Der Tag verging, und als der Abend kam, schlenderte der Bursche über die Gehsteige. Er kam am Marshals Office vorbei, und als er es leerstehen sah, wollte er weitergehen.
Er wollte. Aber er blieb doch stehen und fragte einen Jungen, der auf der Vorbaukante saß und mit seinen nackten Füßen im Sand wühlte: »Hast du den Marshal gesehen?«
Der Bengel schüttelte den Kopf.
Elliot trat einen Schritt ins Office.
Da hörte er von der anderen Straßenseite die schnarrende Stimme Jonny Behans, des anderen Mannes, der einen Stern in dieser Stadt trug.
»He, Mann, was suchen Sie da?«
Elliot fuhr herum. Dann brach er in eine schallende Lache aus.
»He, Mister Sheriff! Wenn Sie hier herumkrauchen, dann ist das ja ein Zeichen dafür, daß nichts los ist in Tombstone.«
Behan trat dicht an den Vorbaurand und warf den Kopf hoch wie ein Sperling, der sich aufpusten wollte. »Was soll das heißen, Mann?«
»Daß Sie der prächtigste Sheriff sind, den ich je gesehen habe, Mister Behan!«
Der Mann mit dem Stern wurde um einen Schein bleicher. Dann wandte er sich ab, denn mehrere Leute auf der Straße waren schon aufmerksam geworden.
Und wenn Jonny Behan etwas haßte, dann die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen. Er lebte lieber in zurückgezogener Stille und völlig allein.
Immer noch stand John Elliot auf dem Vorbau des Marshals Office. Er spürte, daß ihm irgend etwas fehlte. Die dunkle Nähe des Missouriers, die irgendeine Kraft auszuströmen schien.
Plötzlich glaubte er im Office ein Geräusch gehört zu haben.
Richtig, die Tür zum Hof war geöffnet worden. Elliot rannte wie ein Junge auf das Office zu und blieb in der Tür stehen, um dem Marshal seine Freude darüber nicht zeigen zu müssen, daß er endlich kam.
Eine hochgewachsene Gestalt erschien hinten im Türrahmen. Und als sich der Mann dann umdrehte, blickte der Cowboy in das Gesicht Virgil Earps.
»He, was gibt’s denn? – Ach, Sie
sind’s! Damned, ich dachte, Sie wären längst weg.«
»Nein«, erwiderte der Bursche enttäuscht.
»Na, und wie haben Sie sich herausgemacht«, versetzte der Gesetzesmann mit nicht zu überhörendem Spott. »Ein richtiger Gentleman ist er geworden, der kleine Cowboy aus Nevada.«
Mit gesenktem Kopf stand Elliot da, und wieder lag der harte, verschlossene Zug auf seinem Gesicht.
Virgil steckte sich eine Virginia an und bot auch dem Burschen eine an.
»Rauchen Sie, Boy, das wirkt. Da sieht man älter aus. Das heißt, gesund ist es natürlich nicht. Die Luft auf der Weide ist besser…«
Elliot biß sich auf die Unterlippe. Er hätte Virg gern gefragt, wo Wyatt war, aber er vermochte es doch nicht.
Was hätte es auch an allem geändert? Nichts. Wyatt Earp war doch auch dagegen, daß er sich hier aufhielt. Aber die Tatsache, daß man ihn kannte, daß man mit ihm sprechen konnte, hatte etwas so Beruhigendes an sich gehabt…
Jetzt erst, in diesem Augenblick, als er sich von der Tür des Offices abstieß, kam ihm dunkel zum Bewußtsein, daß dieser Wyatt Earp eigentlich der einzige Mensch in der Stadt war, den er kannte, der mit ihm sprach, ohne Geld von ihm zu wollen, der ihn als Menschen achtete.
Nellie Cashman? Sie war viel zu beschäftigt, als daß sie sich richtig um ihn hätte kümmern können.
Und Meyer? Der sah ihn überhaupt nicht mehr an, wenn er ihm auf der Straße begegnete.
Und die anderen alle wollten doch nur alle sein Geld. Wollten ihn beim Spiel über die Ohren hauen. Wenn man es genau überlegte, waren sie sogar alle seine Feinde.
Wo mochte der Marshal sein?
Gedankenverloren blickte der Bursche die Straße nach Westen hinunter. Wäre es nicht das beste gewesen, wenn er den Rat des Marshals befolgt hätte und weggeritten wäre?
Da sah er mehrere Reiter die Straße heraufkommen. Einen von ihnen erkannte er sofort: Joric Albertson.
Rechts neben ihm ritt ein fahlgesichtiger, mittelgroßer Mann mit seltsam farblosen Augen und hellem Haar. Er trug den schwarzen Habit des Gamb-lers und hatte den Waffengurt über den Rock geschnallt. Tief über beiden Oberschenkeln hingen die Revolver.
Links neben Albertson hing ein Riesenkerl im Sattel. Er hatte das Gesicht eines Schlägers, kleine, schräge, tiefsitzende Augen und vorstehende Jochbeinknochen. Auch er war in den Habit eines Gamblers gepreßt worden.
Hinter den dreien ritten noch zwei jüngere Männer, die einander wie ein Ei dem anderen glichen.
John Elliot blickte den Reitern mit finsterem Blick entgegen. Bildete er es sich nur ein, oder hielten sie tatsächlich auf ihn zu?
Vorsichtig schob er mit der Rechten den Rockschoß hinter dem Revolver zurück.
Da waren plötzlich Schritte hinter ihm; harte, sporenklirrende Schritte.
Albertson und seine Männer änderten sofort die Richtung auf die Straßenmitte zu.
Elliot wandte sich um und blickte in die Augen Wyatt Earps. »Marshal…!«
Der Missourier sah ihn ruhig an.
»Hallo, Cowboy. Wollten Sie Ihre Kollegen nicht begrüßen?«
»Kollegen?« knurrte der Bursche verärgert. »Sie wollen doch nicht behaupten, daß diese Strolche meine Kollegen sind?«
»Ich? Nein, aber Sie sagen mir doch immer wieder, daß Sie ein Gambler wären, der im Crystal Palace spielen will. Und das da sind Leute, die im Crystal Palace spielen.«
Elliot sah den Reitern düsteren Blickes nach.
»Verbrechergesichter«, knurrte er. »Einer wie der andere. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie im Crystal Palace gern gesehene Gäste sind.«
»Ganz sicher nicht, Cowboy«, versetzte der Marshal. »Aber solange sie sich nicht gegen das Gesetz stellen, kann man auch nichts gegen sie tun. Es sind gerissene Spieler, denen so leicht niemand etwas vormacht.«
»Auch der bullige Kerl da links?«
»Oh, das ist Abe Gray. Yeah, auch er ist ein Gambler, aber was ihm an geistigen Qualitäten fehlt, ersetzt er durch Muskelkraft und durch eine Reihe guter Freunde. Mirco Plicat zum Beispiel ist einer seiner Freunde…«
»Plicat?« unterbrach ihn der Cowboy. »Den Namen habe ich doch schon gehört.«
»Yeah, er ist nicht nur ein berüchtigter Spieler, sondern auch ein gefährlicher Revolvermann.«
»Ist es etwa der Bursche, der rechts von Albertson reitet?« fragte Elliot ahnungsvoll.
Wyatt nickte. »Yeah, Cowboy, es sind alles Kollegen, liebe Kollegen.«
Der Marshal tippte an den Hutrand und ging weiter.
Es war die letzte Warnung, die der Nevada Cowboy erhalten sollte.
Wyatt Earp war in der Tür des Offices stehengeblieben und warf einen Blick auf den Rücken des Burschen. Als er sah, daß Elliot sich in Bewegung setzte, hätte er ihm nachschreien mögen: Bleib hier, Cowboy! Bleib weg aus der Spielhölle da drüben. Hol deinen Gaul und reite zurück…
Eine alte Frau kam keuchend über den Vorbau heran. »Marshal! Meine Ziege ist wieder gestohlen worden.«
Der Missourier wischte sich mit seiner großen braunen Hand durchs Gesicht.
»Na, das ist ja scheußlich, Mrs. Plitterswyck. Ist sie nicht schon zweimal weggekommen?«
»Ja«, rief die Frau immer noch außer Atem.