Mit anderen Worten: Wenn wir die Welt betrachten, sollten uns Worte in den Sinn kommen wie:
Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn;
drum dankt ihm, dankt,
drum dankt ihm, dankt
und hofft auf ihn!34
Wenn wir nicht regelmäßig unsere Arbeit ruhen lassen und uns Zeit zur Anbetung Gottes nehmen (die für Pieper eine der Hauptaktivitäten der „Muße“ ist) und einfach über die Welt (einschließlich der Früchte unserer Arbeit) nachsinnen und sie genießen, erleben wir keinen wirklichen Sinn in unserem Leben. Pieper wörtlich:
Gegen die Ausschließlichkeit des Richtbildes der Arbeit als Mühe … steht die Muße als die Haltung feiernder Betrachtung … Muße lebt aus der Bejahung. Muße ist nicht einfach dasselbe wie Nicht-Aktivität … Sie ist wie die Stille im Gespräch der Liebenden, das aus der Übereinstimmung sich nährt … Und wie es in der Schrift heißt, Gott habe, indem er „feierte von dem Werke, das er gemacht“, gesehen, dass alles sehr gut war (Gen. 1,31), so auch schließt des Menschen Muße ein feiernd-zustimmendes Verweilen des inneren Blickes auf der Schöpfungswirklichkeit in sich.35
Kurz: Arbeit (und sogar viel Arbeit!) ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines erfüllten Lebens. Sie ist eines der größten Gottesgeschenke und mit das Wichtigste, das unserem Leben Sinn gibt. Doch sie muss ihren richtigen Platz haben, sie muss Gott dienstbar sein und regelmäßig unterbrochen werden von Freizeit und Muße – nicht nur zur körperlichen Regenerierung, sondern auch zum freudigen Genießen der Welt und der kleinen Dinge im Leben.
Kommt Ihnen das selbstverständlich vor? Sagen Sie: „Natürlich ist Arbeit wichtig, und natürlich ist sie nicht das Einzige im Leben“? Aber es ist so wichtig, diese beiden Wahrheiten richtig zu verstehen. Denn in einer gefallenen Welt ist Arbeit frustrierend und anstrengend, und nur zu leicht kommt man zu dem Schluss, dass man ihr aus dem Weg gehen oder sie halt über sich ergehen lassen muss. Und weil unsere ruhelosen Herzen nach Bejahung und Bestätigung schreien, ist es genauso verführerisch, in das andere Extrem zu fallen und Arbeit und Karriere zum Mittelpunkt des Lebens zu machen. Nicht selten ist Arbeitssucht sogar ein perverser Versuch, unser Lebensarbeitspensum frühzeitig hinter uns gebracht zu haben, damit wir das Kapitel „Arbeit“ abhaken können. Mit dergleichen Einstellungen machen wir unsere Arbeit nur noch lähmender und unbefriedigender.
Wenn wir denken: „Ich hasse Arbeit!“, sollten wir uns ins Gedächtnis rufen, dass Arbeit uns zwar manchmal wie kaum etwas anderes an den Fluch der Sünde über alle Dinge erinnern kann, aber dass sie nicht selber ein Fluch ist. Wir sind für sie geschaffen, und sie macht uns frei. Aber wenn unser Leben sich nur noch um die Arbeit zu drehen scheint, sollten wir auch an ihre Grenzen denken. Es gibt kein besseres Fundament für ein sinnvolles Arbeitsleben als ein solides Verständnis der Balance zwischen Arbeit und Muße, die wir in der Bibel finden.
