Wie reagierte Karl auf diese dramatischen Entwicklungen? Noch am 20. Mai 1514 (also kaum zwei Wochen, bevor Mary die Verlobung löste) hatte er auf die Behauptung eines Höflings, der Prinz sei »in ein Fräulein bei Hofe verliebt«, geantwortet, dies sei »bei seiner Seele nicht so, und er wollte auch nicht in diese oder irgendeine andere verliebt sein, allein Mylady Mary [Tudor] ausgenommen«.55 Vielleicht hatte der steinige Weg seiner jüngeren Schwestern zum Traualtar das Seine zu Karls falscher Sicherheit beigetragen. Für Isabella hatte Maximilian erstmals 1510 eine Heirat arrangiert (sie war kaum neun Jahre alt), dabei jedoch festlegen lassen, dass sie »erst, wenn sie das Alter von sechzehn Jahren erreicht« haben würde, zu ihrem künftigen Ehemann, dem Herzog von Geldern, ziehen durfte, »und dann erst soll sie die Ehe vollziehen«. Nachdem diese Verhandlungen geplatzt waren, hatte der Kaiser im April 1514 eine Vereinbarung unterschrieben, der zufolge die inzwischen dreizehnjährige Isabella den König von Dänemark heiraten sollte – jedoch weigerte sich Maximilian, die Enkelin vor Ablauf eines weiteren Jahres zu ihrem Bräutigam ziehen zu lassen.56 Im selben Monat verließ Karls zehnjährige Schwester Maria die Niederlande, um an den Hof ihres Großvaters Maximilian zu gehen; dort sollte sie bleiben, bis der Kaiser sie für körperlich reif genug hielt, die Ehe mit dem für sie vorgesehenen Bräutigam, dem böhmisch-ungarischen Thronfolger Ludwig, zu vollziehen.
Maximilian war nicht der Einzige, der in einer allzu früh ausgelebten Sexualität eine Gefahr für Leib und Leben seiner (Enkel-)Kinder sah: Viele seiner Zeitgenossen glaubten, ein exzessives Sexualleben habe den Erben der Katholischen Könige, den Infanten Johann (Juan), bald nach seiner Heirat in ein frühes Grab gebracht – eine Unwahrheit, deren Karl selbst sich dereinst bedienen sollte, um das Liebesleben seines halbwüchsigen, aber bereits verheirateten Sohnes zu regulieren (siehe Kap. 14). Auf die Nachricht hin, dass Ludwig XII. die achtzehnjährige Mary Tudor geheiratet und in dem verzweifelten Versuch, sie zu schwängern, »bei ihrem ersten Zusammentreffen fünf Mal ejakuliert habe, wie er prahlt«, prophezeite ein anderer Zeitgenosse, der König habe damit wohl »mit seiner Hacke gleich fünf Gräber ausgehoben. Und wenn er im nächsten Frühjahr noch einmal die Blumen riecht, dann wird er wohl fünfzig weitere Herbste erleben« (und drei Monate nach ihrer Heirat war Mary Tudor tatsächlich Witwe).57
Karl selbst scheint das Scheitern seiner englischen Ehepläne gut verkraftet zu haben. Schon einige Monate später erklärte er öffentlich, seine neue Braut werde Renée de France sein, die jüngere Tochter Ludwigs XII., die zwar erst vier Jahre alt war, aber Aussichten auf das Herzogtum Bretagne hatte. Einer von Karls Höflingen berichtet aus dieser Zeit Folgendes:
»Eines Tages alberten seine Vertrauten (mignons) mit ihm herum und sagten zu ihm, er sei ein Hahnrei (coqu), weil er seine Frau verloren habe und nun eine neue brauche. Sie schlugen ihm vor, entweder Madame Renée [zu heiraten] oder die Tochter des Königs von Portugal oder die Tochter des Königs von Ungarn. Ich sagte den jungen Herren, dass er Madame Renée den Vorzug geben würde, und [Karl] antwortete sogleich: ›Er hat recht, denn die Tochter des Königs von Frankreich ist der erste Preis – und wenn sie vor mir stirbt, so bin ich Herzog der Bretagne!‹«
Am 19. Januar 1515 unterzeichnete Karl Instruktionen zur Entsendung einer Sondergesandtschaft, die mit der französischen Krone über die Bedingungen einer möglichen Heirat verhandeln sollte.58
Aus dem Vorgang gehen zwei Dinge hervor: zum einen, dass Karl inzwischen gelernt hatte, seine persönlichen Wünsche dem politischen Vorteil unterzuordnen, indem er seine zukünftige Ehefrau zuallererst als »ersten Preis« betrachtete; und zum anderen, dass seine Minderjährigkeit nun vorüber war – tatsächlich stellte die Unterzeichnung dieser Instruktionen wohl seine erste »Amtshandlung« nach Erreichen der Volljährigkeit dar.
