Mit der Zeit schien Karl freilich auch einige der schlechten Angewohnheiten seines Großvaters zu übernehmen – wie etwa dessen Schwäche für Vorhaben, die seine finanziellen Mittel weit überstiegen. Im Weißkunig wird der junge Maximilian wie folgt zitiert:
»Ich wirdt nit werden, ain kunig des gelts, sonder Ich wil werden, ein kunig des volcks … vnd ain jeder kunig bestreit vnd bekriegt, mit dem volkh, vnd nit mit gelt, seine veindt … die streitpare Regirung, vnd kunfftige gedachtnus, ist mer dann das gelt.
Auch das waren Worte, die ebenso gut von Karl hätten stammen können. Beide Herrscher waren zwar sehr um ihr Ansehen bemüht, ließen jedoch alle moralischen Skrupel fahren, sobald es ums Geld ging, und Karl hinterließ wie Maximilian vor ihm am Ende seiner Regierungszeit ein finanzielles Chaos.17 Nicht zuletzt imitierte Karl seinen Großvater auch darin, dass er – wie Peter Burke es formuliert hat – eine beinahe obsessive Sorge »um sein Image und die Art und Weise, wie die Nachwelt seiner gedenken würde«, an den Tag legte: Beide Herrscher diktierten ihre Memoiren, gaben über eintausend Büsten, Porträtgemälde, Medaillen und andere Darstellungen ihrer selbst in Auftrag, verglichen sich mit den Kaisern der Antike und des Mittelalters, wollten unter dem Altar einer Kirche beigesetzt werden, stellten explizite sprachliche oder visuelle Bezüge zu biblischen Gestalten her, Christus nicht ausgeschlossen (oder ließen andere solche Vergleiche herstellen), und sahen sich selbst »nicht nur als Führer der Christenheit, sondern vielmehr als geheiligte, ja sogar heiligmäßige Individuen, die besonders dazu geeignet waren, womöglich gar [religiöse] Gelübde abzulegen«.18
Eine fürstliche Erziehung
Beinahe die Hälfte des Weißkunig widmete Maximilian dem Thema der Prinzenerziehung. Da wird etwa hervorgehoben, dass ein weiser Herrscher bereit sein solle, von jedermann zu lernen, vom einfachen Pferdeknecht bis zum adligen Feldherrn. Oder es wird erklärt, warum erfolgreiche Monarchen alle ausgehenden Briefe stets selbst durchlasen – »[e]s was die sach klain oder groß, Er uberlaß zuvor denselben brief« –, bevor sie ihre Signatur daruntersetzten, und wie sie mehreren Schreibern gleichzeitig diktierten, um die Verwaltungsarbeit effizient zu gestalten. Auf einem Punkt bestand der Verfasser des Weißkunig jedoch besonders: Ein junger Prinz musste Fremdsprachen lernen, und zwar nicht zu wenige. Jeweils ein ganzes Kapitel wird darauf verwendet, wie Maximilian zunächst »die Burgundische sprach« meisterte, »seiner gemahl sprach«, die er denn auch von seiner Frau gelernt habe; sodann »flemisch«, das ihn »ain alte furstin« gelehrt habe. Es folgten Englisch, Spanisch, Italienisch und Latein, die Maximilian neben seiner deutschen Muttersprache allesamt beherrschte. Das bedeutete, dass der Kaiser, in dessen Heer all diese sieben Sprachen gesprochen wurden, sich mit den Befehlshabern jeweils in deren eigener Sprache beraten und ihnen Order erteilen konnte. Denn
»gemainigclichn, in allen seinen kriegen, hat Er kriegsfolckh, von denselben Siben sprachen, bey Ime gehabt, vnnd wann dann die hauptleut der volckher derselben Siben sprachen, zu Ime kumen sein, von Ime beschaidt vnd bevelch zunehmen, so hat Er mit ainem Jeglichen hauptman, desselben hauptmans sprach besonder geredt, vnd Ime in derselben sprach bevelch und beschaidt geben, Wie ain Jegclicher hauptman sich mit dem kriegsfolckh hallten solle …«19
Andere Kapitel legen dar, wie man es in jeder Art von Turnier zur Meisterschaft brachte (eines trägt den Titel »Wie der Jung Weyß kunig in allen Ritterspilen … übertreffenlichen was [vortrefflich war]«), wieder andere befassen sich mit Jagd, Falknerei und Fischfang. Dann hält der Verfasser inne und fügte diese Reflexion ein:
