Unmittelbar bevor er die Niederlande im Frühjahr 1509 wieder verließ, veranlasste Maximilian zwei bedeutende Neuerungen, die beide (auch) Karl betrafen. Zum einen richtete er für den Prinzen eine eigene Hofhaltung ein, die aus bis zu zwölf Pagen bestand (die später Junker und dann Ritter werden sollten), dazu kamen sechs bis acht andere junge Adlige (»enfants d’honneur«), die Karls Gefährten sein sollten, und eine Heerschar von Bedienten. Zum anderen verlieh er Margarete den Titel einer »Regentin und Statthalterin« der habsburgischen Niederlande und unterstellte ihr einen Staatsrat, der sich aus zwölf Rittern des Ordens vom Goldenen Vlies zusammensetzte (des exklusiven burgundischen Hausordens) und Margarete auf Schritt und Tritt begleiten sollte.58
Dem belgischen Historiker Henri Pirenne zufolge bedeuteten diese Veränderungen, dass Margarete »eine Handlungsfreiheit genoss wie noch keine Statthalterin vor ihr«. Dennoch hatte sie sich weitaus mehr erhofft, und so bedrängte sie ihren Vater, er solle ihr »dieselbe, volle Autorität zugestehen, die [er selbst] auch ausübt, und zwar ohne Ausnahme«; und er solle verfügen, dass »sie ganz allein [seine] Autorität ausübe«. Aber Maximilian bestand darauf, die Kontrolle über die Finanzen sowie über Krieg, Frieden und Patronage auch weiterhin in der eigenen Hand zu behalten. »Da ich der Vormund und Großvater meiner [Enkel-]Kinder bin«, tadelte er Margarete, »scheint mir, dass ich gewisse Befugnisse doch selbst innehaben sollte, sowohl, um Euch zu beaufsichtigen, als auch, um meinen eigenen Ruf zu wahren«. Aus der Korrespondenz mit seiner Tochter ließen sich zahllose Fälle anführen, in denen er Entscheidungen auch gegen Margaretes ausdrücklichen Widerspruch traf.59 Margarete wollte vor allem Chièvres an den Rand drängen, der noch immer für die Staatskasse verantwortlich war. Als der Fürst von Chimay von seinem Posten als Erster Kammerherr des Prinzen zugunsten seines Vetters Chièvres zurücktreten wollte, forderte Margarete von ihrem Vater, dieser solle stattdessen Bergen ernennen. Aber Maximilian ignorierte ihre Bitte: Am 27. April 1509 erhielt Chièvres sein erstes Salär als Erster Kammerherr. Er wurde nun zum ständigen Begleiter des jungen Prinzen. So verzeichnen die Kassenbücher desselben Jahres unter anderem den Kauf einer ausreichenden Menge Stoffes, um daraus gleiche »Decken für das Bett meines Herrn [d. h. Karls] und das Bett meines Herrn von Chièvres, seines Erziehers«, anzufertigen; und als Karl später einmal Anordnungen für den Haushalt seines Bruders Ferdinand traf, verfügte er, ein Vertrauter seines Bruders solle »stets in seiner Kammer schlafen wie M. de Chièvres in der unsrigen, damit er, wenn er einmal [nachts] aufwacht, jemanden hat, mit dem er reden kann, wenn er möchte«.60
Wenngleich Maximilian sich in diesem wichtigen Punkt durchsetzte, hatte auch er sich noch weiter gehende Befugnisse erhofft. 1508 verkündete er vor einer Versammlung von Ordensrittern des Goldenen Vlieses »das Vorhaben, seine Besitzungen zusammenzufügen und sie zu einem einzigen Königreich zu vereinen, das ›Burgund und Österreich‹ heißen solle, zur besseren Verteidigung gegen die gemeinsamen Feinde«. Diese Initiative scheiterte, doch zwei Jahre später gab Maximilian seine Absicht bekannt, Karl nach Österreich mitzunehmen, »um ihn dort unverzüglich zum König von Austrasien zu machen« – ein Titel, der seit den Tagen Karls des Großen praktisch in Vergessenheit geraten war. Zur Vorbereitung setzten Maximilians Berater sogar schon »Instruktionen für den Hofhalt des zukünftigen Königs von Austrasien« auf. Wieder jedoch scheiterte das Vorhaben.61 Chièvres bemühte sich indessen, die Beziehungen zwischen den burgundischen Niederlanden und Frankreich zu verbessern, während Margarete ihrerseits alles daransetzte, um engere Verbindungen mit England und Spanien anzuknüpfen. 1508 teilte sie dem spanischen König Ferdinand (ihrem vormaligen Schwiegervater) mit, dass der kleine Karl »ungeachtet seines jungen Alters aus eigenem Antrieb täglich nach Eurem Wohlergehen fragt und Euch (zusammen mit dem Kaiser) als einen wahren Vater ansieht, der, wie er weiß, ihn vor seinen Feinden beschützen wird«. Fortan sollten diese vier mächtigen Individuen – Margarete, Maximilian, Ferdinand und Chièvres – in einem rücksichtslosen Wettstreit um Herz und Verstand des verwaisten Prinzen stehen.62
2Ein Prinz als Waisenknabe
(1509–1514)
»Maxi«
Im Jahr 1855 bezeichnete der französische Historiker Jules Michelet die Erzherzogin Margarete von Österreich als »den wahren ›starken Mann‹ ihrer Familie«, der »das Haus Habsburg groß gemacht« habe.1 Ähnlich wie die lobende Darstellung Henri Pirennes ist auch Michelets Eloge in Wahrheit eine Übertreibung: Zwar erwies die Erzherzogin sich als eine fähige Verwalterin und raffinierte Diplomatin; aber ihr Vater Maximilian erreichte doch beträchtlich mehr, indem er nicht nur die Franzosen davon abhielt, die Niederlande zu annektieren, sondern zudem noch die Grundlagen für die kommenden 400 Jahre habsburgischer Vormacht in Mitteleuropa legte.
