Ein Verständnis von Informationstechnologie und Datenverarbeitung bzw. -analyse wird in einer ganzen Reihe von Berufsbildern Kernkompetenz. Hier müssen sich wirtschaftswissenschaftliche und ingenieurwissenschaftliche Berufsgruppen gleichermaßen umstellen. MINT-Studiengänge sind auf dem Vormarsch und jede Volkswirtschaft ist gut beraten, wenn sie hier in der Zukunft einen Fokus auf den Ausbau des Bildungssystems legt.
Auf der anderen Seite müssen wir uns fragen, ob die neuen Technologien tatsächlich und unmittelbar zu einem Wegfall von Arbeit für ganze Berufsgruppen führen. So ist der Kauf einer gut modellierten KI oder die Optimierung der Produktion mit additiven Fertigungsmaschinen immer noch vergleichsweise kostenintensiv und ausschließlich in lohnkostenintensiven Prozessschritten wirtschaftlich anwendbar. Insbesondere im Mittelstand verfügen die meisten Firmen noch nicht über die notwendigen Ressourcen bzw. Expertisen für eine vollständige Automatisierung. Häufig ist es daher immer noch wesentlich kosten- und zeiteffizienter, eine Aufgabe manuell auszuführen.
Darüber hinaus sind Fälle, in denen der Einsatz neuer Technologien nicht unmittelbar zu einem erwarteten Ergebnis führt, nicht ungewöhnlich. So kommt es – trotz einer Vielzahl positiver Use Cases – bspw. im Bereich Robotic Process Automation (RPA) immer noch zu einer Reihe von Problemen im konkreten Anwendungsfall. Kleinere Änderungen im Layout und damit in der Position der Inputs können dazu führen, dass der gesamte Workflow zusammenbricht und es im Ergebnis mehr Zeit braucht, den Prozess erneut anzupassen, als ihn manuell auszuführen.
Ähnliches gilt für den Einsatz von KI und Maschine-Learning-Technologien. In der Realität ist erst eine überschaubare Anzahl von Unternehmen überhaupt in der Lage, die Technologie tatsächlich in der Praxis zu nutzen. Hierzu bedarf es in erster Linie auch Vertrauen in die Technologie. Vertrauen kommt mit zunehmender Erfahrung und einem Verständnis über Wirkmechanismen und Funktionsweisen von z.B. selbstlernenden Algorithmen. Der Schritt, zentrale Prozesse im Unternehmen durch KI-Technologien zu ersetzen, kann erst erfolgen, wenn diese Technologien ausreichend kontrolliert und verstanden werden.
So ist es den Kunden in den seltensten Fällen zu vermitteln, dass Interaktionen mit dem Kunden etwa über eigene Bots zu Ergebnissen führen, die zunächst für den Menschen nicht nachvollziehbar sind. Vertrauen in Technologie ist daher sowohl innerhalb des Unternehmens als auch in der Interaktion mit den Kunden ein zentraler Treiber. Sobald Technologien diesen Reifegrad erreicht haben, werden Unternehmen schrittweise hierauf zugreifen und es wird sich sicherlich auch das Arbeitsumfeld und die Arbeitsweise der Mitarbeiter in einem Unternehmen ändern.
Die meisten disruptiven Technologien verursachen dabei aber nicht nur eine immer wieder als „Schreckgespenst“ skizzierte Arbeitsplatzvernichtung im großen Stil. Es werden auch dauerhaft neue Arbeitsplätze entlang neuer Berufsbilder geschaffen. Bereits heute zeichnet sich gleich eine ganze Reihe von Berufen ab, die bspw. durch den Einsatz von Technologien im Umfeld von Industrie 4.0 entstehen werden.
So werden im Rahmen von Wartungsaufgaben von Cyber Physical Systems (CPS), d.h. der Wartung von Soft- als auch von Hardware, neue Berufsgruppen entstehen. Ganz neue Dienstleistungsberufe werden im Umfeld von cloud-basierten Lösungen oder Software-as-a-Service-Geschäftsmodellen (SaaS) entstehen. Der Wegfall von automatisierbaren und i.d.R. geringer-qualifizierten Berufsfeldern wird vermutlich durch den steigenden Bedarf an IT-Fachkräften überkompensiert werden. Mit zunehmenden Datenmengen werden Data Analysts zu gefragten Spezialisten.
