»Herr Professor, Sie glauben mir doch, oder?«
»Aber Ludwig«, beschwichtigte Egidius seinen Assistenzarzt. »Dass du das überhaupt fragen musst!«
»Wer macht denn meine Arbeit, wenn ich beurlaubt bin?«
»Die zusätzliche Stelle für einen Weiterbildungsassistenten für Herrn Antretter wurde genehmigt. Vielleicht kann ich den Mann kurz ausleihen. Allgemeinchirurgische Erfahrungen haben ja noch keinem Arzt geschadet, nicht wahr? Ich werde das gleich mit ihm abklären!«
Unruhige Nächte
Tassilo Resch starrte auf die Schachtel, die der Apotheker gegen das blaue Privatrezept, dass Dr. Wachs ihm nach ausführlicher, sensibler Untersuchung und Beratung ausgehändigt hatte, eintauschte. Er betrachtete die Packung wie ein Kaninchen ein besonders giftiges Reptil. Das Päckchen beinhaltete sechs Tabletten und einen Beipackzettel, der ihm die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Ohnmachtsanfälle, stand da. Die Liste allerdings war bedeutend länger.
»Mein armer Tassilo«, bedauerte Maria ihren Freund, »es tut mir so leid! Was du da alles auf dich nehmen willst! Wohlgemerkt: ›Willst‹, nicht ›musst‹. Ich bin da ganz gelassen. Vermutlich bessert sich das Ganze ohnehin von selbst. Dr. Wachs hat ja gesagt, dass du gesund bist wie ein Pferd!«
»Hier! Guck dir das an! Herzrasen! Oder noch besser: Depressionen! Das wird schwierig, für mein Gehirn! Da freust du dich gerade, dass es geklappt hat – und dann bist du plötzlich depressiv! Na großartig!«
Maria lachte. »Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, nennt man das! Wirklich komisch! Für die Depression bekommst du dann Medikamente, die wiederum Nebenwirkungen haben. Und zum Schluss endest du mit einem Schuhkarton voller Pillen, die dich über kurz oder lang erledigen. Und auf deinem Grabstein steht dann: ›Die Medizin hat den verzweifelten Kampf um dies junge Leben verloren!‹
»Lach du nur«, knurrte Tassilo. »Du hast den Vorteil, dass man bei Frauen nicht merkt, wenn es nicht klappt. Das ist zwar für die Frau ärgerlich. Aber zumindest bleiben ihr peinliche Bekenntnisse erspart!«
Er setzte die Lektüre der Packungsbeilage fort.
»Ein bis drei Stunden vorher, soso. Aber wann die Wirkung optimal ist, sagen sie dir nicht. Und was ist, wenn ich das Ding nehme, und dann klingelt das Telefon, und meine Mutter ist dran und erzählt und erzählt? Dann ist die Wirkung hinüber, und wir haben zwölf Euro versiebt! So teuer ist nämlich eine Tablette! – Egal. Ich werfe jetzt mal so ein Ding ein. Schaust du bitte auf die Uhr? Ich denke, nach eineinhalb bis zwei Stunden werde ich den Höhepunkt meiner Leistungsfähigkeit erreichen!«
Keiner von den beiden hatte Wunder erwartet. Vor überzogenen Hoffnungen hatte Dr. Wachs auch schon gewarnt. »Üben, üben, üben!«, hatte er heiter geraten. »Das wird nicht zack! auf einmal gut, sondern bessert sich langsam. Setzen Sie sich nicht unter Druck. Erleben Sie und genießen Sie!« Die beiden hatten beschlossen, das ganze entspannt und von seiner heiteren Seite her anzugehen. Und tatsächlich: Diese unverkrampfte Einstellung half.
Na gut: Sie half eher ihm. Ohne dabei auf die Uhr gesehen zu haben, hatte es deutlich länger gedauert. Trotzdem blieb Maria mit ihren Wünschen auf der Strecke. Aber das würde schon noch kommen, da war sie sicher.
Und Tassilo war irgendwie so – niedlich, in seinem Stolz. Legte man sein strahlendes Gesicht zu Grunde, konnte man annehmen, dass er mindestens eine Stunde durchgehalten hatte.
