7.2 Balanced Scorecard und strategische Entscheidungen
Aus den genannten Eigenschaften der BSC ergibt sich ihr besonderer Nutzen im strategischen Entscheidungsprozess:
Die klare Definition strategischer Ziele und ihr Ausdruck in eindeutigen Messgrößen stellt die Konkretisierung und Klarheit strategischer Entscheidungen sicher („Es ist klar, was gemeint ist“).
Die Festlegung auf konkrete strategische Ziele und Messgrößen führt dazu, dass Konflikte und Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Strategie ausgetragen werden, bevor strategische Entscheidungen endgültig getroffen werden und somit für die an den Entscheidungen beteiligten Personen größere Verbindlichkeit entfalten.
Durch die visuelle Darstellung und die Komponenten einer BSC gelingt es, strategische Entscheidungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens verständlich, strukturiert und übersichtlich zu kommunizieren.
7.3 Fallbeispiel
Die BSC war als strategisches Steuerungs- und Kommunikationsinstrument in der strategieentwickelnden Bank schon drei Jahre vor dem beschriebenen Strategieprojekt eingeführt worden. Auch aus diesem Grund war bereits am Beginn des Projekts klar und im Projektauftrag vorgegeben, dass die neu zu entwickelnde Strategie mithilfe einer BSC abgebildet wird. Die BSC in ihrer Vollform (graphische Darstellung, strategische Ziele, Messgrößen, strategische Aktionen) wurde nur auf Konzernebene (Gesamtunternehmensebene) ausgeführt, auf Geschäftsfeldebene wurden aus dieser Sub-BSCs abgeleitet, in denen nur die strategischen Ziele und die strategischen Aktionen ausgeführt wurden.
Für die BSC auf Konzernebene wurden die „klassischen“ vier Perspektiven (Finanzperspektive, Markt-/Kundenperspektive, Prozessperspektive und Potenzialperspektive) gewählt. Insgesamt wurden 22 strategische Ziele definiert (je sechs für Finanzen und Markt/Kunden, je fünf für Prozesse und Potenziale). Für diese 22 Ziele wurden insgesamt 40 Messgrößen definiert, somit also durchschnittlich knapp zwei pro strategischem Ziel. Für die Erreichung der strategischen Ziele wurde schließlich eine Vielzahl strategischer Aktionen definiert, die in Linien- und Projektform umgesetzt werden sollten.
8 Praxis strategischer Entscheidungsfindung
Auf Basis der Fachliteratur zum strategischen Management,[6] den eigenen Erfahrungen des Autors in mehreren Organisationen und dem Fallbeispiel in diesem Beitrag sollen noch folgende praktische Inputs zur Praxis strategischer Entscheidungsfindung gegeben werden:
Die Praxis der Strategieentwicklung sollte theoriegeleitet sein. Strategie wird in Unternehmen oft als „Kunst“ verstanden und in sehr individueller und intuitiver Art ausgearbeitet. Ohne der Intuition und Individualität ihre wichtige Rolle abzusprechen, kann diese genauso oder noch effektiver mit eingebracht werden, wenn die Strategieentwicklung unter Anwendung eines soliden, theoretisch fundierten Werkzeugkastens erfolgt. Was wesentliche Elemente dieses Werkzeugkastens sein können, kann in aller Kürze auch diesem Beitrag entnommen werden. Die Anwendung anerkannter und bewährter Methoden gibt dem strategischen Entscheidungsprozess Sicherheit und Struktur und trägt wesentlich zu dessen Vollständigkeit und Qualität bei.
Bei der Umfeldanalyse über den Tellerrand schauen. Bei Durchführung der Umfeldanalyse besteht die Gefahr, dass diese auf den eigenen täglichen Erfahrungshorizont eingeschränkt ist und damit Trends und Entwicklungen nicht ausreichend wahrgenommen werden, die sich außerhalb der eigenen strategischen Gruppe bzw. des aktuellen Marktes entwickeln. Dies ist eines der Gebiete, wo im Rahmen der Strategieentwicklung der Einsatz organisationsexternen Know-hows, z.B. durch Zuziehung von Branchenexperten und Beratern sehr nützlich sein kann, um relevante Umfeldentwicklungen, die noch außerhalb des eigenen Wahrnehmungshorizonts sind, in den strategischen Entscheidungsprozess mit einbeziehen zu können.
