Der Kaiser. Geoffrey Parker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Geoffrey Parker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806240108
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déliberé und ähnliche Werke entwarfen: Karls Eifer etwa, mit dem er 1528 und 1538 komplexe politische Streitlagen durch Duelle bereinigen wollte; oder die 1538 einem Gesandten gegenüber gemachte Aussage, »dass der Tod unsicher ist, sowohl sein Ort als auch die Stunde, die Gott allein sich beide vorbehält. Und so wolle er dieses Ihm überlassen, denn er wisse wohl, dass das Wohlergehen seines Sohnes – und ja auch sein eigenes Leben – ganz unter Seiner Vorsehung steht«; oder die 1552 von seinem Beichtvater festgehaltene Erinnerung »an etwas, was ich Euer Majestät einmal sagen hörte: dass ein Mann, der seine Ehre verliert, noch am selben Tag sterben solle, denn er sei nun nichts mehr wert«.34 Karls burgundisches Erbe erklärt so manches: seine tiefe Verehrung für den Orden vom Goldenen Vlies (den Herzog Philipp der Gute gestiftet hatte), seine Ambitionen zur Rückeroberung Konstantinopels (wie es Philipps Erbe, Herzog Johann, versucht hatte), seinen Wunsch, Ruhm und Ansehen zu gewinnen, »bevor es zu spät ist«, und nicht zuletzt seinen in regelmäßigen Abständen zur Schau gestellten Fatalismus. Wie Federico Chabod bemerkt hat: »Die stärksten Antriebskräfte in Karls Seelenleben, sowohl in Verstandes- als auch in Gefühlsdingen, erwuchsen aus der Tiefe der burgundischen Kultur.«35

      Jagen, schießen, Angeln geh’n

      Die bescheidenen schulischen Leistungen des späteren Kaisers gingen zumindest teilweise darauf zurück, dass Karl ein »Schulabbrecher« war, wie man heute vielleicht sagen würde: Sein formaler Bildungsweg endete, als er fünzehn Jahre alt war und Adrian als sein Sondergesandter nach Spanien ging. Schon viel früher jedoch war seine Vorliebe für alle Arten von Aktivitäten in der freien Natur offenbar geworden. Juan de Zúñiga, ein altgedienter Gefolgsmann, dem der Kaiser die Erziehung seines Sohnes Philipp – späterhin Philipp II. von Spanien – anvertraut hatte, beschwerte sich einmal bei Karl, sein achtjähriger Zögling lerne »sehr rasch, sobald er das Schulzimmer verlassen hat«, nur um dann schelmisch hinzuzufügen: »und damit ähnelt er wohl seinem Vater, als der in demselben Alter war …«36 Ein deutscher Chronist untermauerte seine Behauptung, Karl habe stets »die Waffen mehr geliebt als die Bücher«, indem er aus einem Gespräch zitierte, das der Kaiser 1547 mit dem gefeierten Maler Lucas Cranach geführt hatte:

      »Ich habe aber, sagte der Kaiser, zu Mecheln in meinem Zimmer eine kleine Tafel, worauf mein Bildnis als Knabe von dir gemalt ist; sage mir doch, wie ich in jenem Alter beschaffen war, während du mich maltest. Euer Majestät, sagte [Cranach], war damals acht Jahre; es war, als der Kaiser Maximilian, Euch bei der Hand haltend, Euer Majestät von den [niederländischen] Staaten huldigen ließ. Als ich Euch malen wollte, hattet Ihr einen Lehrer, welcher, da Ihr als Knabe etwas unruhiger Natur wart, Eueren Sinn zu kennen behauptete und angab, dass Ihr vorzüglich durch den Anblick von Eisen und Stahl erfreut würdet; er nahm deshalb ein eisernes Wurfgeschoss und brachte es bald so an der Wand an, dass die Spitze Eueren Augen zugewendet war. Darauf richtete Euer Majestät nachher die Augen so lange, bis ich das Gemälde beendigt hatte.«37

      In Karls engstem Umfeld war man der Meinung durchaus zugeneigt, dass allzu viel Schul- und Bücherweisheit nur schädlich sei. Der protestantische Historiker Gregorio Leti berichtet 200 Jahre später, der junge Prinz habe bei einer Gelegenheit, als Adrian ihn drängte, doch mehr Zeit für das Lateinstudium aufzuwenden, seinen Lehrer angefaucht: »Glaubt Ihr denn, mein Großvater will einen Schulmeister aus mir machen?« Zwar gibt Leti für diese Anekdote (wie üblich) keine Quelle an, aber im Weißkunig hatte Maximilian genau dasselbe Argument vorgebracht. Schon sein eigener Lehrer sei vielmehr »zu dem Schluss gekommen, dass es weder gut noch nützlich sein würde, ihn mit solchen Lehren länger zu belasten. Wenn man jemandem mehr beibringen will, als nötig ist«, meinte der Kaiser, »erschwert man andere Aufgaben.«38 Und der Historiker Gonzalo Illescas schrieb bald nach Karls Tod: » Kaiser Maximilian pflegte zu sagen, dass es zwar sehr von Übel sei, wenn ein Fürst nicht lesen und schreiben könne; dass es aber sehr viel schlimmer wäre, wenn ihm die Fähigkeit abginge, sein Reich im Frieden zu halten und mit Milde zu regieren, ohne eine Spur von Hochmut oder Grausamkeit.« Tatsächlich legte Illescas nahe, der Kaiser habe Adrian gerade deshalb als Lehrer seines Enkels auserwählt, weil »er nicht gar so viel Zeit mit dem Studium der Literatur, sondern vielmehr mit der Lehre löblicher und achtbarer Bräuche zubringen würde«.39