»Ainer der in dem wesen unerfaren ist, vnnd solichs liset, der moecht gedenncken, der Jung weiß kunig het nichts annders gethan, dann paissen [beizen, mit Raubvögeln jagen], und Jagen. Es hat nit die gestalt gehabt, sonnder mit paissen, vnd jagen, ist dieger kunig am maisten, in den grossen kriegen gewesen … wiewol Er auch der maisterlichist valckner was, So was Er doch vil maisterlicher, die großmechtigen kunig, fursten, vnd herrn, zu seinem willen zubringen, diser Jung weiß kunig …«20
Maximilians Erziehungsprogramm, das auch aus seinen Briefen spricht, sollte beträchtliche Erfolge zeitigen. Schon 1506 und dann noch einmal sieben Jahre später verlieh der Kaiser seinem Wunsch Ausdruck, »dass der Erzherzog Karl recht bald Niederländisch lernen« sollte; und tatsächlich war Karl 1515 imstande, seinen Eid als Herzog von Brabant in niederländischer Sprache zu leisten. Das Spanische und das Italienische sollte er schließlich fließend beherrschen; auf Deutsch konnte er sich zumindest einigermaßen unterhalten.21 Karls Kenntnisse des Lateinischen blieben dagegen eher schwach. Anlässlich einer Audienz im Jahr 1518 beschwerte sich der englische Gesandte darüber, dass Adrian von Utrecht, Karls früherer Lehrer, »dem König ins Französische [übersetzen musste, was] ich auf Latein gesagt hatte«, und dass »besagter katholischer König sogleich eigenmündig auf Französisch antwortete«. Drei Jahre später klagte ein anderer englischer Gesandter, dass Karl zwar zuhörte, wenn ihm lateinische Briefe vorgelesen wurden, dann jedoch – weil er »Latein nicht gut« beherrschte – »befahl, man solle sie ihm ins Französische [übersetzen], damit er sie besser« verstehen könne. »La langue bourguignonne« sollte stets Karls Muttersprache bleiben: Noch während seiner letzten Lebensjahre in der Abgeschiedenheit eines spanischen Klosters berichtete ein Mitglied seines Gefolges: »Hier bei Seiner Majestät sprechen wir nur Französisch.«22
Größeren Erfolg hatte Maximilian darin, seinem Enkelsohn den Humanismus näherzubringen. Margarete rühmte ihrem Vater gegenüber die »großen und bedeutenden Dienste«, die Luis Cabeza de Vaca »jeden Tag erweist«, indem er Karl gezeigt habe, »wie er sich zu benehmen hat – und davon hat er, bedenkt man sein Alter, außerordentlichen Nutzen gezogen«. Außerdem habe der Lehrer seinen Zögling »in den Lettern unterwiesen«, womit wohl nicht nur Lesen und Schreiben gemeint sind, sondern auch die Grundlagen einer humanistischen Erziehung; schließlich war Cabeza de Vaca ein renommierter Humanist.23 Zwei weitere Personen aus Karls unmittelbarem Umfeld unterstützten diese Bemühungen: Michel de Pavie, vormaliger Rektor der Pariser Universität (wo er unter anderen den jungen Erasmus unterrichtet hatte) und Karls erster Beichtvater, und Adrian von Utrecht, von dem Karl nach eigenem Bekunden »das bisschen Bildung und gutes Benehmen gelernt [hatte], das mir zuteilgeworden ist«.24
Adrian – der spätere Papst Hadrian VI. – war in erster Linie Theologe. Frühen Ruhm hatte er 1478 als neunzehnjähriger Jahrgangsbester an der Artistenfakultät der Universität Löwen gewonnen; bis 1491 hatte er auch die Aufmerksamkeit Margaretes von York auf sich gezogen, der Herzoginwitwe von Burgund, die ihm nach seiner erfolgreichen Promotion zum Doktor der Theologie ein rauschendes, dreitägiges Fest spendierte. Bevor Adrian dann 1509 dauerhaft nach Mecheln zog, um dort einen Posten als Erzieher des jungen Erzherzogs (und als Hofprediger) anzutreten, hatte er es in Löwen bis zum Dekan der Theologischen Fakultät gebracht, ja er galt sogar als »der ungekrönte König unter den Löwener Theologen seiner Zeit«. Diese Prominenz schlug sich auch in seiner Bezahlung nieder, denn während Cabeza de Vaca 12 Schillinge am Tag bezahlt wurden, erhielt Adrian stolze 24 Schillinge.25
Zweifellos ließ Adrian seinen Schüler von jenem pragmatischen Ansatz der Wissensvermittlung profitieren, der auch den Lehrbetrieb in Löwen dominierte, wo er neben Theologie auch Philosophie