Das silberne Band des Westcreek schlängelte sich durch die Rio Blanco Prärie im oberen Colorado. Ein leichter Wind, der von den Bergen kam, kräuselte die Wellen des Flusses und bog das kniehohe Büffelgras.
Der Rancher reckte seinen bärenhaften Schädel und blickte über das weite Land. Drüben in der Talsenke stand ein Teil seiner gewaltigen Herde. Hinter den Hills waren die Boys bei den anderen Tieren. Viertausend Rinder und neunzehn Reiter – das hatte John Walker auf seiner Weide stehen. Und diese Weide war ein Land ohne Zäune, ein Land, das zu umreiten man länger als einen vollen Tag benötigte.
Hier oben auf dem windigen Hügel standen sieben große festgefügte Holzbauten, die den Stürmen der Zeiten, Indianerangriffen, Überfällen weißer Banden und den beiden großen Tornados getrotzt hatten, die im Lauf eines Vierteljahrhunderts gegen ihre Wände anstürmten.
Die Walker Ranch suchte ihresgleichen im Umkreis von dreihundert Meilen. Die Herde stand gesund da und das Gras war nirgends besser als drüben an den Hängen der Silver Hills, die zu Walkers Land gehörten. Überall zogen sich die kleinen perlenden Creeks durch das Land und sorgten für das Leben in der Weide.
Und doch stand in dem wetterbraunen Gesicht des etwa sechzig-jährigen Mannes eine steile Falte, die sich bis hinauf zu dem silbergrauen Haaransatz zog. Um die Mundwinkel des Ranchers zogen sich zwei tiefe Kerben.
Er hatte alles bekommen, was er sich vom Leben gewünscht hatte, der Mann aus Kenntucky, der vor fast drei Jahrzehnten mit seiner Frau Hazel hierher nach Colorado gekommen war, um ein neues Leben aufzubauen. Der Herrgott hatte ihm seine Wünsche ausnahmslos erfüllt.
Sogar einen Jungen hatte er ihm geschenkt.
Aber mit diesem Geschenk schien der Herr dort oben über den gelbroten Wolken am blauen Coloradohimmel seinen Zins für all das andere gefordert zu haben, das er dem Kentucky Man gegeben hatte.
Der heute fünfundzwanzigjährige Jerry hatte dafür gesorgt, daß dem Rancher der Wermutstropfen im Lebensbecher nicht erspart blieb.
Jerry war mittelgroß, von kräftiger Statur, hatte flachsblondes Haar und ein Gesicht, das den Vater nicht
verleugnen konnte. Gutgeschnitten, kantig und herrisch. Ein echter Walker.
Vielleicht habe ich mir allen Kummer, den ich durch ihn erleiden muß, selbst zuzuschreiben, sagte sich der Alte, als er jetzt nach Westen blickte, wo in der Ferne eine Staubwolke aufstieg.
John Walker hatte plötzlich eine große Schweißperle auf der Stirn stehen. Er wußte, daß die da kamen, um ihn zu holen.
Jerry hatte einen Mann erschossen!
Nachdem er fünfundzwanzig Jahre lang hatte tun und lassen dürfen, was er wollte, nachdem der Vater und auch die Mutter ihm in seiner Jugend jeden Wunsch von den Augen abgelesen hatte, nachdem er schon mit sechs ein Pferd, mit neun eine Winchester und mit dreizehn einen Lohn wie ein richtiger Cowboy bekommen hatte, hatte es ja eigentlich gar nicht anders kommen können.
Mit sechzehn hatte er hinter der Scheune den rothaarigen Cowboy Coele Neverman angeschossen, im Streit, Neverman war gegangen, wortlos und ohne Groll, weil er den Boß schätzte und nicht daran dachte, ihm Ärger zu machen.
Mit siebzehn hatte der junge Walker drüben in Hickory einem Büffeljäger in Websters Bar die linke Hand zerschossen, obgleich der Mann selbst keinen Revolver hatte und angetrunken war. Auch damals hatte der Alte noch alles abbiegen und mit einer Geldsumme aus der Welt schaffen können.
Aber diesmal war nichts mehr zu machen; einen Toten konnte der Rancher nicht mehr lebendig machen.
Es war der 9. Mai des Jahres 1881 gewesen.
In Hickory, an den Westhängen der Grand Hogburk Hills, war nach dem langen Winter ein strahlender Frühling eingezogen.
