Vielleicht war es ein Fall von ausgleichender Gerechtigkeit für all meinen Frust über die mangelnde Unterstützung durch die Kirchen, dass sechs Monate später die Redeemer Presbyterian Church mich einlud, zurück nach New York zu kommen, um eine Arbeit für Menschen im Berufsleben aufzubauen. Nachdem ich ein Jahrzehnt lang mit Gott gerungen, über die verwandelnde Kraft des Evangeliums gegrübelt und darüber geklagt hatte, wie die Kirchen einen bei dem Thema „Arbeit und Beruf“ im Regen stehen ließen, bekam ich jetzt eine Chance, anderen zu helfen, die Hoffnung und Wahrheit des Evangeliums besser an ihrem Arbeitsplatz auszuleben.
Das vorliegende Buch bietet einige grundsätzliche Gedanken über Gott, Jesus und den Heiligen Geist, über unser Verhältnis zu diesem dreieinigen Gott und darüber, was all dies für die Arbeit bedeutet, zu der Gott uns erschaffen hat. Wie wir arbeiten – im Kontext unserer Kultur, unserer Zeit, unseres Berufes und unserer Firma – ist etwas, worüber wir alle, jeder an dem Platz, wo er steht, nachdenken müssen. Aber die Antworten werden alle darum kreisen müssen, wer Gott ist, was seine Beziehung zu uns und sein Plan für die Welt ist und wie das Evangelium unser Leben und die Art, wie wir arbeiten, auf den Kopf stellt.
Ich bin dankbar dafür, wie Tim Keller in den letzten 25 Jahren in seinen Predigten und seiner Art, die Gemeinde zu leiten, das Evangelium auf unser Berufsleben angewendet hat. Und dass er sich die Zeit genommen hat, diese Grundlagenarbeit in diesem Buch zu Papier zu bringen, damit wir alle tiefer schürfen und mehr darüber lernen können, wie Gott uns in unserer Arbeit beruft zum treuen Dienst für ihn.
Katherine Leary Alsdorf
Leiterin des Center for Faith & Work der Redeemer Presbyterian Church
EINLEITUNG
Warum wir die Berufung
wiederentdecken müssen
Robert N. Bellahs epochemachendes Buch Gewohnheiten des Herzens hat vielen Amerikanern geholfen, das Phänomen zu benennen, das damals wie heute den Zusammenhalt unserer Kultur untergräbt: den „expressiven Individualismus“. An anderer Stelle argumentiert Bellah, dass die Amerikaner eine Kultur geschaffen haben, die die Wahlfreiheit und das Eigenleben des Einzelnen so betont, dass es kein gemeinsames Leben mehr gibt, keine großen Wahrheiten und Leitwerte, die die Gesellschaft zusammenbinden. Bellah wörtlich: „Wir bewegen uns auf eine immer größere Bejahung der Heiligkeit des Einzelnen zu, [aber gleichzeitig] verschwindet unsere Fähigkeit, uns eine Gesellschaftsstruktur vorzustellen, die die Individuen zusammenbindet … Der Heiligkeit des Individuums fehlt das Gegengewicht des Gespürs für das Ganze oder der Sorge um das Gemeinwohl.“2 Doch am Ende von Gewohnheiten des Herzens schlägt er einen Schritt vor, der uns auf dem Weg der Restabilisierung unserer sich auflösenden Kultur ein gutes Stück weiterbringen würde:
Um zu einer wirklichen Veränderung zu führen, … [müssten wir] uns die Idee des Berufs oder der Berufung wieder aneignen … müssten wir zu der Idee zurückfinden, dass Arbeit ein Beitrag zum Wohl aller und nicht bloß ein Mittel zum eigenen Fortkommen ist.3
Dies ist ein bemerkenswerter Satz. Wenn Bellah recht hat, besteht eine der Hoffnungen für unsere zerfallende Gesellschaft in der Wiederentdeckung der Idee, dass alle menschliche Arbeit nicht bloß ein „Job“, sondern eine Berufung ist. Das Wort „Beruf“ kommt von „berufen“. Heute bedeutet es oft einfach „Arbeitsplatz“ oder „Job“, aber das war nicht die ursprüngliche Bedeutung. Ein Job ist nur dann ein „Beruf“, wenn jemand anderes mich damit beauftragt hat und ich die Arbeit für ihn und nicht für mich selber mache. Unsere Arbeit kann nur dann eine Berufung sein, wenn wir sie als Dienst und Auftrag sehen, der über unseren Eigennutz hinausgeht. Wir werden noch sehen, dass ein Denken, das Arbeit in erster Linie als Mittel zur Selbstverwirklichung sieht, den Einzelnen langsam kaputt macht und (wie Bellah und viele andere aufgezeigt haben) damit auch die ganze Gesellschaft untergräbt.
