»Irgendwann wird das Kind fragen, wer sein Vater ist. Kinder fallen ja bekanntlich nicht einfach vom Himmel, nicht wahr«, stellte Veronika fest. »Natürlich würden wir euch mit einbeziehen. Wir würden euch auch ein Mitbestimmungsrecht einräumen – obwohl wir vermutlich ähnliche Vorstellungen haben, was ihren Lebenslauf angeht!«
Die vier hatten sich auf das vertrautere ›Du‹ geeinigt. Es fühlte sich, so meinte Hatice, vermutlich deutlich adäquater an, wenn es um das Zeugen von Kindern ging. Einigkeit bestand im Weiteren darin, die Insemination durch Professor Antretter durchführen zu lassen. Und das in dem unwahrscheinlichen Fall, dass den Müttern etwas zustoßen würde, automatisch die Väter als verantwortliche Erziehungspersonen einzusetzen waren.
Als Chris und Philipp zu vorgerückter Stunde aufbrachen, stand das gemeinsame Projekt. Man würde Termine beim Notar und bei Professor Antretter vereinbaren und die Sache in Angriff nehmen.
*
Philipp und sein Chefarzt, Professor Oberlechner, sogar der Arzt in der Kurklinik, hatten ihm jede Aufregung verboten. Deswegen hatte der Versicherer ja auch der stufenweisen Wiedereingliederung vorbehaltlos zugestimmt. Allerdings war das gar nicht so einfach, mit der Aufregung. Oder sollte man sich nicht darüber aufregen, dass Philine ihm den Umgang mit seinen Kindern untersagen wollte? Dass sie die Scheidung anstrebte, hatte er noch verstehen können, auch wenn er es nicht gutheißen konnte. Sie und er, Timon, hatten sich in einem Café in Rosenheim getroffen. Er versuchte, seine Situation zu erklären. Er kehrte sein Innerstes nach Außen.
»Ich weiß, dass es schwierig zu verstehen ist, Philine. Ich verstehe es selbst kaum. Ich habe es mir ja auch nicht ausgesucht. Du weißt, dass ich weder böswillig noch egoistisch bin. Du solltest über die Jahre unserer Ehe hin gemerkt haben, wie viel du mir bedeutest, wie sehr ich dich liebe. Du gibst mir etwas, was mir niemand auf der ganzen Welt bieten könnte. Oder glaubst du, dass ich dich aus einer Laune heraus geheiratet habe? Dass unsere Zwillinge versehentlich entstanden sind?«
»Ich hab’s ja versucht, Timon. Ich habe es wirklich versucht. Hättest du mich mit einer Frau betrogen, wäre es leichter gewesen. Nicht besser, aber leichter.«
»Es gibt keine Frau, mit der ich dich hätte betrügen mögen. Du bist für mich die einzige Frau, mit der ich je zusammenleben wollte.«
»Nett von dir, das zu sagen. Trotzdem hätte ich damit eher umgehen können. Um dich kämpfen können, mit den Waffen einer Frau. Was aber soll ich gegen einen anderen Mann einsetzen? Wie kann ich mit einem Mann konkurrieren? Und es nimmt ja kein Ende, wie du siehst! Jetzt lebst du bei diesem Physiotherapeuten!«
»Was erwartest du? Du hast mich vor die Tür gesetzt! Glaubst du, es war lustig, aus dem Taxi zu steigen und festzustellen, dass die liebende Ehefrau die Türschlösser ausgewechselt hat? Emmerich hat mich aufgenommen, sonst hätte ich ins Hotel gehen müssen!«
»Was soll ich denn machen, Timon? Soll ich vergessen, dass du mich streichelst mit Händen, mit denen du diesen Chris angefasst hast? Mich küsst mit Lippen, die ihn berührt haben? Es ekelt mich vor dir.«
Timon erstarrte. Entsetzt blickte er sie an.
»Ich dachte, dass du mich liebst, Philine. Ich bin trotz allem immer noch der Mann, den du geheiratet hast. Ich habe mich nicht verändert. Ich war immer schon so. Und jetzt sagst du, dass du mich so, wie ich bin, nicht willst, und dass – was war das? – du dich ekelst vor mir? Dem Vater deiner Kinder? – Philine, ich denke, unsere Anwälte müssen das klären. Ich habe von deinem schon gehört, du wirst von meinem hören. Ich glaube, es hat wenig Sinn, wenn wir fortfahren, uns gegenseitig zu verletzen, ohne es wirklich zu wollen. Also – ich will es nicht. Bei dir bin ich mir da gerade nicht so sicher.«
Er erhob sich, kramte mit der linken Hand in seiner Tasche, zog eine Banknote aus der Tasche, warf sie auf den Tisch und ging. Er brauchte einen Anwalt. Einen guten Anwalt. Sie konnte seinetwegen alles behalten, Haus, Grundstück, alles. Sogar Schmidt. Er hing an nichts. Nur an seinen Kindern. Um die würde er kämpfen.