Noch aus den alltäglichsten Verwaltungsdokumenten geht Margaretes untergeordnete Stellung deutlich hervor: Gewöhnliche Briefe unterschrieb sie »im Namen des Kaisers, Margarete«, während Proklamationen »im Namen des Kaisers und des Erzherzogs« ergingen. Auch ernannte ihr Vater selbst alle höheren Amtsträger, weltliche wie geistliche, in den gesamten Niederlanden. Obwohl er 1510 – »der Bittsteller müde, die ihn ohne Unterlass belästigen« – versprach, in Zukunft den Empfehlungen Margaretes und ihres Rates zu folgen, bombardierte »Maxi« (wie der Kaiser selbst seine Briefe unterschrieb) seine Tochter auch weiterhin mit Anordnungen – im persönlichen Gespräch, wenn er sich gerade in den Niederlanden aufhielt, ansonsten in Briefen, oft von eigener Hand.2
Von Zeit zu Zeit gerieten die beiden aneinander. 1507 kritzelte Margarete eine eilige Mitteilung an einen der Ratgeber ihres Vaters und flehte, der Kaiser solle »zuerst mir mitteilen, was er zu tun beschlossen hat – und nicht so, wie er es für gewöhnlich hält, nämlich mir eine Sache mitteilen und dann etwas anderes tun«. Zwei Jahre später erregte Maximilians Entscheidung, einem Gläubiger Teile der Franche-Comté (Freigrafschaft Burgund) zu übertragen – ein Gebiet, das der Kaiser seiner Tochter überlassen hatte –, Margaretes Zorn. »Mein Herr, es verschlägt mir die Sprache«, empörte sie sich, »denn ich will doch meinen, dass ich, Eure einzige Tochter, allen anderen vorgezogen werden sollte.« Jedenfalls, fuhr sie wütend fort, »wenn Ihr denn entschlossen seid, jene Länder an Euch zu nehmen, dann tut es und macht damit, was Ihr wollt – ja, nehmt nicht nur diese, sondern den Rest der Freigrafschaft noch dazu und alles, was ich besitze, denn in nichts wollte ich Euch ungehorsam sein«.3 Tiraden wie diese führten manchmal dazu, dass es aus dem Wald (wie man so schön sagt) ganz ähnlich herausschallte: 1508 erklärte der Kaiser, die Briefe seiner Tochter seien »so voller Rätsel, dass es mir unmöglich ist, sie zu verstehen oder auch nur ihren Betreff zu erkennen«, und hilfreicher Vater, der er war, gab er ihr gleich noch einen Leitfaden für die künftige Korrespondenz an die Hand (am Wichtigsten: »schreibt nicht zehn Zeilen, wo drei genügen«). Zwei Jahre darauf sandte er Margarete alle jene ihrer »Briefe zurück, die wir nicht verbrannt haben«, weil sie derart »unsinnig [schienen], dass ich bald glaube, Ihr müsst mich für einen Franzosen halten« (offenbar die schlimmste Beleidigung im Arsenal des Kaisers). Und dann rief Maximilian seiner Tochter etwas Entscheidendes in Erinnerung: »Ich war es, der Euch auf Euren Posten als Statthalterin über unsere Gebiete und Untertanen berufen hat, und ich habe immer nur Gutes von Euch gesprochen.« Jedoch, so die abschließende Drohung des Kaisers: »Wenn Ihr mir weiterhin grundlos solch unverschämte Briefe schreibt, werdet Ihr mich wohl bald dazu bringen, dass ich es mir anders überlege«.4
Das war nichts als eine leere Drohung, und Maximilian wusste das auch: Nur seine Tochter war in der Lage, seine politischen Vorhaben adäquat umzusetzen, und deshalb begegnete er ihr in aller Regel mit Zuneigung und Rücksicht. So bereute er es etwa augenblicklich, als er sie einmal aufgefordert hatte, unverzüglich nach Luxemburg