Mike Jenkins, der den Gold Dollar Saloon schon seit Jahren schließen wollte, weil er angeblich nichts einbrachte, hatte an diesem Tag nichts zu jammern.
Der junge Jerry Walker hatte dafür gesorgt, als er nach einem Kartenspiel den Sohn des schwedischen Emigranten Ole Anderson auf dem Vorbau der Schenke nach kurzem Wortwechsel mit seinem fünfundvierziger Revolver niederschoß.
Die große Kugel war dem sechs Fuß langen Schweden in den Hals gedrungen und hatte ihm keine volle Minute mehr vergönnt. Er war tot, noch ehe der bleichgesichtige, dünne Doc Bregart bei ihm ankam.
Es waren drei Männer auf der Straße, die die Szene beobachtet hatten: Jeff Hendriks, der zweiunddreißigjährige Helfer des Blacksmith Simbals. Der neunzehnjährige Eddie Babitt, der in Hillmers Mietstall arbeitete. Und der siebenunvierzigjährige Cliff Benton, der draußen vor der Stadt eine Schafsfarm hatte und deshalb nirgends sonderlich gut angesehen war.
Nat Danwood, der drüben aus Websters Bar gekommen war, sah nur, wie Anderson fiel. Er rannte sofort los, um den Sheriff zu holen.
Ohne Hast war Jerry Walker vom Vorbau hinuntergestiegen und hatte sich in den Sattel seines Weißfuchses gezogen. Dann war er nach Osten aus der Stadt geritten.
Vierunddreißig Meilen trennten die Stadt von der Walker Ranch. Eine Strecke, die stark anstieg und nur von einem guten Pferd in vier Stunden bezwungen werden konnte.
Jerry Walker hatte das beste Pferd, das es im ganzen County gab.
Es war nur wenige Minuten nach drei, als er in den Ranchhof ritt.
Die Cowboys, die nicht auf der Weide und den beiden Vorcamps waren, arbeiteten in den großen Corrals, in der Scheune und in den Ställen.
Niemand hatte den jungen Walker kommen sehen.
Nur der Rancher selbst. Er sah, wie Jerry hinter dem Wohnhaus herumritt und, einer Gewohnheit aus der Kinderzeit folgend, gleich vom Sattel durchs Fenster in sein Zimmer jumpte.
Der Vater hatte das schweißnasse Pferd gesehen und ging sofort in das Zimmer seines Sohnes, das wie sein eigenes zu ebener Erde lag.
»Was ist passiert, Jerry?« fragte er heiser.
Er sah, wie der Bursche in aller Ruhe seine Sachen zusammenpackte und sein Geld zählte.
»Ich habe Ole Anderson erschossen.«
Yeah, das hatte er gesagt. So, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt.
Der Rancher hatte den Atem angehalten und glaubte, sein Herz müsse stehenbleiben.
»Was – was hast du?« brach es endlich heiser von seinen Lippen.
»Ich habe es dir doch gesagt: Ich habe Ole Anderson erschossen.«
Der Alte kam zwei Schritte näher und senkte seinen mächtigen Löwenschädel.
»Du hast Ole Anderson – du hast ihn erschossen?«
»Yeah!« gab der Bursche rauh zurück, während er unbekümmert weiter seine Sachen zusammenpackte.
»Du hast ihn im Gunfight – getötet, Jerry?«
»Im Gunfight! Wie man es nimmt. Er hat mich beleidigt, da sind wir vor die Tür gegangen, und ich habe diesen käsegesichtigen Dreckskerl aus den schmutzigen Stiefeln geknallt.«
»Geknallt…?« stammelte der alte Mann. »Und er, hatte er auch eine Waffe in der Hand?«
»Ich weiß es nicht!«
»Willst du damit sagen, daß du nicht weißt, ober er überhaupt eine Waffe bei sich hatte?«
»Yeah!« Jerry warf den Kopf hoch und in seinen gelblichen, etwas zu weit auseinanderstehenden Augen blitzte es wild auf. »Yeah, das will ich damit sagen. Was kümmert es mich, ob dieser Dreckskerl eine Waffe bei sich hatte oder nicht? Er hat mich beleidigt!«
John Walker richtete sich auf und sog die Luft tief in seinen mächtigen Brustkorb ein.
»Wo