Obwohl wir Thallus’ Original nicht haben, gibt es keinen Grund, den Hinweis bei Julius Africanus infrage zu stellen. Denn Africanus bezieht sich so nebenbei und selbstverständlich auf dieses Werk von Thallus, dass es einfach als bekannt vorausgesetzt werden muss. Wir sehen daraus, dass offensichtlich die Christen und die Ereignisse um die Kreuzigung Jesu in den Fünfzigerjahren in Rom so bekannt waren, dass ein römischer Geschichtsschreiber sie in seine Darstellung mit aufnehmen wollte. Dies steht auch im Einklang mit der oben erwähnten Vertreibung der Juden aus Rom aufgrund eines „gewissen Chrestos“ zu etwa derselben Zeit, zu der Thallus schrieb.
Wenn die erwähnten römischen Quellen auch nicht entscheidend mehr darstellen, als wir aus den Evangelien ohnehin – und viel konkreter – wissen, so ist es doch bemerkenswert, dass Jesus und die von ihm herkommenden Christen überhaupt eine solche Erwähnung finden. Wir merken, dass wir uns hier sehr wohl auf gutem historischen Boden bewegen.
Über die überlieferten schriftlichen Zeugnisse hinaus – und es ist uns ja nur ein kleiner Bruchteil der antiken Schriften erhalten – finden wir eine ganze Reihe von archäologischen Funden aus einer frühen Zeit, die das Geschehen um Jesus weiter bestätigen.13
NICHTRÖMISCHE AUTOREN
Neben den römischen Autoren finden sich noch weitere frühe Erwähnungen von Jesus von Nazareth außerhalb der Evangelien und frühchristlichen Schriften. Die frühchristlichen Schriften wie zum Beispiel die Didache (um 90–110 n. Chr.), die Briefe von Ignatius von Antiochien (gest. 107 n. Chr.), von Polykarp von Smyrna (69/70–155/156 n. Chr.), manche andere frühchristliche Autoren sowie nicht zuletzt die Informationen, die Eusebius von Caesarea in sein Kirchengeschichtswerk eingearbeitet hat, vermitteln uns ein sehr differenziertes Bild der christlichen Gemeinden schon um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert. Alles, was sie sagen, bestätigt das allgemeine Bild. Aber das wirklich Spannende ist ja das, was Nichtchristen geschrieben haben, weil bei ihnen nicht die Gefahr besteht, dass sie den Glauben verteidigen wollen. Dass es solche Schriften gibt, ist erstaunlich. Aber hier ist auch zu bedenken, dass es sehr wohl sehr viel mehr an nicht christlichen, besonders jüdischen Schriften, die Jesus erwähnen, gegeben haben kann, dass uns aber besonders durch die Zerstörung Jerusalems sowie überhaupt antiker Stätten allgemein bedingt vieles auf immer verloren sein wird. Was jedoch erhalten geblieben ist, ist einiges.
Der Brief des Mara bar Serapion
Im Britischen Museum in London liegt eine im 7. Jahrhundert n. Chr. ausgeführte syrische Abschrift eines älteren Briefes, den Forscher irgendwo zwischen 72 n. Chr. und dem 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. datieren, wobei ein sehr früher Abfassungstermin der wahrscheinlichste ist. In ihm ermutigt ein syrischer Mann namens Mara bar Serapion seinen Sohn, im Streben nach Weisheit fortzufahren. Zwar ist er selbst zurzeit im Gefängnis, doch Unglück und Verfolgung seien das Los vieler weiser Männer. Als Beispiele nennt er Sokrates, Pythagoras und Christus.