Doch wenn wir ein altes Denken „wiederentdecken“ wollen, müssen wir uns zuerst anschauen, woher es stammt. Die Definition von Arbeit als Berufung gründet in der Bibel, und im Folgenden wollen wir, Bellahs Ruf folgend, unser Möglichstes tun, um die revolutionäre, neu machende Beziehung zu beleuchten, die zwischen dem christlichen Glauben und dem Arbeitsplatz besteht. Wir werden diese Beziehung und alle Gedanken und Praktiken, die damit zu tun haben, unter die Überschrift „Integration von Glaube und Arbeit“ stellen.
Glaube und Arbeit – ein Fluss
mit vielen Strömungen
Wir sind nicht allein bei diesem Versuch. Der Beziehung des christlichen Glaubens zur Arbeit wird heute so viel Aufmerksamkeit gewidmet wie vielleicht seit der Reformation nicht mehr. Die Zahl der Bücher, Forschungsprojekte, akademischen Veranstaltungen und Internetdiskussionen zu diesem Thema ist in den letzten beiden Jahrzehnten lawinenartig gewachsen. Doch Christen, die konkrete Wegweisung für ihren Berufsalltag suchen, finden oft wenig Hilfen in dieser wachsenden Bewegung. Einige, wie Katherine Alsdorf (vgl. das Vorwort), stellen enttäuscht fest, wie oberflächlich die Ratschläge und Beispiele sind. Andere sind verwirrt von der Vielfalt (manche würden sagen: dem Wirrwarr) der Stimmen, die da ihre Ratschläge für den arbeitenden Christen geben.
Man kann sich diese aktuelle „Faith-at-Work-Bewegung“ als Fluss vorstellen, der aus ganz unterschiedlichen Nebenflüssen und Quellen gespeist wird. Am aktivsten und zahlenmäßig stärksten sind hier vielleicht die Gruppierungen mit einem evangelikalen Verständnis der Bibel und des christlichen Glaubens, aber es gibt auch sehr bedeutende Beiträge von anderen Traditionen und Richtungen. Von der ökumenischen Bewegung stammt die Idee, dass Christen ihre Arbeit zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit in der Welt einsetzen sollten. Der berufstätige Christ – so konnten wir hier lernen –, der seine Arbeit gut tun will, braucht eine spezifisch christliche Ethik.4 Die Gruppenbewegung des 20. Jahrhunderts betonte, dass die Christen einander als Lehrer und Helfer brauchen, um in den Mühen des Arbeitsalltags zu bestehen.5 Hier lernten wir, dass gute Arbeit innere Erneuerung und ein verwandeltes Herz benötigt. Die Erweckungstradition im Evangelikalismus sieht den Arbeitsplatz im Wesentlichen als Ort, wo ich Jesus Christus bezeuge,6 und als Christ berufstätig zu sein bedeutet ja in der Tat eine gewisse „öffentliche“ Identifizierung mit Jesus, die geeignet ist, Kollegen neugierig auf ihn zu machen.
Viele haben sich auch nach älteren Quellen für die Integration von Glaube und Arbeit umgesehen. Für die großen Reformatoren, allen voran Martin Luther und Johannes Calvin, war alle Arbeit (auch sogenannte „weltliche“) genauso eine Berufung Gottes wie der Dienst des Mönchs oder Priesters.7 Zu den Grundüberzeugungen der lutherischen Theologie gehört die Betonung der Würde aller Arbeit und die Einsicht, dass Gott die Menschheit durch unsere menschliche Arbeit versorgt, speist, kleidet, behütet und trägt. Wenn wir arbeiten, sind wir, wie die Lutheraner dies gerne ausdrücken, die „Finger Gottes“, die Werkzeuge seiner Fürsorge und Liebe zu den Menschen. Dieses Verständnis der Arbeit erhebt ihren Sinn vom bloßen Lebensunterhalt zur Nächstenliebe und macht uns gleichzeitig frei von der drückenden Last, durch Arbeit unseren Selbstwert beweisen zu müssen. Die Vertreter der calvinistischen oder reformierten Tradition, wie z. B. Abraham Kuyper, legten Wert auf noch einen weiteren Aspekt der Arbeit als Berufung Gottes: Arbeiten heißt nicht nur, die Schöpfung pflegen, sondern auch, sie lenken und strukturieren. In dieser reformierten Sicht besteht der Sinn der Arbeit im Schaffen einer Kultur, die Gott ehrt und in der die Menschen gedeihen können. Jawohl, wir sollen unseren Nächsten lieben, aber der christliche Glaube macht sehr spezifische Aussagen über das Wesen des Menschen und was seinem Wohl dient, und wir müssen dafür sorgen, dass unsere Arbeit in Übereinstimmung damit geschieht. Der treue christliche Arbeiter steht auf dem Boden einer christlichen „Weltsicht“.8
All diese unterschiedlichen Traditionen geben