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Lady Glaters bewohnte einen hübschen, kleinen Landsitz in Kew Gardens, den man von der westlichen Ausfallstraße nicht einsehen konnte. Dichte und hohe Hecken, eine Mauer und alte Bäume umschlossen das alte Haus, das noch aus dem Mittelalter stammte.
Lady Glaters war eine ältere Dame, etwa sechzig Jahre alt und noch recht rüstig. Sie empfing Agatha Simpson mit großer Herzlichkeit, doch Butler Parker merkte gleich, daß diese Frau von einer inneren Unruhe und Nervosität erfaßt war. Zudem wich sie den Blicken ihrer Freundin aus, tat sehr geschäftig und vollführte sinnlose Handreichungen. Diese Frau schien unter starkem, innerem Druck zu stehen.
Sie lächelte gespielt, als Lady Simpson sofort auf ihren ersten Besuch zurückkam und erneut dazu Fragen stellen wollte.
»Genieren Sie sich nicht vor Mister Parker«, sagte Lady Agatha, »er ist nur äußerlich ein Butler, in Wirk-lichkeit spielt er die Rolle meines Vertrauten.«
»Sie waren schon immer etwas exzentrisch, meine Liebe«, gab Lady Glaters zurück und musterte den Butler, der keine Miene verzog.
»Er ist mein Vertrauter«, korrigierte sich Lady Agatha grimmig, »verstehen Sie von mir aus darunter, was Sie wollen.«
»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady nach weiteren Erscheinungen zu fragen?« schaltete sich der Butler hier ein, um dem bisherigen Gespräch die Spitze zu nehmen.
»Vergessen Sie, was Lady Simpson Ihnen auch immer erzählt haben mag«, gab die weißhaarige Dame zu-rück, »ich weiß jetzt, daß ich nur schlecht geträumt habe.«
»Du streitest jetzt ab, diesen Teufelsreigen auf deiner Wiese gesehen zu haben?« wunderte sich Lady A-gatha sichtlich.
»Ich habe sie geträumt, dessen bin ich mir jetzt sicher.«
»Gestern warst du aber ganz anderer Meinung, Ruth.«
»Heute ist eben ein neuer Tag«, entgegnete Lady Glaters leichthin, was ihr aber offensichtlich nicht leicht-fiel, »vergiß diese ganze Geschichte, Agatha! Ich muß mich sehr dumm benommen haben.«
»Weiß Gott«, fuhr Lady Agatha sie an, »du hast mich dadurch in einen Milchladen gebracht, in den ich gar nicht wollte. Schon gar nicht mit dem Wagen meiner Sekretärin.«
»Wenn du darauf bestehst, werde ich dir den Schaden ersetzen.«
»Mylady haben große Angst, nicht wahr?« fragte Parker sie ohne jede Vorwarnung, worauf Ruth Glaters kreidebleich wurde und die Lippen fest aufeinanderpreßte.
»Werden Mylady möglicherweise unter Druck gesetzt, erpreßt oder bedroht?« stellte der Butler seine nächste Frage.
»Nichts, überhaupt nichts.« Die Antwort fiel unnötig heftig aus. Ruth Glaters schüttelte fast wütend den Kopf. »Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten, Mister Parker, ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig!«
»Gewiß nicht, Mylady, aber Lady Simpson und meine bescheidene Wenigkeit möchten Ihnen helfen.«
»Mir ist nicht mehr zu helfen, äh, ich meine …« Sie war ratlos und wußte nicht, was sie sagen wollte. Sie senkte den Kopf, ließ sich in einen Sessel fallen und schluchzte trocken auf.
»Ruth«, bat Lady Agatha mit überraschend sanfter Stimme, »hab’ doch Vertrauen zu uns, wir möchten dir wirklich helfen. Sag schon, was passiert ist!«
»In der vergangenen Nacht muß etwas passiert sein«, behauptete der Butler ebenfalls, »sollten die Teufel und Dämonen zu Ihnen ins Haus gekommen sein?«
»Nein, nein«, lautete die hastige, ängstliche Antwort, die eigentlich nur als ein Eingeständnis gewertet werden konnte, »wovon reden Sie eigentlich? Hier im Haus war kein Mensch.«
»Ich erlaube mir, mehr an Dämonen und Teufel zu denken«, gab der Butler höflich zurück.