Obwohl die Minderjährigkeit des Erzherzogs Philipp mit dessen fünfzehntem Geburtstag geendet hatte, zeigte sich Margarete besorgt, sie könnte in Karls Fall womöglich früher enden. Im November 1512 flehte sie ihren Vater an, er solle in die Niederlande zurückkehren und ihr im Angesicht der »extremen Gefahren«, von denen sie sich gleichsam umzingelt sah, beistehen – »denn ich weiß nicht, wie ich noch länger mit ihnen fertigwerden soll. Die Generalstaaten geben sich so feindselig, und die einfachen Leute reden so boshaft, dass ich ernstlich besorgt bin, es könnte uns ein schlimmes Unheil geschehen, falls wir keine Lösung finden.« Sie bat Maximilian inständig, er solle sich »erbarmen, denn ich weiß weder ein noch aus«. Viele Leute, fuhr sie fort, »behaupten, ich würde alles verschwenden, nur um Euch zu gefallen«, und sie selbst sei »so voller Bedauern über die gesamte Lage«, dass sie »oft wünsche, ich wäre wieder in meiner Mutter Leib«. Sechs Monate später wiederholte sie ihren Appell an Maximilian noch einmal und berichtete von Plakaten an Kirchenportalen, »die mich verurteilen und verächtlich machen«, während gewisse »böse Geister« behaupteten, »mein einziger Wunsch sei es, Kriege zu führen und sie zu ruinieren«, und »weitere böse Worte [äußerten], durch welche das Volk aufgewiegelt werden könnte«.59
Auch fand sie ihren Neffen weniger gefügig als zuvor. 1512 umfasste sein Hofstaat bereits über 330 Personen (80 Wachen, 75 Adlige und Ritter, 32 Mitglieder seiner Kapelle, 25 »Kammerdiener, Pagen und junge Kammerburschen« und so weiter), die zusammen einen Sold von 180 Gulden am Tag bezogen (verglichen mit nur 37 Gulden am Tag zehn Jahre zuvor). Im September 1513 erzwangen Gerüchte, Karl sei »so herrisch und eigensinnig, dass er sich weder lenken noch leiten lasse«, ein energisches Dementi seines Obersthofmeisters, des Herrn von Beersel. Einen langen Brief an Margarete begann dieser billig genug mit der folgenden Beteuerung: »Wenn mein Herr, Euer Neffe, tatsächlich so gesinnt wäre, wüsste ich wohl davon« – ging dann jedoch gleich zum Gegenangriff über:
»Mein Herr ist zu allen Zeiten und in allen Angelegenheiten vollkommen geneigt, bereit und willens, Euch zu gehorchen und alles zu tun, was ihm als Wunsch und Wille des Kaisers und Eurer selbst, Madame, bekannt wird. Was die anderen Gesichtspunkte seines Handelns betrifft, so glaube ich, dass ich bislang noch nichts gesehen oder gehört habe, worin er nicht sämtliche vernünftigen Ansinnen und Aufforderungen, die an ihn herangetragen werden, gern und willig umgesetzt hätte. Ja ich glaube sogar, Madame, dass man vernünftigerweise – und unter Berücksichtigung aller Umstände – nicht mehr von ihm verlangen könnte.«60
Beersel war eine umstrittene Persönlichkeit. Zehn Jahre zuvor, als er gerade seinen Posten als Karls Obersthofmeister angetreten hatte, beschrieb ihn der spanische Gesandte in Brüssel als »einen Mann mit den schlechtesten Angewohnheiten, die ich jemals gesehen habe«. Vielleicht sollte man seine Worte in dem vorliegenden Fall nicht für bare Münze nehmen, denn einige Monate später machte Karl seiner Tante eine schreckliche Szene, bei der sich die beiden auf unziemlichste Weise in aller Öffentlichkeit anbrüllten.61 Es ging dabei um Don Juan Manuel, einen spanischen Anhänger von Karls Vater, der in die Niederlande geflohen war, weil er die Feindschaft König Ferdinands fürchtete. Im Januar 1514 ließ Margarete ihn auf den ausdrücklichen Befehl Maximilians inhaftieren. Jedoch war Don Juan ein Ritter vom Goldenen Vlies, und nach den Statuten des Ordens durften über einen Ordensritter nur seine Ordensbrüder zu Gericht sitzen. Don Juans Familie reichte deshalb bei Karl die förmliche Forderung nach einem ordnungsgemäßen Verfahren ein – bei Karl, weil dieser mit seiner Volljährigkeit zum Großmeister des Ordens aufsteigen würde. Karl sprach also mit einer Delegation von sieben Ordensrittern bei Margarete vor und verlangte von ihr, dass der Gefangene freigelassen werden solle. Margarete antwortete zornig, dass Kaiser Maximilian – auch er ein Ritter des Ordens – den Arrest angeordnet habe und nur er ihn auch wieder aufheben könne: Ohne kaiserliche Erlaubnis dürfe sie Don Juan nicht freigeben. Sodann griff sie, »nachdem sie ihrem Missvergnügen darüber Ausdruck verliehen hatte, dass diese Versammlung [von Rittern] ohne ihr Einverständnis einberufen worden war«, Karl persönlich an und »sagte ihm, dass er sich nicht so vorschnell Auffassungen zu eigen machen solle, die den Anweisungen des Kaisers ebenso zuwiderliefen wie