr Beruf war ihre Erfüllung, und den würde sie niemals aufgeben.
Konnte es nicht sein, dass sie immer an Kay denken musste, weil ihre Geschichte kein Ende erlebt hatte, weil sie mittendrin, als es besonders schön gewesen war, aufgehört hatte. Und sie hatten nie einen gemeinsamen Alltag erlebt. Wäre das überhaupt möglich gewesen?
Sie musste jetzt so intensiv an Kay denken, weil es ihr mit ihm vorstellbar gewesen wäre, Kinder zu haben. Er wäre ein wundervoller Vater geworden.
»Ihnen wird der Richtige noch begegnen, Frau Doktor, das weiß ich«, drang Almas Stimme in ihre Gedanken hinein. »Und mit diesem Mann werden Sie auch Kinder haben, das weiß ich auch.«
Roberta wollte jetzt nicht sentimental werden, sie war in einer gefährlich weichen Stimmung, aus der sie unbedingt schnell herauskommen musste, und deswegen erkundigte sie sich: »Sind Sie Hellseherin, Alma?«
Alma schüttelte den Kopf.
»Nein, aber ich habe Ihnen die Karten gelegt, und die sagen eindeutig das, was ich Ihnen jetzt gerade erzählt habe.«
Ach ja, Alma und ihre Karten. Einen Spleen musste jeder haben, bei Alma war es sogar ein wenig mehr. Sie hatte sich in die Karten geflüchtet, weil ihr Leben unerträglich gewesen war, und darin hatte sie Trost gesucht und sich eine Welt zurechtgelegt, die Hoffnung versprach. Aber vielleicht war ja auch sogar etwas dran an den Karten, Roberta wollte sich da kein Urteil erlauben. Sie glaubte nicht daran, aber sich vorzustellen, dass sie irgendwann einmal einen Mann und Kinder haben würde, das fühlte sich gut an, sehr gut sogar.
»Alma«, lenkte sie rasch ab, »wie sieht es mit unserem Essen aus. Ich habe tierischen Hunger.«
Alma lachte.
»Alles fertig«, sagte sie, »wir können essen. Aber lenken Sie nicht ab, Frau Doktor. Meine Karten lügen nicht.«
Roberta entschloss sich, nichts dazu zu sagen, sie freute sich jetzt auf das Essen. Und dass das vorzüglich sein würde, davon war sie überzeugt …
*
Ricky Rückert hatte gerade die Kleinen liebevoll versorgt, als sie mit ihrer Schwägerin Stella zusammentraf, die mit ihrem Bruder Jörg verheiratet war.
Ja, es war schon praktisch, dass die Geschwister untereinander geheiratet hatten. So waren die Auerbachs und die Rückerts noch enger miteinander verbunden.
Stella war ganz aufgeregt.
»Ricky, sag mir bitte, dass das nicht wahr ist.«
Ricky verstand sich mit ihrer Schwägerin bestens, sie waren schon gute Freundinnen gewesen, ehe ihr Bruder Jörg Stella geheiratet hatte. Aber deren Aufregung verstand sie jetzt nicht.
»Was meinst du damit?«, wollte Ricky wissen. »Was soll nicht wahr sein, und weswegen bist du so aufgeregt?« Normalerweise war Ricky doch nicht so schwer von Begriff.
»Na, dass du dein Studium schmeißen willst oder sogar schon geschmissen hast.«
Ach, das Thema war mittlerweile schon leidig für sie geworden.
Seit Ricky sich dazu entschlossen hatte, war der Fall für sie erledigt, und sie wollte auch darüber nicht mehr nachdenken und reden eigentlich auch nicht. Aber bei Stella musste sie wohl eine Ausnahme machen.
»Es stimmt, und glaub mir, Stella, es war die beste Entscheidung meines Lebens. Es ist wieder Ruhe in unser Haus eingekehrt, und die Kinder danken es mir. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr sie unter meiner Abwesenheit gelitten haben mussten.«
»Aber du wolltest es, alle waren damit einverstanden, ich habe auch angeboten, einzuspringen. Ricky, ich habe dich für deinen Mut so sehr beneidet.«
»Es war auch schön, Stella, und wären nicht die Kinder, würde ich bis zum Examen studieren. Aber ich habe meine Kinder nun mal so lieb, und die sind wichtiger als jedes akademische Studium. Ich habe vorher nicht richtig darüber nachgedacht, sonst hätte ich es gar nicht erst angefangen. Aber zum Glück habe ich rechtzeitig die Notbremse gezogen, ehe in ihren kleinen Seelen ein Schaden entstanden wäre. Das hätte ich mir niemals verziehen.«
Stella konnte mit dem Thema noch nicht aufhören.
»Ich war so sehr der Meinung, dass du alles mit links schaffen würdest. Was immer du auch tust, selbst die schwierigsten Dinge, bei dir sieht alles so leicht aus,