Die Frage enthielt schon die Antwort in sich.
Das Mädchen, das bereits auf der Treppe zum Obergeschoß stand, schüttelte den Kopf.
»Kommen Sie!« sagte der Marshal rauh.
Sie ging vor ihm die Treppe hinauf und öffnete die Tür eines Zimmers, das zum Hof hinausführte. Wyatt warf einen kurzen Blick in den Raum und schüttelte dann den Kopf. »Kilby hat nicht in diesem Zimmer gewohnt!«
»Nicht?« Sie lehnte sich gegen den Türpfosten und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann sagte sie in lockendem Ton: »Ich hatte mir schon immer gewünscht, Sie einmal zu sehen, Mr. Earp. Wenn man so viel von Ihnen gehört hat, ist es schließlich kein Wunder. Die Männer an der Theke erzählen doch seit Jahren von Ihnen.«
Sie ließ diesen Worten einen verführerischen Augenaufschlag folgen, der jedoch bei dem Marshal nicht verfing.
Barsch sagte er: »Wo ist Kilbys Zimmer?«
»Ich dachte, er hätte hier gewohnt.«
»Sie dachten? Sie wissen es also nicht?« erkundigte er sich schroff.
Conchita zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen, ohne ihren Platz am Türpfosten zu verlassen.
»Wer wohnt da drüben?« Wyatt deutete auf die gegenüberliegende Tür.
»Das Zimmer ist besetzt.«
Der Marshal trat auf die Tür zu, klopfte und stieß sie dann auf.
Mit hysterischem Schrei fuhr eine Frau, die am Tisch gesessen und Whisky getrunken hatte, auf, preßte den Morgenmantel um sich und suchte mit der Linken ihr strähniges rotes Haar aus dem Gesicht zu streichen.
»Pardon, Madam«, entschuldigte sich der Marshal und wollte die Tür zuziehen.
»Wer sind Sie und was wollen Sie?« rief die Frau.
Da trat Conchita neben den Marshal an die Tür.
»Er ist Wyatt Earp, Dolores.«
»Wyatt Earp?« fragte die Frau. »Nein.« Dunkle Röte überzog ihr vom Alkohol aufgeschwemmtes Gesicht. »Ich bin die Frau des Salooners«, erklärte sie.
»Mrs. Madock also?«
»Nein, Mr. Madock ist nur der Keeper. Mein Mann ist nicht da. Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
»Ja, das können Sie, Madam. Ich suche einen Mann namens Kilby.«
»Mr. Kilby?«
Zu spät bemerkte Dolores den warnenden Blick, den ihr Conchita zuwarf. »Der wohnt hier nebenan.«
»Danke.« Wyatt entschuldigte sich und war sofort an der Nebentür.
Sie war verschlossen.
»Öffnen Sie, Miss Conchita.«
Das Mädchen zog die Schultern hoch. »Ich habe keinen Schlüssel.«
»Wenn Sie nicht öffnen, werde ich die Tür aufbrechen!«
Da kam die Saloonerin auf den Gang und rasselte mit einem Schlüsselbund. »Einer davon muß es sein.«
Sie versuchte mehrere Schlüssel. Und als sie keinen passenden fand, nahm ihr der Marshal den Bund aus der Hand, und schon der zweite Schlüssel paßte.
Die Tür sprang auf. Wyatt blickte in einen leeren Raum. Er untersuchte ihn kurz und kam dann wieder auf den Gang zurück. Die beiden Frauen blickten ihm erwartungsvoll entgegen.
»Da hat er also gewohnt? Well, das kann stimmen. Da von dem Fenster aus hat er gestern nacht den Schuß auf mich abgegeben.«
»Den Schuß?« Die Saloonerin griff sich an die Kehle und schwankte. Offensichtlich war sie eine Trinkerin, ihr Gesicht verriet es. Als sie den Blick des Marshals bemerkte, wandte sie sich ab und verschwand mit nicht ganz sicheren Schritten und einer gemurmelten Entschuldigung in ihrem Zimmer.