Täuschungsmanöver
»Timon, endlich! Mein Gott, du glaubst nicht, wie groß meine Sehnsucht nach dir war!«
»Mensch, Daggi! Wirklich, ich habe ein ganz rabenschwarzes Gewissen! Aber glaub mir, freiwillig habe ich dich hier nicht alleingelassen mit der ganzen Arbeit! Was ich hinter mir habe, wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht!«
»Ach, Quatsch, Timon Süden. Die Arbeit habe ich nicht gemeint. Und wenn es ganz hart auf hart ging, ist Ludwig eingesprungen. Nein, ich habe dich vermisst. Wir sind doch von Anfang an gut miteinander klargekommen oder? Na bitte. Und außerdem haben wir hier alle Angst um dich gehabt. Aber das hast du vielleicht auch gemerkt. Ich glaube, die gesamte Klink ist um dein Bett herumgelaufen!«
»Schön! Wenigstens hier darf ich mich willkommen fühlen, und zu Hause! Das wird gerade etwas selten, in meinem Leben!«
»Probleme mit deiner Frau?«
»Sie hat die Türschlösser ausgewechselt und plant die Scheidung. Ich muss nur dringend versuchen zu verhindern, dass sie mir die Zwillinge vorenthält. Kennst du eigentlich einen tüchtigen Anwalt?«
»Ich frage mal Anton. Mit Scheidungsanwälten hatte ich bisher nicht so viel zu tun!«
»Sei froh! Bei mir ist es auch das erste Mal! – So! Genug Trübsal geblasen! Diese Woche bin ich jeden Tag zwei Stunden da, und ich warne dich vor: Ich werde vermutlich arbeiten wie eine aufgehende Schlaftablette! Ich hoffe aber, dass ich mich langsam steigere!«
»Alles gut. Nimm dir Zeit, solange du brauchst. Und falls du Hilfe benötigst, melde dich bitte. Kein falsch verstandener Stolz! Das brauchen wir beiden nicht!«
»Aha, der verlorene Sohn kehrt heim?«
»Herr Professor Sonntag! Haben Sie mich erschreckt!«
»Ich muss dringend meine Wirkung auf andere Menschen einer kritischen Würdigung unterziehen! Meine Frau reagiert anders auf mich, aber die kennt mich auch gut!«, lachte Egidius. »Ich wollte doch nur mal geschwind nach Ihnen sehen, Herr Süden. Wie geht es denn?«
»Körperlich mache ich gelegentlich noch schlapp, aber das wird täglich besser. Mit meiner Psyche steht des nicht zum Besten!«
»Nanu? Die Sache mit Ihrer Gattin?«
»Designierte Ex-Gattin. Leider.«
»Ach du Schreck. Und daran ist nichts zu ändern?«
»Ich hatte gestern noch ein Gespräch mit ihr. Nein, ich glaube, sie sieht mich inzwischen als einen Fehler an, den sie in ihrem Leben gemacht hat.«
»Wenn Sie der Auffassung wären, dass mein Wort etwas ausrichten könnte …«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Professor. Ich danke Ihnen sehr. Ich will ihr freundliches Angebot nicht gleich ablehnen, aber nach der Unterredung gestern glaube ich, dass es für Philine und mich keine Chance mehr gibt. Ich wurde sogar von meinem Zuhause ausgesperrt.«
»Wo leben sie jetzt?«
»Bei meinem Freund Emmerich Fahl, dem ich viel verdanke … Jetzt sogar noch mehr.«
»Wenn das erstmal eine gute Lösung darstellt, freut es mich. Sollten Sie sich verändern wollen oder müssen, kommen Sie bitte auf mich zu. Ich habe schon für ganz andere ein Dach gefunden. Wir stehen hinter Ihnen, Herr Süden. Arbeiten Sie sich in Ruhe ein. Frau Dr. Rom- ääh, Schattenhofer passt auf Sie auf!«
»Fünf Euro in die Kaffeekasse, Herr Professor«, mahnte Schwester Nasifa.
»Warum? Ich hatte doch gar keinen Kaffee!«
»Das ist für den Versprecher. Am meisten hat Frau Doktor selbst eingezahlt.«
Egidius zog seufzend einen 5-Euro-Schein aus der Brieftasche.
»In Gottes Namen«, sagte er. »Das war ja ein teurer Besuch!«
»Hat