Kapitel 2
Die Würde der Arbeit
Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. (1. Mose 1,26-27 LU)
Arbeit als erniedrigende Notwendigkeit
Eine der am meisten gelesenen Philosophinnen des 20. Jahrhunderts zum Thema „Arbeit“ ist Ayn Rand. In ihren beiden bekanntesten Romanen schafft sie Protagonisten, die sich gegen die Trends des Sozialismus und Kollektivismus stellen. Howard Roark, der Architekt in Der ewige Quell, rührt den Leser an mit seiner Leidenschaft für das Schaffen von Gebäuden, die die Ressourcen der Natur kreativ nutzen, geschmackvoll in ihre Umgebung passen und den Bedürfnissen ihrer Bewohner bestens dienen. Rand stellt ihn als sehr menschlich dar, ganz anders als andere Architekten, die ihre Arbeit um des Geldes oder Prestiges willen tun. In Der Streik haben wir einen ganz anderen Helden: John Galt, der einen Streik der produktivsten Menschen der Gesellschaft anführt, die sich nicht länger ausbeuten lassen wollen. Er möchte zeigen, dass eine Welt, in der die Menschen nicht mehr kreativ schaffen dürfen, untergeht. Für Rand ist kreative, produktive Arbeit unerlässlich für die Würde des Menschen, aber sie verliert meist viel von dieser Würde durch Bürokratie und die Sachzwänge des Alltags. Wie eine der Figuren in Der Streik sagt: „Ob es um eine Sinfonie oder um ein Kohlebergwerk geht, alle Arbeit ist ein schöpferischer Akt und kommt aus derselben Quelle: … der Fähigkeit, zu sehen, zu verbinden und zu schaffen, was bisher nicht gesehen, verbunden oder erschaffen war.“36
Rand hat etwas begriffen von einem der zentralen Aspekte der Würde des Menschen, wie wir sie von unserer Lektüre von 1. Mose 1 her verstehen. Leider war sie auch eine der lautesten Kritikerinnen des christlichen Glaubens und lehnte den Gott der Bibel, der den Menschen nach seinem eigenen Bilde erschaffen hat, ab. Arbeit ist nach wie vor ein Hauptaspekt der Menschenwürde, und selbst die säkularsten modernen Denker spüren dies. Das war nicht immer so.
Die alten Griechen glaubten auch, dass die Götter die Menschen zum Arbeiten erschaffen hatten. Allerdings sahen sie dies nicht als Segen. Arbeit war für sie etwas Erniedrigendes. „Für die Griechen war Arbeit ein Fluch und sonst nichts“ – so der italienische Philosoph Adriano Tilgher.37 Für Aristoteles war die „Muße“ (also die Möglichkeit, zu leben, ohne arbeiten zu müssen) eine Hauptbedingung für ein wirklich lebenswertes Leben.38 Was brachte die Griechen zu dieser Sicht von der Arbeit?
In seinem Dialog Phaidon argumentiert Platon, dass unser Leib ein Klotz am Bein unserer Seele und ihrer Suche nach der Wahrheit ist. Wer in diesem irdischen Leben innere Einsicht und Reinheit erlangen will, muss seinen Körper so weit wie möglich ignorieren. Der Tod ist daher eine Art Befreiung, ja ein Freund der Seele.39 „Die griechischen Philosophen stellten sich die Götter im Wesentlichen als vollkommene Geistwesen vor, die sich selbst genügten und sich nicht mit dem Getriebe dieser Welt und der Menschen abgaben. Die Menschen hatten die Aufgabe, durch den Rückzug aus dem aktiven Leben in die Kontemplation wie die Götter zu werden.“40 Die Kontemplation half einem, zu erkennen, dass die materielle Welt vorübergehend, ja letztlich eine Illusion ist und dass der Mensch, der sich zu sehr in sie verliert oder emotional an sie hängt, dadurch in eine geradezu animalische Existenz der Angst, der Wut und der Sorge hinabgezogen wird. Der Weg zu wahrem Frieden und Glück bestand darin, innere Unabhängigkeit von den Dingen dieser Welt zu gewinnen. Der Philosoph Epiktet lehrte seine Schüler: „Das gute Leben ist ein Leben ohne Hoffnungen und Ängste, das Leben, das mit dem, was ist, versöhnt ist, die Existenz, die die Welt so akzeptiert, wie sie ist.“41 Am meisten Mensch war man, wenn man sich nicht mit der physischen Welt abgab.
Damit war die Arbeit eine Barriere auf dem Weg zu der höchsten Form des Lebens, machte sie es einem doch unmöglich, sich über die irdische Öde in das Reich der Philosophie, die Sphäre der Götter, zu erheben. Die Griechen begriffen sehr wohl, dass das Leben in dieser Welt Arbeit erfordert, aber sie glaubten, dass nicht alle Arbeit gleich war. Arbeit, die mit dem Geist und nicht dem Körper geschah, war edler, weniger tierisch. Die höchste Form der Arbeit war die, die am meisten den Verstand und am wenigsten die Hände benutzte. „Die ganze Struktur der griechischen Gesellschaft leistete einer solchen Sicht Vorschub, denn sie beruhte auf der Prämisse, dass Sklaven und [Handwerker] die Arbeit taten, damit die Elite Zeit und Muße hatte, sich der Entwicklung des Geistes in der Kunst, Philosophie und Politik zu widmen.“42 In seiner Politik I,5 macht Aristoteles seine berühmte Bemerkung, dass manche Menschen als Sklaven geboren sind, d. h., manche Menschen sind weniger zu höherem, rationalem Denken befähigt und sollen daher die niedere Arbeit tun, um den höher stehenden Geistern die nötige Muße für ein der Ehre und der Kultur gewidmetes