»Ich fühle mich müde und habe Kopfschmerzen«, redete sich Ruth Glaters heraus und sah wirklich abge-spannt aus. »Bitte, Agatha, komm’ zu irgendeinem späteren Zeitpunkt wieder! Ich werde mich telefonisch melden, aber laß mich jetzt allein! Ich muß mich hinlegen.«
In diesem Augenblick passierte es.
Sie zuckte wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb zusammen und faßte automatisch nach ihren Schläfen. Sie wandte sich, krümmte sich, keuchte, und dann erschienen plötzlich auf ihren Wangen die Ab-drücke einer Hand, die zugeschlagen hatte. Der Abdruck der fünf Finger war deutlich zu sehen.
Ruth Glaters wimmerte, faßte nach den geröteten Stellen und stürzte aus dem Zimmer.
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»Ich begreife das einfach nicht«, wunderte sich Agatha Simpson, als sie wieder in Parkers hochbeinigem Monstrum saß. Sie hatten den Landsitz verlassen und fuhren über die breite Schnellstraße. Parkers Wagen, äußerlich ein normales Taxi, war eine Art Trickkiste auf Rädern und enthielt technische Finessen und Über-raschungen, die der Butler sich ausgedacht hatte. Dieses Monstrum auf Rädern hatte schon manchen Sturm erlebt und war mitbeteiligt gewesen an der Lösung verzwickter Kriminalfälle.
»Lady Glaters muß einen hypnotischen Befehl erhalten haben«, stellte der Butler fest, »dieser Befehl war derart stark, daß sie die Ohrfeigen physisch fühlte.«
»Doktor Herberts scheint uns gut präpariert zu haben«, meinte Lady Simpson zufrieden, »oder haben Sie irgend etwas gemerkt, Mister Parker?«
»Nichts, Mylady. Darf ich mir erlauben, noch mal auf die Ohrfeigen zurückzukommen?«
»Darum möchte ich sogar gebeten haben!«
»Der Hypnotiseur hielt sich entweder in Lady Glaters Landsitz auf, oder aber er verfügt bereits tatsächlich über eine technische Einrichtung, seine hypnotischen Befehle über größere Strecken hinweg zu erteilen.«
»Und woran glauben Sie, Mister Parker?«
»Ich rechne mit beiden Möglichkeiten, Mylady.«
»Warum stellen wir nicht fest, wer sich außer Lady Glaters noch im Landsitz aufhält?«
»Das, Mylady, wird umgehend geschehen, sobald ich sicher bin, daß Mylady und meine bescheidene Per-son nicht verfolgt werden.«
»Ist man bereits hinter uns her?«
»Mein momentaner Verdacht richtet sich auf einen Motorradfahrer, Mylady.«
»Wurden Sie von solch einem Lümmel nicht schon mal verfolgt?«
»In der Tat, Mylady, als ich das Haus verließ und zur Bank fuhr.«
»Könnte der Motorradfahrer der Hypnotiseur sein?« Agatha Simpson bezwang ihren Wunsch, sich umzu-drehen und den Fahrer in Augenschein zu nehmen.
»Damit dürfte kaum zu rechnen sein«, entschied der Butler, »dieser Motorradfahrer wird nur eine Art Vorreiter des Dämons sein.«
»Wieso nennen Sie diesen Verbrecher einen Dämon?« Sie sah ihn erstaunt an.
»In dieser Rolle, Mylady, scheint der Verbrecher sich zu gefallen.«
»Warum locken Sie den Lümmel nicht aufs Glatteis, Mister Parker? Ich möchte endlich sehen, mit wem ich es zu tun habe.«
Parker nickte und setzte seinen Plan in die Tat um. Er kurvte von der Schnellstraße hinunter und fuhr in Richtung Richmond Park, wo der Verkehr um diese Zeit nur gering war.
Der Motorradfahrer folgte prompt und sorgte sich offensichtlich nicht, daß er entdeckt wurde. Er gab so-gar etwas Gas und schloß noch dichter auf. Er trug einen orangefarbenen Overall und einen Jethelm, war also nicht zu identifizieren.
»Das Dunkel lichtet sich ein wenig«, meldete Parker nach einem Blick in den Rückspiegel, »hinter dem Motorradfahrer