Die Ausbildung der Trawniki-Männer umfasste auch »politische[n] Unterricht«. Ein ehemaliger Wachmann berichtete wie folgt über den Lehrstoff:
»Wir lernten alle Waffenarten, beschäftigten uns täglich mit dem Exerzieren, lernten die Lieder in der deutschen Sprache […], hauptsächlich lernten wir den Begleit- und Wachdienst. Die deutsche Leitung räumte dafür eine hohe Anzahl an Stunden ein. Damals wurde uns gesagt, dass wir nach Beendigung der Ausbildung als Wachmänner in den Lagern arbeiten sollten. Abgesehen von den angegebenen Fächern wurden uns die Vorlesungen über das arische Volk vorgetragen und der Lebenslauf von Hitler erzählt, es wurden die Juden und Zigeuner verleumdet, indem gesagt wurde, die beiden Nationalitäten seien die Schmarotzer, sie möchten keine körperliche Arbeit verrichten, sondern nur Handel betreiben und sich mit Schieberei beschäftigen und insbesondere die Juden würden die Deutschen, die höhere Rasse, anschwärzen und dabei deren Ansehen schädigen. Zum Schluss sagte der Vorleser immer, man solle die Juden hassen.«148
Die antisemitische und antiziganistische Indoktrination der Rekruten wurde spätetens ab Anfang 1942 durch praktische Übungen flankiert: Sie führten Razzien durch, in den Worten ehemaliger Wachmänner: »Methoden der Strafkommandos«, »die Regeln des Geleitschutzes«, die »Bewachung der Juden« und die Methode, »wie man Streifzüge in den Wohnorten, Festnahmen und Durchsuchungen durchführt.«149 Gelegenheit zur Anwendung des Gelernten erhielten die Rekruten im »Kommando Lublin«, das zunächst von Johannes Schwarzenbacher, später von dem Schutzpolizisten Karl Basener geführt wurde.150 Schwarzenbacher stellte im Juni 1943 ein ähnliches Kommando im Zwangsarbeitslager Poniatowa auf, wo nach dem Warschauer Ghettoaufstand überlebende Juden inhaftiert wurden. Kommandant dieses Lagers war der ehemalige Kriminalpolizist, SS-Obersturmführer und Gewaltmensch Gottlieb Hering, der zuvor das Vernichtungslager Bełżec geleitet hatte.151
Trawniki-Rekruten wurde in unregelmäßigen Abständen sogar die Erschießung von Juden zu Übungszwecken zur Aufgabe gemacht.152 Ivan Volosgin sagte dazu aus:
»Während der Ausbildung hatten die SS-Männer [Trawniki-Männer] praktischen Unterricht im Töten von Menschen. Dazu wurden in das Lager nach Trawniki Juden gebracht, die von den Auszubildenden während ihrer praktischen Schießübungen erschossen wurden.«153
Aleksander Moskalenko gab 1947 zu Protokoll:
»Es gab neben der Trawniki-Schule ein Ghetto-Lager. Die Wachmänner brachten Juden aus anderen Lagern zu diesem Lager unter dem Vorwand, dass sie zur Arbeitsleistung benötigt würden. […] Später wurden sie im Zuge des ›praktischen Unterrichts‹ [practical training] erschossen. Der ›praktische Unterricht‹ wurde in der folgenden Weise durchgeführt – eine Kompanie Wachmänner ging von der Schule [dem Ausbildungslager] zu einem Graben. Man brachte eine Gruppe von fünf bis vierzehn Juden dorthin. Die Letztgenannten wurden mit dem Gesicht zum Graben und dem Rücken zu uns aufgereiht. Anschließend rief der Kompaniechef Wachmänner aus der [Trawniki-] Gruppe auf, deren Anzahl derjenigen der Juden entsprach. […] Danach verteilte er Kugeln, eine für jeden Wachmann – und zwang sie, die Juden vor dem Rest der Kompanie zu erschießen. Während meiner Ausbildungszeit wurden ungefähr fünfzig Leute von den Wachmännern meiner Kompanie hingerichtet, und ich erschoss einen Juden während des ›praktischen Unterrichts.‹«154
Solche makabren Schulungen fanden nicht immer nahe beim Lager Trawniki statt. Einer der Ausbilder, Jakob Reimer, soll etwa dreißig jüdische Männer, Frauen und Kinder während der Lubliner Ghettoräumung in einem Wald außerhalb der Stadt eigenhändig erschossen haben – um seine Untergebenen im Morden zu schulen.155
3.3.4Rechtsstellung
Die Organisation der Trawniki-Männer war ein konstanter Appell an die Bereitschaft der Organisationsmitglieder, Indifferenz walten zu lassen und Indifferenzzonen auszuweiten. So war etwa die Rechtsstellung der Trawniki-Männer unklar.156 Sofern sie, wie die Allermeisten, aus der Kriegsgefangenschaft ins Lager gekommen waren, wurden sie zwar von den Stammlagern »freigegeben«, aber formal nicht aus der Gefangenschaft entlassen.157 Die Wachmänner gehörten daher auch nicht zum Wehrmachtsgefolge.
