»Kommen Sie her, Mister Parker!« Lady Agatha fand unbewußt genau das Mittel, um ihren Butler zur Räson zu bringen. Die altvertraute Stimme drang durch den Nebel seines gestörten Bewußtseins. Josuah Parker kam mit den Bewegungen eines Maschinenmenschen von der Rampe herunter, schaffte die steile Treppe ohne Schwierigkeiten und näherte sich Lady Simpson, die sich allerdings auf ihre sehr spezielle Art wappnete. Sie vergewisserte sich, daß ihr Pompadour mit dem darin befindlichen »Glücksbringer« schwungbereit am rechten Handgelenk baumelte. Bei dem »Glücksbringer« handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen, das in dünnes Schaumgummi gewickelt war.
Eine verheerende Waffe in der Hand einer echten Könnerin!
»Sehen Sie inzwischen nach dem Mann dort oben«, sagte Lady Simpson leise zu Kathy Porter, »kommen Sie Parker aber nur nicht zu nahe, der Mann scheint mir unberechenbar zu sein.«
»Das ist ja schrecklich, Lady Agatha«, sagte Kathy Porter betroffen, die den Butler in solch einer Situati-on noch nie erlebt hatte.
»Tun Sie, was ich sage!« Agatha Simpson musterte den näher kommenden Butler, von dem sie nur noch wenige Schritte trennten. Kathy Porter ging in weitem Bogen um den Butler herum und lief dann zur Rampe hinauf.
»Erkennen Sie mich?« raunzte die Detektivin ihren Butler scharf und sehr ungnädig an.
»Gewiß doch«, gab der Butler zurück und – schlug mit seinem Universal-Regenschirm nach ihr. Doch ge-nau damit hatte Lady Simpson gerechnet. Geschickt wich sie diesem schnellen Schlag aus und setzte seiner-seits ihren Pompadour ein. Normalerweise hätte sie Parker wohl nie getroffen, denn seine Reaktionsschnel-ligkeit war beachtlich. In diesem Fall aber waren Parkers Bewegungen nicht koordiniert. Er mußte den »Glücksbringer« voll nehmen, sackte wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen in sich zusammen und lan-dete zu Füßen seiner Herrin.
»Na also«, sagte Lady Agatha zufrieden und grimmig. »Hatte ich es mir doch gleich gedacht. Dieser Mann muß krank sein.«
Sie beugte sich über Parker und nahm ihm sicherheitshalber erst mal den Universal-Regenschirm ab. Als sie die Schritte Kathys hörte, richtete sie sich auf und sah ihre Sekretärin fragend und unruhig an.
»Der Mann oben auf der Rampe ist tot«, sagte Kathy, sich zur Ruhe zwingend. »Ich glaube, sein Hinter-kopf ist mit einem schweren Gegenstand zertrümmert worden.«
»Die kurze Brechstange«, gab Lady Simpson grimmig zurück, »ich ahnte es bereits.«
»Aber Mister Parker kann das unmöglich getan haben, Lady Simpson!«
»Albernes Ding«, grollte die ältere Dame. »Natürlich hat er das nicht getan, aber beweisen Sie das mal der Polizei. Alles spricht doch gegen Mister Parker.«
»Was – was sollen wir jetzt tun, Mylady?« Kathy war ratlos.
»Zuerst werden wir Mister Parker wegschaffen«, antwortete Agatha Simpson energisch. »Los, Kindchen, fassen Sie mit an, verstauen wir Mister Parker im Wagen! Und dann nichts wie weg!«
»Müssen wir denn nicht die Polizei informieren?«
»Müssen schon, aber ich bin derart durcheinander, daß ich das vergessen habe«, erwiderte die ältere Da-me. »Stehen Sie gefälligst nicht so dumm herum, helfen Sie endlich!«
Das Trio hatte gerade die Hauptstraße erreicht und nahm Richtung auf die Westmister Bridge, als bereits aus nächster Nähe das Signalhorn eines Polizeifahrzeuges zu hören war.
»Das war in letzter Minute«, seufzte Agatha Simpson zufrieden und räkelte sich auf dem Beifahrersitz wie eine Glucke auf ihrem Gelege. »Ist Ihnen ein Licht aufgegangen, Kindchen? Unser Mister Parker sollte nach allen Regeln der Kunst verheizt werden. Aber diesen Strolchen werde ich einen dicken Strich durch die Rechnung machen.«
»Welchen Strolchen, Mylady?« erkundigte sich Kathy, die konzentriert steuerte.
