Klangvolle Stille. Julian Schwarze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julian Schwarze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902901354
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Bann der Oronin-Frauen, und als jene Verschmelzungen, jene Kreaturen – wie auch immer man sie nennen mag – in die Dörfer der Oronin kamen, sprang die Magie, die in den Geschöpfen steckte und die Seelen an einen Körper band, auf die Oronin über und veränderte auch sie – ohne dass es zuvor zu einer Verschmelzung zweier unterschiedlicher Völker gekommen war.

      Über Generationen hinweg hatten sich die Oronin verändert, und ihr Aussehen glich zunehmend dem der Menschen. Sie waren in etwa gleich groß, und wenn sie in einen Umhang gehüllt waren, sahen sich die beiden Völker zum Verwechseln ähnlich. Nur ihre Gesichter waren unterschiedlich geformt. Die Elfen – wie das neue Volk nun genannt wurde – hatten spitze Ohren, einen schmalen Kopf und kühle Augen. Sie waren auch sehr schlank und wendig, waren schnelle Läufer, konnten gut mit Waffen umgehen und hatten einen scharfen Blick.

      Von ihren Fähigkeiten her waren die Elfen den Menschen weit überlegen. In ihnen schlummerten starke Kräfte. Sie waren die Einzigen, die die Magie zu bändigen und zu ihrem Vorteil einzusetzen wussten. Diese Fähigkeit ging über all die Jahre und Generationen hinweg zwar langsam verloren, doch in späterer Zeit gelang es erstmals auch den Menschen, Magie zu brechen und einzusetzen.

      Die Elfen erlernten bald die Sprache und Schrift der Menschen, und nach einigen Jahrzehnten entwickelten sie sogar eine eigene Sprache, die den Menschen teils immer noch fremd und unverständlich ist.

      Der Name der Oronin geriet bald in Vergessenheit, wie auch einige wenige ursprüngliche kleine Oronin selbst – welche nun in den Geschichtsbüchern als »Elfchen« bezeichnet wurden.

      Der zunehmende Wohlstand der Elfen führte zu einem weiteren Krieg – angestiftet von den Weisen der Menschen –, und bald waren all die großen Völker miteinbezogen. Bestehende Bündnisse wurden zerschlagen und neue geschlossen. Kaum jemand konnte den Überblick bewahren. Und während die Arasien erneut gegen die Menschen kämpften, zogen sich die Elfen nach Norden und Osten zurück.

      Jene von ihnen, die im Norden blieben und den Oronin am nächsten verwandt waren, errichteten inmitten eines Waldes eine kleine Stadt. Sie mussten ständig auf der Hut sein und sich vor feindlichen Truppen verstecken.

      Andere, die schon zuvor nach Osten gezogen waren, hatten es besser getroffen. Sie errichteten eine große Stadt nahe den Bergen, wo sie sich fern vom Feind weiterentwickeln konnten. Ihr Gesicht bekam mit der Zeit eine rundlichere Form und auch das Haar, das einst schwarz war, nahm einen leicht rötlichen Farbton an.

      Einige wenige waren schon Jahre zuvor nach Südosten weitergezogen, außerhalb jener Gebiete, die in den Landkarten der Menschen erfasst waren. Bald gerieten diese Elfen in Vergessenheit und man hörte lange Zeit nichts mehr von ihnen.

      Ein Jahrhundert später – im Norden war die kleine Stadt bereits zu einer recht großen angewachsen, und im Osten war Alphradon zur Hauptstadt der Elfen mit dem Königssitz ernannt worden – tauchte jedoch ein neuer Volksstamm der Elfen auf. Sie nannten sich Nalabin, die Elfen aus dem Süden. Ihre Verwandtschaft zu den Nalyot-Stämmen, die von der Gottheit Nalyos geschaffen worden waren, stand außer Zweifel: Die dunkle Haut, die feinen Sinne und ihr Geschick im Umgang mit dem Bogen und Wurfmessern war ihnen gemeinsam. Dennoch blieben sie Elfen wie die Oronin und die Sofra, wie die Elfen im Nordosten nun genannt wurden.

      Der Krieg vereinte das Elfenvolk und ihre drei Stämme erneut, wobei die Sofra zum größten Stamm anwuchsen.

      Die Jahre verstrichen und die Völker entwickelten sich weiter. Hatten die Arasien einst noch mit Steinen und Speeren gekämpft, so trugen sie nun geschmiedete Klingen und schwere Rüstungen. Ähnliches traf auch auf die Bettas zu, wobei diese bis heute kaum Waffen tragen.

      Die Menschen hatten ein gewaltiges Reich mit mehreren großen Städten gegründet, das sich über den gesamten westlichen Teil der Insel erstreckte. Man nannte es das Westliche Reich.