Detaillierte und realistische Bewertung eigener strategischer Fähigkeiten. Die so wichtige Analyse und Bewertung eigener Ressourcen und Kompetenzen unterliegt der Gefahr, oberflächlich („unsere Stärke ist die Kundenbetreuung“) und/oder zu optimistisch im Sinne einer unrealistisch positiven Selbsteinschätzung (Champions Bias) zu erfolgen. Als Maßnahme gegen zu oberflächliche und zu allgemeine Einschätzungen ist es notwendig, tiefer zu gehen, d.h. die relevanten Fähigkeiten genau zu identifizieren, zu verstehen und die Verbindungen in der Organisation zu entdecken, die für die relevanten Fähigkeiten im Einzelnen verantwortlich sind. Um zu optimistische Selbstbespiegelung zu vermeiden, hilft es, einen breiteren Kreis interner Personen aus unterschiedlichen Funktionen miteinzubeziehen, externe Geschäftspartner zu befragen (z.B. Kundenzufriedenheitsabfrage) und externe Personen mit einer größeren Distanz zur Organisation (z.B. Berater) einzusetzen, die die angenommenen Fähigkeiten kritisch hinterfragen können.
Verschiedene simultane Alternativen aufbauen. Um zu vermeiden, dass strategische Entscheidungen alternativlos erscheinen oder nur Lieblingsideen einzelner Top-Manager widerspiegeln, sollten mehrere Alternativen strategischer Entscheidungen ausgearbeitet werden. Hat man mehrere Alternativen zur Auswahl, kann dies die kritische Diskussion fördern und den Entscheidungsprozess beschleunigen, da die relevanten Entscheidungsmöglichkeiten gleichzeitig auf dem Tisch liegen und nicht sequenziell nacheinander entwickelt werden müssen, wenn der einzige vorliegende Vorschlag abgelehnt wird.
Die Organisation strategiegerecht strukturieren. Viele Organisationen sind strategisch unzureichend strukturiert, d.h. SGEs sind unzureichend voneinander und von Funktionen der Unternehmenszentrale abgegrenzt. Dies führt dazu, dass nur relativ generische Strategien auf Ebene der Gesamtorganisation abgeleitet werden. Die klare Strukturierung in SGEs, die Unternehmenszentrale und dort wieder in relevante Funktionsbereiche befähigt die Organisation, differenzierte und zielgerichtete strategische Entscheidungen für ihre einzelnen Teile und das Ganze zu treffen.
Nach Einigkeit streben, aber nicht um jeden Preis. Manager, die schnelle strategische Entscheidungen treffen müssen, streben nach Einigkeit innerhalb ihres Entscheidungsteams, bestehen aber nicht darauf. Oft kann es zu lange dauern, einen absoluten Konsens zu erreichen, was mittelmäßige Entscheidungen zur Folge hat, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basieren. Manager müssen erkennen, dass strategische Entscheidungen nicht immer zur Zufriedenheit aller Beteiligten getroffen werden können. Dies sollte jedoch keinesfalls dazu führen, dass abweichende Meinungen in der Organisation oder gar wichtige Stakeholder aus dem strategischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen werden. Es ist im Gegenteil wichtig, kritische Meinungen außerhalb des Mainstreams zuzulassen und alle relevanten Stakeholder in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Es ist besser, die daraus entstehenden Konflikte zu bearbeiten und auszutragen, bevor definitive strategische Entscheidungen getroffen werden. Dies erhöht ganz wesentlich die Chance, dass gemeinsam eine akzeptierte Entscheidung erreicht wurde und diese auch wirklich umgesetzt wird.
Strategische Entscheidungen mit strategischem Controlling verbinden. Strategische Entscheidungen sollten nicht nur getroffen und dokumentiert werden, sondern es sollte ihre Erreichung auch unmittelbar überprüfbar gemacht werden. Dies erleichtert strategisches Lernen (war die strategische Entscheidung zweckmäßig oder muss sie adaptiert werden) und strategische Erfolgskontrolle (wurden die Ergebnisse erreicht, die mit den strategischen Entscheidungen angestrebt wurden). Hier scheint die BSC das ideale Instrument zu sein, um strategische Ziele und Messgrößen, die deren Erreichung anzeigen, entscheidungs- und kommunikationsorientiert darzustellen.
Fußnoten:
[1] Johnson, G./Whittington, R./Scholes, K./Angwin, D./Regnér, P. (2018), Strategisches Management. Eine Einführung; 11. Auflage, Halbergmoos.
[2] Z.B. Johnson, G./Whittington, R./Scholes, K./Angwin, D./Regnér, P. (2018), Strategisches Management. Eine Einführung; 11. Auflage, Halbergmoos.