Conchita lächelte gehässig und blickte den Marshal siegessicher an. »Da bin ich doch eine andere Frau, nicht wahr, Mr. Earp?«
»Wann ist er abgeritten?« umging der Marshal ihre Frage.
»Ich weiß es nicht.«
Wyatt stand jetzt vor ihr und umspannte mit der Linken ihren Oberarm, so daß sie das Gesicht verzog.
»Miss Conchita«, sagte er eindringlich, »dieser Mann ist ein Mörder! Außerdem hat er oben in Tombstone eine Frau schwer verwundet!«
In Conchitas Augen war plötzlich nur noch Angst.
»Ich weiß… es nicht. Er ist weg!«
»Also, das wissen Sie, daß er weg ist.«
»Ja, ich glaube, ich habe ihn gehört. Mein Zimmer ist ja nebenan.«
»Kann ich Ihr Zimmer sehen?«
»O ja.« Sofort trat wieder das erfolggewohnte Lächeln in ihre Augen. Sie öffnete die Tür ihres Zimmers, und Wyatt warf einen kurzen Blick hinein. Die Vermutung, daß sich Kilby vielleicht dort verborgen haben könnte, wurde enttäuscht.
»Möchten Sie vielleicht auch ein Zimmer bei uns?«
»Nein, danke.«
»Schade, ich hätte Ihnen gern unser bestes Zimmer gegeben.«
Wyatt blieb stehen und senkte seinen Blick in die Augen des Mädchens.
Conchita vermochte diesem Blick nicht standzuhalten und senkte die Augen zu Boden.
»Ja, bitte«, sagte sie leise.
»Wo ist Kilby hingeritten?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie.
Wyatt umspannte jetzt ihre beiden Oberarme.
»Conchita«, sagte er noch eindringlicher, »Sie müssen es mir sagen. Sie machen sich sonst mitschuldig.«
Als die den Kopf hob, hatte die tatsächlich Tränen in den Augen.
»Nach Martini«, flüsterte sie hastig.
»Nach Martini?« wiederholte der Marshal. »Das liegt doch drüben in Mexiko!«
Sie nickte nur.
»Conchita, was haben Sie mir noch zu sagen?«
Sie schüttelte nur den Kopf und versuchte sich von ihm loszumachen.
Da gab er sie frei und wandte sich um und ging die Treppe hinunter.
Als er an der Theke vorbeikam, hatte Madock ein Glas in der Hand, aus dem er gerade einen tiefen Schluck genommen hatte.
Die Inhaber und die Bediensteten des Gold Dollar Saloons schienen dem Alkohol schon sehr früh am Tage zuzusprechen.
»Na?« fragte Madock in näselndem Ton. »Haben Sie ihn gefunden, Marshal?«
»Ich werde ihn finden, Madock. Verlassen Sie sich darauf.«
»Na, dann viel Glück«, meinte der Keeper, goß sich den Rest aus dem Glas in die Kehle und warf den Kopf dabei auf eine unangenehme Art ins Genick, so daß man sehen konnte, wie sein scharfer Adamsapfel auf und nieder rutschte. Als er den Kopf wieder senkte, sah er – zu seinem Schrecken hinter der Theke den Marshal vor sich stehen. Madock wich zurück und prallte so hart gegen das Flaschenbord, daß die Gläser aneinanderklirrten.
»Was wollen Sie von mir?« stotterte er.
»Sie haben mir viel Glück gewünscht, Madock. Und ich möchte mich dafür bedanken.«
Der Keeper starrte den Missourier unsicher an.
»Sie… wollen doch etwas?«
Wyatt blieb stehen und ließ den Mann nicht aus den Augen.
Da geschah etwas Sonderbares: das Glas entglitt Madocks Hand und zerschellte am Boden. Und im nächsten Augenblick