      Die stärkste Entwicklung hatte vermutlich das Elfenvolk durchgemacht. Zwar gab es abgesehen von ein paar kleinen Ansiedlungen am Hafen nur zwei nennenswerte große Städte – Dagorra im Westen, inmitten des Westlichen Reichs, und Alphradon im Nordosten –, doch lebte das Volk in größerem Wohlstand als jedes andere.

      Die Elfen hatten nicht nur gelernt, Sprache und Schrift zu gebrauchen, Häuser zu errichten, Steine ineinander zu verkeilen, das Eisen zu schmieden, sie waren auch wahre Meister in der Anwendung von Magie geworden.

      Einen großen Niedergang mussten die Renz erleben. Sie waren das einzige Volk, dass sich nicht die Sprache der Menschen aneignen konnte, der einzig nennenswerte Fortschritt war, dass sie nun Hacken, Äxte und Breitschwerter statt Holzprügel trugen.

      Über die beiden anderen, jüngeren Völker, die Nalyot und Pütuv – geschaffen von der Gottheit Pütus – findet sich in den Aufzeichnungen kaum etwas. Sie waren zwar nach dem Ebenbild der Menschen erschaffen worden, doch zogen sie sich recht bald in den Süden zurück.

      Es ist ungewiss, wie viel von diesen Geschichten der Wahrheit entspricht. Doch der Gedanke, dass jedes große Volk direkt von einer der Gottheiten geschaffen wurde, klingt durchaus überzeugend. Vor allem auch deswegen, weil ihre Schöpfungen der Beweis dafür sind, dass selbst sie nicht perfekt waren, dass selbst sie Fehler machten und einander bekriegten.

      Vermutlich haben sich die Gottheiten schon vor langer Zeit, nach der Erschaffung der letzten Völker, zurückgezogen und kümmern sich kaum noch um die Geschehnisse auf den Inseln.

      Auch ohne das Einschreiten der Gottheiten hat sich vieles verändert. Die Holzhütten wichen Lehmhütten und diese wiederum Steinhütten, Straßen wurden gebaut, verbreitert und auf den wichtigen Handelswegen sogar gepflastert.

      Diese Blütezeit des Westlichen Reichs fand jedoch bald ein Ende. Die Machtverhältnisse ordneten sich neu und während der Wohlstand des gemeinen Volkes stetig sank, gelang es der einflussreichen Bevölkerungsschicht ihre Reichtümer zu vermehren und immer mächtiger zu werden.

      Seit vielen Jahren regiert nun ein mächtiger Herrscher, Kaiser Mandossar, das Westliche Reich. Sein Schwert, eine magische Klinge, die stets den Weg zu ihrem Herrn zurückfindet, hat ihn unbezwingbar gemacht. Einst war er ein weiser und gütiger Herrscher gewesen, doch getrieben und zerfressen von Ehrgeiz – und Scham – ist er zu einem grausamen und rücksichtslosen Tyrannen geworden, der sein Volk leiden lässt und mit krankhaftem Eifer Jagd auf die anderen Völker macht. Er nimmt ganze Arasienstämme gefangen und sperrt sie in seine Kerker. Die wenigen Renz, die noch durch das Land streiften, wurden entweder getötet oder zu bezahlten Schergen des Kaisers.

      Einzig die Elfen waren noch unbehelligt geblieben – doch vermutlich nur deshalb, weil sie in den Wäldern im Norden nahezu unauffindbar waren.

      Im Osten grenzte ein weiteres Menschenreich an jenes des Kaisers. Man nannte die Bürger Kollahns auch oft die Ostmenschen oder Menschen aus dem Osten.

      Sie waren politisch unabhängig – ob sie nun gegen den Kaiser, oder gegen die Elfen waren oder sich mit dem einen oder anderen verbündet hatten, weiß keiner mehr so genau, zu lange schon lebten sie zurückgezogen.

      Inzwischen war eine Zeit angebrochen, in der die Menschen im Westlichen Reich in großen Städten lebten, die Straßen waren verdreckt und stanken bestialisch. Viele Bürger erkrankten und starben bald darauf. Jene Heiler – in den meisten Fällen waren es Frauen –, die nicht dem Kaiser dienten und auf die Wirkung von Kräutern vertrauten, verschwanden ganz plötzlich und tauchten wenige Tage später tot in einem der verdreckten Flüsse oder in den nahen Wäldern auf.

      Bildung war nur den reichen Bürgern zugänglich, Gelehrte gab es nur wenige und sie bevorzugten es, ihre Schüler einzeln zu unterrichten.

      Das Geschäft mit der Prostitution blühte auf, Frauen wurden nun wie Waren gehandelt und mussten zugleich hohe Steuern an den Kaiser abliefern.

      Es herrschte eine grausame Ungerechtigkeit. Öffentliche Hinrichtungen standen an der Tagesordnung, Anhörung oder Verteidigung gab es keine.

      Und nahe einer solchen Stadt im Norden der großen Insel lebte ein Einsiedler, verborgen im Wald.