      Im Theuerdank und im Weißkunig, aber auch in seiner Korrespondenz, kam Maximilian immer wieder darauf zu sprechen, wie großen Wert er regelmäßiger körperlicher Aktivität beimaß – und damit meinte er vor allem das Jagen. Im Februar 1510 brüstete sich der Kaiser seiner Tochter Margarete gegenüber in einer seiner typischen, extravaganten Formulierungen: »Wir sind hocherfreut, dass unser Enkelsohn Karl so großes Gefallen an der Jagd findet – ansonsten hätte man auch glauben mögen, er sei ein Bastard.« Maximilian schlug vor, dass Margarete »nach Ostern, wenn das Wetter mild ist«, mit Karl die herzoglichen Parkanlagen aufsuchen solle, um ihn »dort reiten zu lassen um seiner Gesundheit und Stärkung willen«. Dieser Botschaft verlieh der Kaiser Nachdruck, wann immer er Mecheln besuchte, indem er seinen Enkel sowohl das Schießen mit Gewehr und Armbrust als auch das Fallenstellen lehrte.40

      Charles de la Poupée, Herr von La Chaux, auch er ein Verfechter der alten burgundischen Ritterideale, erteilte dem jungen Karl einen anspruchsvollen Unterricht im Reiten und Schießen. Der Erfolg dieser Lektionen wurde spätestens offenkundig, als Karl nach Spanien reiste und jedermann dort »sein unglaubliches Geschick mit Waffen und seine elegante Haltung im Sattel« bewunderte. Beim Schießen traf Karl häufiger als alle anderen, wurde »Schützenkönig« von Mecheln und »Armbrustkönig« von Brüssel. Im Jahr 1512 bestellte Margarete die englischen Gesandten an ihrem Hof ein, damit sie zusahen, »wie der Prinz auf Fässer schoss« – und zwar mit dem Langbogen, der englischen Nationalwaffe. Karl habe »seinen Bogen recht wohl zu handhaben gewusst«, gestanden die Engländer hinterher ein. Unglücklicherweise sollte Karl zwei Jahre später, als er »am Pfingstmontag im Schloss von Tervuren mit seiner Armbrust üben wollte, einen Bolzen ab[schießen], der einen dortigen Handwerker tödlich verletzte«. Zur Verteidigung ihres Neffen brachte Margarete vor, das Opfer sei »betrunken und in schlechter Verfassung« gewesen und im Übrigen gebe es »keinen Weg, derlei Missgeschicke ganz zu vermeiden«. Aber offenbar hatte es mit diesem Todesfall doch noch mehr auf sich. Da »viele Leute einem etwas erzählen, das nicht wahr ist«, sandte sie Chièvres, »der dabeigewesen ist und Euch einen vollständigen Bericht geben soll, damit Ihr die Wahrheit erfahrt«. Immerhin hatte Karl gerade zum ersten Mal einen Menschen getötet.41

      Zu jener Zeit spielte Karl bereits eine prominente Rolle im alljährlichen Zyklus des höfischen Lebens. Zu jedem Neujahrstag entnahm er seiner Schatulle 100 Gulden, um sie »nach seinem edlen Gefallen zu verteilen und zu verschenken«; bei den Fastnachts- und Osterfeierlichkeiten führte er den Vorsitz und begnadigte an jedem Karfreitag einige Verbrecher; sobald am Johannistag die Sonne unterging, war er es, der ein riesiges Feuer entzündete; an dem traditionellen Turnier zu Allerseelen nahm er als Zuschauer teil; und am 30. November, dem Andreastag, lud er die Ritter vom Goldenen Vlies zu einem Festmahl ein.42 Aus den Rechnungsbüchern seines Haushalts für 1512 lassen sich noch zahlreiche andere Aktivitäten rekonstruieren. Eine Schauspieltruppe, »die in der Fastenzeit mehrere Stücke (jeux de farches) vor meinem Herrn aufgeführt hat«, bekam 13 Gulden ausbezahlt; »einige Jägersleute und andere, die verschiedentlich einmal Tarnblenden aus Tuch auf- und abgebaut haben, wenn mein Herr bei Brüssel auf die Jagd gegangen ist«, erhielten 18 Gulden allein für den Wein, der ihnen die Arbeit erleichtern sollte; und »ein Dominikanermönch, der die ganze Fastenzeit hindurch vor meinem Herrn und seinen Schwestern zu Mecheln gepredigt hat«, durfte sich über 28 Gulden »an Almosen und Spenden« freuen.43 Auch spielten Karl und seine Schwestern gern Karten um Geld – vor allem, wenn Maximilian zur Stelle war, um ihnen für den Spieleinsatz noch etwas zuzustecken –, und sie ließen sich von Narren und Possenreißern fürstlich unterhalten. Im Jahr 1509 orderte Karls Schatzmeister »gelbes, rotes und weißes Tuch, um ein schönes Kostüm für den kleinen Narren machen zu lassen, damit er im Beisein meines Herrn anständiger aussieht«, und Heinrich VIII. von England hielt es für angebracht, eine stolze Summe an »Master John, den Narren des Prinzen von Kastilien«, auszahlen zu lassen.44

      Wenngleich er beim Lesen und Schreiben keinen großen Enthusiasmus an den Tag legte, gab es doch mehrere andere