»Kennen Sie ihn?«
»Nein, aber wäre es wohl möglich, einen Augenblick mit ihm zu reden?«
»Natürlich. Kommen Sie.«
Nur ein schwaches diffuses Licht fiel vom Fenster ins Zimmer und ließ erkennen, daß rechts ein Bett an der Wand aufgeschlagen wr.
»Mr. Walker, hier sind zwei Gentlemen, die mit Ihnen sprechen möchten. Sie werden staunen, wenn Sie ihre Namen hören. Dies hier ist Marshal Wyatt Earp und dort ist Dr. Holliday.«
Der Verletzte richtete sich leise ächzend auf.
»Bitte, bleiben Sie liegen«, sagte Doc Holliday halblaut.
»Wyatt Earp…?« kam es heiser von den Lippen des Ranchers. »Um Himmels willen, Marshal – was ist denn – ist was mit ihm – mit dem Jungen?«
»Nein, wir kennen Ihren Jungen ja nicht, Mr. Walker; wir hörten nur von Ihrem Mißgeschick und wollten uns nach Ihrem Befinden erkundigen.«
Sie blieben ein paar Minuten, und der alte Mann bedankte sich bei ihnen für ihre Teilnahme.
Dann standen sie im Behandlungszimmer bei dem Doktor.
»Es war sein Sohn«, sagte der düster, »sein eigener Sohn. Ich weiß nicht, weshalb der Rancher ihm nachritt, jedenfalls war es der Bursche!«
»Sonst wissen Sie nichts weiter von der Geschichte?« erkundigte sich der Missourier.
Der Doktor schüttelte den Kopf.
»Nein, mir reicht das schon. Der Bursche muß sich mit ihm gezankt haben. Wer weiß, um was es da ging. Der Alte spricht sich ja nicht aus.«
»Und vom Westcreek, sagten Sie, stammt der Rancher?«
»Yeah, vom Westcreek.«
Ein paar Minuten später ging der Spieler noch einmal hinüber in den Mietstall.
Florence war gerade damit beschäftigt, ein Pferd zu striegeln.
Als sie den Mann kommen sah, richtete sie sich auf und sagte: »Sie haben selten schöne Tiere, Mister…«
»Ja, aber ich hörte, vor Tagen sei ein hübscher Weißfuchs hier gewesen…?«
»Ein Weißfuchs?« Das Mädchen sann nach. Dann nickte sie heftig. »Sie meinen den jungen Walker. Yeah, er ritt ein schönes Tier, aber ich finde, daß der Schecke besser ist und der Rapphengst sogar todsicher.«
Holliday reichte ihr ein Geldstück.
»Wofür?«
»Daß Sie meinem Schecken morgen früh gleich Wasser geben. Das ist er so gewohnt, wissen Sie. Und wenn er das nicht bekommt, ist er den ganzen Tag über mucksig.«
Florence lachte, und ihre perlengleichen Zähne schimmerten aus dem Halbdunkel heraus. »Ja, es gibt eigenartige Tiere.«
Als Doc Holliday anschließend in das Zimmer des Marshals kam, stand der am dunklen Fenster und blickte auf die Straße hinunter.
»Nun haben wir ja mit einem Schlag eine ganze Menge erfahren. Viel mehr sogar, als ich zu hoffen gewagt hatte. Der Bursche ist von der Ranch geflüchtet, und der Alte ist ihm gefolgt. Jetzt wüßte ich nur noch gern, weshalb Jerry Walker vom West-creek weggeritten ist.«
»Ob ihm der Sheriff folgte, weil er den Vater niedergestochen hat?« überlegte Holliday.
»Kaum anzunehmen, da der Mann ja nicht von hier war, der in Dead West getötet wurde.«
»Das wissen Sie auch schon«, meinte der Georgier verdutzt.
»Yeah, ich war gerade einen Augenblick beim Sheriff. Es ist ein blutjunger Kerl ohne Deputies, der seit anderthalb Jahren den Job hat…«
»Und wahrscheinlich sehr stolz darauf ist.«
»Richtig.«
Die Kette um Jerry Walker hatte sich schon zu einer bedenklichen Enge zusammengeschlossen. Zwar kannte Wyatt Earp noch nicht das Motiv, den Grund für all die Geschehnisse, aber auch da tappte er keinesfalls völlig im dunkeln.