»Das weiß ich doch nicht«, entrüstete sich die ältere Dame, »bin ich etwa eine Hellseherin?«
*
»Sind Sie sicher, daß Sie wieder in Ordnung sind?« fragte Lady Simpson und sah ihren Butler mehr als mißtrauisch an. Sie hielt ihren Pompadour einsatzbereit in der Hand und hätte ohne Gnade zugelangt, falls Josuah Parker sie erneut angriff.
»Mylady dürfen versichert sein, daß ich inzwischen wieder Herr meiner Sinne bin«, erklärte der Butler steif und würdevoll. »Muß ich von der Annahme ausgehen, mich unmöglich und inkorrekt benommen zu haben?«
Lady Simpson und Parker befanden sich keineswegs in der Stadtwohnung der streitbaren Dame. Die De-tektivin hatte ihren Butler an einen Ort entführt, der ihrer Ansicht nach sicher sein mußte. Es handelte sich um die Etage einer Bekannten, die zur Zeit an der Adria weilte und deren Verwalter mit der Einquartierung selbstverständlich sofort einverstanden war. Kathy Porter war losgefahren, um ärztliche Spezialhilfe zu be-sorgen.
»Sie sind etwas aus dem normalen Kurs gelaufen«, umschrieb Agatha Simpson die Handlungsweise ihres Butlers. »Sie haben natürlich keine Ahnung, was Sie angerichtet haben, nicht wahr?«
»Ich muß außerordentlich bedauern, Mylady.«
»Es hat den Anschein, als hätten Sie einen harmlosen Gemüsehändler umgebracht«, begann die Detekti-vin. »Sie hatten auf jeden Fall das Mordinstrument in der Hand. Anschließend wollten Sie auch mich ins Jenseits schicken. Mehr ist nicht passiert.«
»Mylady sehen mich zerknirscht.« Parker griff nach seinen immer noch leicht pochenden Schläfen und machte einen sehr unglücklichen Eindruck.
»Darum haben Kathy und ich Sie erst mal aus dem Verkehr gezogen«, redete die ältere Dame burschikos weiter. »Noch möchte ich Sie nicht bei der Polizei sehen.«
»Darf ich mir erlauben, Mylady noch mal zu versichern, daß ich von nichts weiß und mich an nichts zu er-innern vermag?«
»Strapazieren Sie mich nicht unnötig«, raunzte sie ihn an, »natürlich haben Sie den Mann nicht umge-bracht, wenn Sie mich fragen, natürlich war es nicht Ihre eigene Absicht, mich niederzukämpfen.«
»Ich möchte mich für das mir erwiesene Vertrauen bedanken, Mylady.«
»Erinnern Sie sich lieber, was wirklich passiert ist! Reißen Sie sich zusammen, Mister Parker!«
»Nachdem Mylady mich anherrschten, als ich den Tee servieren wollte, verließ ich das Haus«, begann Parker und richtete sich im Sessel noch steiler und senkrechter auf.
»Warum? Das scheint mir wichtig zu sein.«
»Mylady machten einen etwas ungewöhnlichen Eindruck auf meine bescheidene Wenigkeit.«
»Schildern Sie das!« Sie sah ihn unsicher an.
Parker faßte sich relativ kurz und brauchte nur etwa fünf Minuten, bis er mit seinem Bericht zu Ende war. Agatha Simpson schüttelte ratlos und nachdenklich den Kopf. So unmöglich sollte sie sich wirklich benom-men haben?
»Sie haben doch niemals nur die beleidigte Leberwurst gespielt, oder?« fragte sie dann, »warum, das frage ich also noch mal, warum haben Sie tatsächlich das Haus verlassen?«
»Ich hatte mir die Freiheit genommen, Mylady, gewisse Parallelen zu ziehen«, schickte der Butler voraus und war nun ganz wieder er selbst. »Darf ich Mylady an den Vorfall vor dem bewußten Milchladen erin-nern? Dort wurden die Anwesenden wahrscheinlich die Opfer einer Massensugestion oder Massenhypnose. Beim Servieren des bewußten Tees schienen Mylady erneut unter fremdem Zwang zu stehen?«
»Sie suchten also nach diesem Subjekt, das mit mir experimentierte?«
»Sehr wohl, Mylady. Und ich schien auf der richtigen Fährte gewesen zu sein, wenn ich mich so ausdrü-cken darf. Man verfolgte das Taxi, in dem ich saß, doch wenig später muß auch ich in den Bann dieses Dä-mons geraten sein.«
»Das kann man wohl sagen, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte