„Gabi ist sehr nett“, sagte Biggi. „Sie wird von dir begeistert sein.“
Sie erreichten eine weiß lackierte Tür, an der ein Messingschild befestigt war: BEGLEITAGENTUR „FLAMINGO“ stand auf dem Schild.
Biggi klopfte und trat gleich ein. Katja folgte ihr bangen Herzens. Viel lieber wäre ich jetzt ganz weit weg, dachte die Internistin. In Asien, in Afrika oder auf dem Mond …
Das Agenturbüro war nicht groß. Katja sah einen Karteischrank, hübsche Bilder an den Wänden, drei Chrom-Leder-Sessel vor einem großen Schreibtisch, hinter dem eine junge Frau in Katjas und Biggis Alter saß und einen Computer bediente. Das Telefon war zugleich auch Faxgerät und Anrufbeantworter.
Die Agenturchefin warf einen letzten Blick auf den Bildschirm, klickte das Symbol für „Speichern“ an und erhob sich sodann, um Biggi Ruprecht und Katja Arndt zu begrüßen.
„Hallo“, sagte sie zu Katja, als sie ihr die Hand gab. Ihr schulterlanges Haar war kastanienbraun und frisch gewaschen. Es glänzte wie Seide. Auch sie war sehr hübsch und hatte selbst für eine Begleitagentur gearbeitet, bevor sie „Flamingo“ gegründet hatte. Heute stand sie nur noch ganz wenigen speziellen Kunden persönlich zur Verfügung. Alle anderen durften aus dem attraktiven und breit gefächerten Agenturangebot wählen. „Ich bin Gabi Hauff“, sagte sie. „Biggi hat mir von deinen Schwierigkeiten erzählt.“ Sie forderte Katja und Biggi auf, sich zu setzen, nahm ebenfalls Platz, schaute Biggi an und fragte: „Kenne ich das Kleid, das deine Freundin trägt?“
Biggi Ruprecht nickte. „Es gehört mir. Ich habe es ihr geliehen.“
Gabi Hauff wandte sich an Katja. „Schlimme Geschichte, in die du da hineingeraten bist. Darf ich ehrlich sein? Ich finde es beachtenswert, dass du trotz allem zu deinem Mann hältst. Viele Frauen würden ihn verlassen, um nicht mit ihm unterzugehen. Du aber versuchst, ihm mit allen dir zu Gebote stehenden Mitteln zu helfen. Das beweist mir, dass du einen großartigen Charakter hast und sich so manche Frau, die vorgibt, ihren Mann ganz schrecklich zu lieben, bei der ersten auftretenden Schwierigkeit aber sofort die Scheidung einreicht, an dir ein Beispiel nehmen könnte.“
Gabi kam auf die Geschäftsbedingungen der Begleitagentur zu sprechen. Sie erzählte Katja Arndt nicht viel Neues. Das meiste wusste die Ärztin bereits von ihrer Freundin.
Der Vertrag, den Gabi Hauff der Neuen vorlegte, hatte keine Fußangeln im Kleingedruckten. Katja konnte ihn bedenkenlos unterschreiben.
Es war ein eigenartiges Gefühl für Katja Arndt, nunmehr zum „Flamingo“-Angebot zu gehören. Gabi Hauff schickte sie zu einem Fotografen, der von ihr Bilder für den Katalog machen sollte. Unabhängig davon hätte sie gleich für diesen Abend einen Job für Katja gehabt, doch so rasch wollte diese es nicht angehen.
„Ich muss mich erst seelisch darauf vorbereiten“, sagte die Ärztin, und Gabi Hauff zeigte Verständnis dafür.
20
„Ich wusste es.“ Trix Lassow lachte am anderen Ende der Leitung. „Ich wusste, was deine Familie zu dieser Verrücktheit sagen würde.“
„Ich fühle mich von den Meinen verkauft und verraten“, schmollte Jana Härtling.
„Du musst das anders sehen“, sagte Trix. „Sie sind stolz auf uns. Meine Kinder haben zum Beispiel gesagt, keiner ihrer Schulfreunde hätte eine Mutter, die geeignet wäre, Wolf-Dietrich Bockmayers Kreationen vorzuführen. Wenn man es aus dieser Sicht betrachtet, ist es eine Ehre und eine Auszeichnung, dass der berühmte Mode-Zar uns ein solches Angebot macht. Wir sollten uns darüber freuen und uns geschmeichelt fühlen.“
„Irgendwie schmeichelt es mir ja auch, wenn ich ehrlich sein soll“, gab Jana Härtling zu, „aber wenn ich mir vorstelle, wie ich über den Laufsteg schreite, angestarrt von Hunderten von Augen, ständig die Angst im Nacken, ich könnte irgendetwas falsch machen, kriege ich ganz weiche Knie.“
„Wir werden das so lange üben, bis wir so perfekt sind wie Claudia und ihre schönen Kolleginnen. Ich bin froh, dass du mitmachst, Jana.“
„Ich habe noch nicht gesagt, dass ich mitmache“, wandte Jana ein. Sie horte, wie Trix Lassow erschrak.
„Du lässt mich diesen Spießrutenlauf nicht allein machen“, sagte die Frau des Rechtsanwalts mit belegter Stimme. „Du lässt deine einzige Schwägerin nicht im Stich. Nein, das tust du nicht. So bist du nicht.“
„Wieso sagen wir dem Modeschöpfer nicht beide nett, aber bestimmt ab?“
„Das wäre natürlich möglich“, gab Trixi zu. „Niemand kann uns zwingen, vor so vielen fremden Menschen über den Laufsteg zu trippeln. Anderseits … Möchtest du nicht auch gern mal dieses Prickeln und Kribbeln spüren, das einen nur im gleißenden Scheinwerferlicht befällt?“
„Man schwitzt, regt sich wahnsinnig auf, hat vor lauter Nervosität Magenkrämpfe. Warum soll ich mir das antun?“
„Weil ich dich darum bitte.“
„Hast du ein etwas stärkeres Argument?“
„Im Augenblick nicht“, gab Trix Lassow zur Antwort.
21
Dr. Sören Härtling hatte auf der internen Station ausgeholfen. Er hatte mit Dr. Katja Arndt hervorragend zusammengearbeitet und erstaunt festgestellt, dass sie ein wenig nervös gewesen war. Seinetwegen? Das konnte er sich nicht gut vorstellen, denn er behandelte sie freundlich und mit Respekt, und sie war fachlich so perfekt, dass sie viel lockerer hätte sein können.
Ihm fiel auf, dass ihre Nervosität mit jeder Minute, die der Dienstschluss näherrückte, wuchs. Er konnte nicht wissen, dass die neue Ärztin heute ihre erste „Flamingo“-Verabredung hatte. Die Bilder, die der Fotograf von ihr gemacht hatte, waren sehr gut geworden und befanden sich nun im „Flamingo“-Katalog. Katja hatte Gabi Hauff gesagt, sie würde ihr Bescheid geben, wann sie seelisch soweit war und heute würde sie zum ersten Mal für Geld mit einem fremden Mann ausgehen.
„Bedrückt Sie irgendetwas, Frau Kollegin?“, erkundigte sich Dr. Härtling.
Katja zuckte zusammen. Sie fühlte sich ertappt. Ihre Lider flatterten. „Nein“, stieß sie hastig hervor. „Wieso fragen Sie?“
Der Chefarzt der Paracelsus-Klinik hob die Schultern. „Ich habe den Eindruck, dass Sie Probleme haben.“
Dr. Katja Arndt schüttelte den Kopf. „Der Schein trügt“, sagte sie. „Es ist alles in Ordnung.“
Dr. Härtling nahm es nickend zur Kenntnis. „Nun, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Abend.“
„Wünsche ich Ihnen auch“, gab die Internistin zurück.
„Sollten Sie mal ein Problem haben – meine Tür ist immer für Sie offen“, sagte Sören Härtling.
„Danke, Chef“, erwiderte Katja Arndt. „Es ist gut, das zu wissen.“
Sie trennten sich. Dr. Härtling kehrte in sein Büro zurück, und während er mit Moni Wolfram noch ein paar Worte wechselte und dabei aus dem Fenster schaute, sah er Katja in ihren Wagen steigen und wegfahren.
22
Katja Arndt fuhr nach Hause, duschte und zog sich um. Sie war froh, dass ihr Mann nicht da war, denn er hätte sich mit Sicherheit wieder gegen ihren Zweitjob ausgesprochen. Ihr wäre es ja selbst lieber gewesen, wenn sie darauf hätte verzichten können, aber Jan Achberger und seine Wucherzinsen waren ein triftiger Grund, in den sauren Apfel zu beißen, die Sache mit der nötigen Konsequenz durchzuziehen und das Beste daraus zu machen.
Irgendwann wird auch dieser bittere Kelch zur Neige gehen, sagte sich die junge