Sie waren vor allem Hilfspolizisten. In seiner Weisung vom August 1941 hatte der Chef der Ordnungspolizei Daluege die im Generalgouvernement auszubildenden Rekruten den einheimischen »Schutzmannschaften« subsummiert, die in der UdSSR aufgestellt werden sollten. Denn die Trawniki-Männer waren seinerzeit dazu bestimmt, auf SS- und Polizeistützpunkten im Osten Dienst zu tun.158 Auch als dieses Vorhaben zu den Akten gelegt worden war, blieben Ähnlichkeiten zwischen den Schutzmannschafts-Bataillonen in der besetzten UdSSR und dem Trawniki-Bataillon im Distrikt Lublin erhalten.
In beiden Fällen handelte es sich um militärisch strukturierte Hilfspolizeien, die zumindest anfänglich auch nach rassistischen Kriterien rekrutiert wurden. Nach Himmlers Vorstellung sollten in der 1. Kompanie eines Bataillons SS-taugliche Kandidaten versammelt werden.159 Auch in Trawniki scheint die 1. Kompanie eine Art Eliteeinheit gewesen zu sein. Als Himmler am 19. Juli 1942 das Ausbildungslager besichtigte, firmierte diese Inspektion in seinem Terminkalender als »Besichtigung eines Schutzmannschaftsbatl.«160
Bis Ende März 1942 war der oberste Dienstvorgesetzte der Trawniki-Männer formal Daluege in Vertretung Himmlers, de facto Globocnik, der jedoch SS und Polizei gleichermaßen Befehle erteilen konnte. Bei den Ghettoräumungen waren Trawniki-Männer zwar keine Hilfspolizisten im Vollzugsdienst wie die ukrainische Hilfspolizei – dazu später mehr –, aber faktische Hilfspolizisten der Gestapo.161 In den Vernichtungslagern kamen die maßgeblichen Befehle von Funktionären des nationalsozialistischen Krankenmords, die im Zivilberuf Ärzte oder Kriminalpolizisten waren und Angleichungsdienstgrade der Waffen-SS trugen.
Der vorrangig polizeiliche Charakter der Trawniki-Männer geht auch aus ihren Verpflichtungserklärungen sowie aus der Rangordnung hervor. Seit April 1942 unterstanden die Wachmänner ausschließlich Globocnik. Eine Rang- und Besoldungsangleichung, auch eine angestrebte Uniformänderung vom Mai 1943, rückte die Trawniki-Männer später in die Nähe der Waffen-SS.
Nachdem Globocnik nach Triest versetzt worden war, übernahm das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt das Ausbildungslager in seine Zuständigkeit, das fortan als SS-Ausbildungslager firmierte. Den Diensträngen der Trawniki-Männer wurde ein »SS« vorangestellt. Grund für diese Reform war vorrangig der Personalmangel in den Totenkopfverbänden der Waffen-SS, die durch vermehrte Einziehungen zur Front ausgedünnt wurden. Trawniki-Männer wurden in beträchtlicher Zahl in die Konzentrationslager des Reiches versetzt, um diese Lücken aufzufüllen. Ihre anscheinend geplante förmliche Übernahme durch die Waffen-SS fand aber nicht statt. Die Befehlsbefugnis des SS- und Polizeiführers für den Distikt Lublin, ab August/September 1943 Jakob Sporrenberg, blieb unberührt.162
Auch disziplinarrechtlich war unklar, zu welcher Formation die Trawniki-Männer gehörten. Die ausdrückliche Hervorhebung der »Kriegsdauer« in ihrer Verpflichtungserklärung spielt auf den »besonderen Einsatz« gemäß der Verordnung über eine SS- und Polizei-Sondergerichtsbarkeit vom 17. Oktober 1939 an.163 So gesehen, waren die Trawniki-Männer SS-Gefolge gemäß einer Bestimmung des Hauptamts SS-Gerichte vom 29. Juli 1941:
»Während des Krieges unterliegen den Bestimmungen über die SS- und Polizeigerichtsbarkeit, insbesondere den Kriegsgesetzen, alle Personen, die zur unmittelbaren Gefolgschaft einer Einheit oder Dienststelle der SS oder Polizei, für die Sondergerichtsbarkeit eingerichtet ist, gehören und für diese Tätigkeit Gebührnisse beziehen.«164
An sich hätte es nahegelegen, die Trawniki-Männer darüber hinaus der »Vorläufigen Dienststrafordnung für Polizeitruppen« vom 19. April 1940 zu unterstellen, aber diese erstreckte sich im Generalgouvernement neben hauptamtlichen Polizisten nur auf die »Angehörigen der Polizeireserve sowie der sonstigen nichtbeamteten Hilfskräfte im Vollzugsdienst der Ordnungspolizei«, also etwa