»Es war doch besser, oder? Findest du nicht? Was meinst du, wie lange es war? Bestimmt gibt es Männer, die noch länger können. Aber ich glaube heute zum ersten Mal, dass das bei mir auch noch was wird. Was sagst du? Denkst du das auch?«
»Aber natürlich, Tassilo. Davon bin ich fest überzeugt!«
»War es denn für dich auch schön?«
»Ja, natürlich«, log Maria überzeugend. »Wunderschön!«
»Wirklich? Du würdest doch sagen, wenn was nicht stimmt, oder?«
»Ich würde dich nicht beschwindeln«, log Schwester Maria bereits zum zweiten Mal heute Abend.
Beruhigt ließ er sich in die Kissen sinken.
»Ich gewinne bestimmt mal einen Preis damit. Meinst du nicht?«
»Bestimmt, Tassilo. Ganz sicher. Jetzt schlaf aber. Ich muss morgen früh raus!«
»Wirst du es jemandem erzählen?«
»Wem was erzählen?«
»Das es geklappt hat. Und das es schön war.«
»Aber Tassilo! Natürlich nicht! Was denkst du denn bloß?«
Er grübelte.
»Aber Dr. Wachs erzähle ich’s. Der freut sich doch bestimmt mit uns über den Erfolg. Oder?«
»Ganz sicher. Schlaf jetzt!«
Maria war gerade eingeschlafen, das stupste Tassilo sie an.
»Maria? Maria?«
»Was ist denn los?«, fragte sie schlaftrunken.
»Ich kann nicht schlafen!«
»Mach einfach die Augen zu. Stand nicht ›Müdigkeit‹ bei den Nebenwirkungen?«
»Ja. Aber mich macht das Zeug wach! Schrecklich!«
Erst in den frühen Morgenstunden, als Marias Nacht zu Ende war, schlief Tassilo endlich ein.
*
»Kannst du vielleicht mal gehen, Murat?«
»Was is’n?«
»Sinan. Kriegst du das nicht mit? Er quakt schon seit mindestens zehn Minuten!«
»Schau du doch nach!«
»Ich war die letzten zwei Male. Du bist dran!«
Unwillig seufzend und im Zeitlupentempo schälte sich Murat aus den Federn.
»Ach menno, Kurzer!«, rief er. »Was ist denn nun schon wieder los? Hat er Hunger?«
»Glaub ich nicht«, gähnte Katrin. »Er hat vor einer Stunde was bekommen!«
Murat nahm Sinan aus dem Bettchen und bot ihm das Fläschchen an. Der Kleine verzog das Gesicht und drehte den Kopf weg.
»Hunger oder Durst können’s nicht sein«, diagnostizierte der Vater. Er steckte vorsichtig seinen Finger in den Mund seines Sohnes.
»Ha! Weißt du, was los ist? Hier! Fühl mal!«
»Sag nicht, dass er schon Zähne bekommt!«
Auch Katrin tastete vorsichtig die untere Kauleiste ab. Eine reiskorngroße, etwas raue Stelle. Kein Wunder, dass der Kleine plärrte! Notiz an mich: Veilchenwurzel und einen Beißring kaufen, dachte sie. Murat zugewandt empfahl sie: »Lenk ihn ab! Lauf mit ihm herum! Spiel mit ihm, dann vergisst er die Schmerzen! Fieber hat er keins, oder?«
Murat setzte das Ohr-Thermometer ein, gegen das Sinan sich heftig zur Wehr setzte.
»37,1. Völlig normal!«
*
»Du könntest bei mir einziehen, Timon. Meine Wohnung ist wirklich groß genug! Und wir würden uns gut verstehen, glaubst du nicht?«
»Wir würden uns bestimmt gut verstehen, Emmerich. Aber mehr eben auch nicht. Und damit würde ich nicht nur deine Hoffnungen enttäuschen, sondern noch zusätzlich deinem Lebensglück im Wege stehen!«
»Wie – Hoffnungen? Was habe ich denn für Hoffnungen?«
»Naja, ich dachte, dass du dir vielleicht wünschst, das zwischen uns mehr läuft, als ein – sagen wir mal – brüderliches Verhältnis!«
»Ich will ganz ehrlich sein, Timon. Ich hätte nichts dagegen. Im Gegenteil. Ich weiß aber, dass