Und dann führt er aus: „… Welchen Vorteil hatten die Juden davon, ihren weisen König hinzurichten? Bald darauf hatte ihr Königreich ein Ende. Gott verschaffte diesen drei weisen Männern gerechte Rache: Die Athener starben Hungers, die Samier wurden vom Meer überwältigt, die Juden, ruiniert und aus ihrem Land vertrieben, leben in völliger Zerstreuung … Ebenso wenig starb der weise König für immer. Er lebte weiter in der Lehre, die er gegeben hatte.“14
Mara bar Serapion war offensichtlich kein Christ. Sonst hätte er Jesus nicht nur einen „weisen König“ genannt, der in seiner Lehre weiterlebt. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass er Christus neben Sokrates und Pythagoras als Beispiele eines weisen Lehrers für die Menschheit anführt und einen Zusammenhang zwischen der Hinrichtung Jesu und der Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung der Juden aus ihrem Land sah. So bezeugt er nicht nur die Existenz Jesu, sein Auftreten als Weisheitslehrer, seinen Anspruch, der König Israels, also der Messias, zu sein, sondern auch seinen Tod am Kreuz aufgrund der Ablehnung der jüdischen Führer; außerdem den Zusammenhang zwischen dieser Ablehnung und dem Geschehen bei der Zerstörung des Tempels und Jerusalems, ein Zusammenhang, der auch schon von Jesus angedeutet worden war.15
Josephus Flavius
Der jüdische Feldherr Josephus Flavius befehligte im Aufstand gegen Rom die galiläischen Truppenverbände. Bei seiner Gefangennahme durch General Vespasian im Jahr 67 überraschte er diesen mit einer erstaunlichen Voraussage, die ihm das Leben rettete: Er verhieß Vespasian, dass er römischer Kaiser werden würde. Als das zwei Jahre später geschah, wurde Josephus freigelassen und verbrachte den Rest seines Lebens als Pensionär des römischen Kaisers damit, historische Werke zu verfassen. Neben dem „Jüdischen Krieg“ sind seine „Jüdischen Altertümer“ von höchstem Wert für die Kenntnis vieler geschichtlicher Zusammenhänge. Viele der Personen, die im Neuen Testament erwähnt werden, tauchen auch bei Josephus auf: Herodes der Große und seine ganze Familie, die Hohepriester Annas und Kaiphas, Johannes der Täufer, Jakobus, der Bruder Jesu, und viele andere. Über den Hohepriester Annas den Jüngeren, den Sohn des im Neuen Testament erwähnten Hohepriesters Annas, schreibt er Folgendes:
„Er berief eine Gerichtssitzung des Sanhedrin ein, führte den Bruder des Christus genannten Jesus vor, der Jakobus hieß, und einige andere, verklagte sie wegen Gesetzesübertretung und verurteilte sie zur Steinigung.“16 Diese Angabe von Josephus stimmt mit den neutestamentlichen Aussagen überein. Paulus nennt Jakobus den Bruder des Herrn,17 ebenso wird er in den Evangelien erwähnt.18
Josephus nennt also Jakobus und bezeichnet ihn näher als Bruder von Jesus, der Christus genannt wird. Das macht neugierig darauf, ob bei Josephus noch eine weitere Erwähnung dieses Jesus zu finden ist. Und das ist der Fall. Folgendes kann man bei Josephus lesen:
„Zu dieser Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch, wenn man ihn einen Menschen nennen darf. Unerhörte Taten tat er nämlich, ein Lehrer von Menschen, die mit Freude die Wahrheit annehmen, und gewann viele Juden und auch viele Griechen für sich. Er war der Christus. Und als Pilatus nach Hinweisen unserer führenden Männer ihn zum Kreuz verurteilte, gaben diejenigen, die ihn zuerst geliebt hatten, nicht auf. Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend, was neben zehntausend anderen wunderbaren Dingen die göttlichen Propheten gesagt hatten. Und noch bis jetzt ist der nach ihm genannte Stamm der Christen nicht verschwunden.“19
Nun ist dies eine äußerst erstaunliche Aussage aus Josephus’ Feder, der kein Christ war. Die Gelehrten haben immer wieder daran gezweifelt, ob dieser Abschnitt wirklich von Josephus stammt, da sie meinten, dass er dies einfach nicht geschrieben haben könne. Jedoch enthalten alle Handschriften von Josephus diesen Abschnitt, sodass es keinen Hinweis auf eine andere Fassung des Textes gibt. Auch schon Eusebius (etwa 260/265–339/340) zitiert diesen Abschnitt in dieser Fassung.20
Es sind verschiedene Erklärungen für diese Aussage im Text von Josephus vorgeschlagen worden. Dass der ganze Abschnitt ein Einschub eines späteren, christlichen Abschreibers ist, ist unwahrscheinlich, denn der Stil verrät die Hand von Josephus. Außerdem hätte ein Christ, wenn er diesen Abschnitt verfasst und bei Josephus eingeschoben hätte, möglicherweise noch deutlichere Aussagen über Jesus gemacht. Deshalb meinten viele Autoren, dass der Text eine erweiterte Version des ursprünglichen sei, und versuchten, den Urtext zu rekonstruieren, indem sie die Aussagen strichen, die ihrer Meinung nachnur ein Christ gesagt haben kann.
Andere Lösungsversuche bestehen darin, dass man einiges einfügt und anderes fortlässt. Wie dem auch sei, fest steht, dass diese Stelle so in allen griechischen Handschriften erscheint.21 Sie ganz aus dem Text herauszustreichen, ist also nicht möglich. Es könnte auch sein, dass Josephus einfach berichtet, was die Christen sagen, dass er also christliche Aussagen kommentarlos zitiert. „Er war der Christus“ und „Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend“ hätte er also nur berichtet, ohne es notwendigerweise selbst zu