Gleichzeitig könnten aber auch Aufgaben, die eine menschliche Interaktion erfordern, eine Renaissance erlangen. So erscheint es heute wahrscheinlich, dass Berufe wie Altenpfleger nicht nur vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und einer alternden Gesellschaft angesehener und damit auch höher entlohnt werden. Möglicherweise kann dies aber auch zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft und damit zu immer größerer Disparität führen.
Vor dem Hintergrund der oben geschilderten Entwicklungen ist davon auszugehen, dass sich sowohl die persönliche als auch die institutionelle Bildung in eine neue Richtung bewegen werden. Auf der einen Seite werden bereits in der Schule Fächer wie Informatik, Mathematik und Naturwissenschaften an Bedeutung gewinnen, auf der anderen Seite wird kreatives Denken zu fördern sein, gerade wenn Routineverfahren zukünftig von den Maschinen durchgeführt werden. Von Mitarbeitern wird noch stärker als heute erwartet, dass sie sich kontinuierlich weiterbilden und dem Prinzip des lebenslangen Lernens folgen, wenn sie erfolgreich bleiben wollen. Technologischer Fortschritt erfordert bildungshungrige, datenversierte, kreative Köpfe!
Einer der entscheidenden Gründe, warum 3D-Druck noch keinen globalen Durchbruch über diverse Industrien erfahren hat, ist, dass der gestalterische Freiraum der Konstrukteure im Design for Additive Manufacturing zurzeit nicht ausgeschöpft wird. Das Studium der Ingenieurswissenschaften hat in den vergangenen Jahrzehnten nahezu ausschließlich auf subtraktive Verfahren abgezielt. Unternehmen sollten also zunehmend junge designerfahrenen Mitarbeiter rekrutieren, die in altersgemischten diversen Teams das Technologiepotenzial in die Entwicklungsteams tragen.
6 Fazit und Ausblick
Im Ergebnis werden sich Strategieprozesse fundamental verändern. Die zeitliche Gültigkeit von Strategieformulierungen verschiebt sich nach vorne. Strategieaussagen für die nächsten fünf Jahre haben bestenfalls noch richtungsweisenden Charakter. Der Einsatz von Technologien setzt Innovationspotenziale frei, die alle Erfahrungen mit bisherigen Innovationszyklen außer Kraft setzen. Gleichzeitig muss Technologie beherrschbar sein und erfordert Expertenwissen, welches häufig so nicht oder nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Strategiearbeit wird daher komplexer, vielfältiger und erfordert eine höhere Diversität der beteiligten Mitarbeiter. Vermutlich werden dabei Kompetenzen dauerhaft von außen eingekauft werden müssen und über Partnermodelle abzubilden sein.
Die Erfahrungen der letzten Jahre hat gezeigt, dass technologiegetriebene Innovationen mit zunehmendem Reifegrad weniger bedrohlich wirken und eher Chancenpotenziale entfalten als Risiken. Gleichwohl wird eine permanente Befassung mit neuen Technologien und deren möglichen Impact auf das eigene Geschäftsmodell zentrale Strategieaufgabe in einem Unternehmen.
Der Abgleich und das Zusammenspiel von Strategiearbeit, Innovationsprozessen und Umsetzung hat auch schon in analogen Prozessen den Unterschied gemacht; im digitalen Zeitalter wird diese übergreifende Zusammenarbeit mit Rückkopplungsprozessen auf die jeweils vorgelagerte Instanz an Bedeutung gewinnen. Nur wer es versteht, Strategieprozesse im Unternehmen so aufzusetzen, dass Technologie in allen drei Wertschöpfungsinstanzen (Strategie, Innovation und Operations) eine zentrale Treiberrolle einnehmen kann, wird sein Unternehmen dauerhaft zukunftsfähig aufstellen können.
Fußnoten:
[1] Frey, C.B./Osborne, M.A. (2013), Future of employment: How susceptible are jobs to computerization?, in Oxford Martin School, 17.09.2013, https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/publications/the-future-of-employment/(Zugriff am 15.04.2020).
Digitalisierung als strategische Herausforderung
Winfried Neun
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