»Dieser Bursche hat irgend etwas auf dem Gewissen. Etwas, das den Sheriff und seinen eigenen Vater veranlaßte, ihm zu folgen.«
»Ob es mit dem Weg hier zusammenhing? Ich finde es sonderbar, daß die beiden den Weg des Flüchtlings so sicher verfolgt haben. Vor allem doch der Sheriff…«
»Wohin soll ein Mann reiten, wenn er vom Westcreek kommt? Nach Süden? Da türmen sich in allerkürzester Entfernung schon gewaltige Berge auf. Im Norden ebenfalls. Im Westen liegt die scharfe Grenze Utahs. Da bleibt doch eigentlich nur der Weg nach Osten.«
»Ich möchte wissen, wohin der Bursche jetzt will?«
»Vielleicht war er nur noch vor dem Sheriff auf der Flucht. Er hat ihn ausgelöscht und kehrt ganz einfach wieder um.«
»Um? Wohin?«
»An den Westcreek.«
»Glauben Sie das wirklich?« fragte der Georgier stirnrunzelnd.
»Wer kann das wissen? Jedenfalls hat er in Dead West ganz plötzlich kehrtgemacht. Weshalb? Er ist dorthin gekommen und der Sheriff auch. Und Jerry Walker kehrt um.«
»So glaube ich beispielsweise auch nicht, daß er es riskieren wird, über Sanfor zu reiten.«
»Nein, das glaube ich eigentlich auch nicht. Denn der Gedanke ist ziemlich unverdaulich, daß er erst den Sheriff niederknallt und dann hier nach seinem Vater sieht, dessen elenden Zustand er ja auch verursacht hat.«
»Wie – wenn der Bursche zurück auf die Ranch reitet, um da Dinge anzubringen, an die er nicht herankam, wenn der Rancher auf dem Hof ist.«
»Nicht ausgeschlossen…«
Sie waren ihm in allem dicht auf der Spur, die beiden Dodger. Eines aber wußten sie nicht: daß der Sheriffmörder Jerry Walker zwei Bundesgenossen hatte.
*
Zwei Tage lang hatten die drei Tramps die Berge durchzogen. Immer und immer wieder hatte Walker haltgemacht, sich auf eine erhöhte Stelle postiert und das Land, das hinter ihnen lag, beobachtet.
Nachts hatte er nicht mehr geschlafen, weil er glaubte, die Verfolger müßten schon in der Näher sein.
Er traute es Wyatt Earp durchaus zu, den ganzen Tag über unsichtbar zu bleiben und mitten in der Nacht plötzlich am Lagerplatz aufzutauchen. Und daß sich der Marshal dann auch nichts aus den beiden Gaunergestalten Velo und Norton machen würde, war Jerry völlig klar.
Deshalb mußte er wachen. Er mußte der Angreifer sein. Auf keinen Fall durfte er sich von dem Marshal überrumpeln lassen.
Immer und immer wieder wollte ihn der Schlaf übermannen, aber die Angst vor dem Verfolger war so groß, daß er schließlich doch wach blieb.
Das rächte sich natürlich amTag. Er brauchte Schlaf und brachte es fertig, die beiden goldgierigen Hyänen, die er da mit sich schleppte, als Wachen aufzustellen. Er sah genau in ihren Gesichtern, was in ihnen vorging.
Besonders Velo zeigte deutlich, wie er sich die Teilung der Ausbeute gedacht hatte.
Aber Walker wußte ja, daß es gar keine Goldader und also auch gar keine Ausbeute geben konnte, die geteilt werden müßte.
Noch war er sicher wie in Abrahams Schoß, wenn er tagsüber unter der Obhut der beiden Banditen wachte.
Die beiden waren schon mißtrauisch untereinander geworden. Wenn der eine mit Walker sprach, sah der andere zu, daß er ja jedes Wort mitbekam.
So hatten sie sich schon zwei Tage und zwei Nächte durch die Berge geschleppt.
Nachts wachte Walker und verbrachte neun Stunden voller Angespanntsein und Angst – tagsüber wachten die beiden. Weiter kamen sie auf diese Weise immer nur wenig.