Das Fußvolk der "Endlösung". Thomas Sandkühler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Sandkühler
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783534746217
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SS die »Freigabe« der Betreffenden von den Abwehroffizieren verlangen. In Betracht kamen vorrangig Wolgadeutsche, aber auch Ukrainer, Weißrussen, Balten, Finnen und Georgier.44 Auch die ausnahmsweise Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft war an eine sowjetdeutsche oder ukrainische Herkunft gebunden.45 Diese Anordnungen bildeten den Ursprung der Trawniki-Männer: Rotarmisten, die ihre eigenen Kameraden bewachten und denunzierten, sollten für Aufgaben der SS rekrutiert werden.46

      Heydrichs detaillierte Weisungen überraschen insofern, als die SS-Führung über die nationale Zusammensetzung der Roten Armee und die stalinistische Nationalitätenpolitik offenkundig gut informiert war. Die Wehrmacht, die in erster Linie solche Kenntnisse hätte haben müssen, war es nicht. Das Oberkommando der Wehrmacht verband massive Vorurteile gegen die Rote Armee mit einer bemerkenswerten Unkenntnis ihrer nationalen Zusammensetzung, der Rolle der Politkommissare etc.47 So war den militärischen Dienststellen bei der Ausarbeitung des Kommissarbefehls entgangen, dass die Institution des »Politruks« gar nicht mehr existierte, obwohl sogar der »Völkische Beobachter« über die Abschaffung dieser Institution berichtet hatte.48

      Die Kommandeure der ersten Kriegsgefangenenlager für Rotarmisten waren auf die Realitäten einer multiethnischen Armee in keiner Weise vorbereitet. Sie zeigten sich besonders irritiert darüber, dass auch Frauen in der Sowjetarmee Waffen trugen. »Flintenweibern« galt der deutsche Hass in besonderem Maße. Nicht selten wurden diese Soldatinnen bereits im Kampfgebiet systematisch von deutschen Soldaten erschossen.49 Aber auch in den Kriegsgefangenenlagern erging es Rotarmistinnen besonders schlecht, sei es, weil sich die Kommandanten mit ihrer Unterbringung überfordert sahen, sei es aus ideologischen Gründen oder einer Mischung beider Motive. Überall fehlte es in den Lagern an deutschem Personal. Dies und zunächst nicht ideologische Motive war der Grund für die Heranziehung sowjetischer Soldaten zu Wachdiensten.50

      Am 8. September 1941 fasste Generalleutnant Hermann Reinecke, als Chef des Allgemeinen Wehrmachtamtes im OKW für das Kriegsgefangenenwesen zuständig, zuvor gegebene Befehle in einer Anordnung zur Behandlung sowjetischer Gefangener zusammen. Diese denkbar radikale Rahmenweisung ernthielt eine Heydrichs Befehlen entsprechende Hierarchie der sowjetischen Ethnien. Volksdeutsche und Ukrainer rangierten an der Spitze, gefolgt von Weißrussen, Polen und den Angehörigen der baltischen Staaten.51

      Auch im Generalgouvernement befanden sich Kriegsgefangenenlager für Rotarmisten, die meisten im Lublin Gebiet, das der Front am nächsten lag. Sie füllten sich schnell mit Gefangenen, die den anfänglich erfolgreichen deutschen Verbänden in die Hände fielen. Für die »Säuberung« der Kriegsgefangenenlager im Generalgouvernement entsandte Heydrich einen Kriminalkommissar zum zuständigen Oberbefehlshaber, Generalleutnant Herrgott.52 Einheiten der Gestapo und des SD aus dem Generalgouvernement ermordeten in den folgenden Wochen rund 16 000 vorgeblich »untragbare« Rotarmisten.53

      Dann kam der Hunger. Die Sterblichkeit stieg seit Ende September 1941 steil an, als Kälte und Nässe den Gefangenen zusetzten.54 Seit November waren Entlassungen aus der Gefangenschaft grundsätzlich untersagt.55 Bis April 1942 kam laut Statistiken des Militärbefehlshabers im Generalgouvernement rund 300 000 Rotarmisten im deutschen Gewahrsam um. Das waren mehr als die Hälfte der Soldaten, die seit Sommer als Kriegsgefangene eingetroffen waren. Sie hatten also eine bestenfalls fünfzigprozentige Überlebenschance.56

      3.3Globocniks Hilfspolizisten: Die Trawniki-Männer

      3.3.1Gründung des Ausbildungslagers

      Himmler hatte zwei Tage nach dem Überfall auf die Sowjetunion eine neue Fassung des »Generalplans Ost« in Auftrag gegeben, die am 15. Juli 1941 vorlag. Dieses Dokument ist nicht erhalten geblieben, bezog sich aber wahrscheinlich auf die Germanisierung und »Entjudung« vorrangig des Generalgouvernements.57 Hitler übertrug dem Reichsführer-SS die Aufgabe, die besetzten sowjetischen Gebiete polizeilich zu sichern. Er erhielt auch weitgehende Weisungsbefugnisse gegenüber der Zivilverwaltung, die in den rückwärtigen Heeresgebieten der UdSSR am 1. August 1941 die Militärverwaltung ablösen sollte. Somit konnte Himmler in der Sowjetunion seine Siedlungspolitik durchführen. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unter Rosenberg musste empfindliche Beschränkungen seiner Kompetenzen hinnehmen.58

      Den deutschen Sieg vermeintlich dicht vor Augen, plante Himmler in gigantischen Dimensionen. Am 17. Juli ernannte der »Reichsführer« Globocnik zum »Beauftragten für die Errichtung der SS- und Polizeistützpunkte im neuen Ostraum«.59 Solche Stützpunkte waren Globocniks eigene Erfindung: Er hatte SS-Güter, eine Art Wehrbauernhöfe, als polizeilich gesicherte Vorposten germanischer Herrschaft im Generalgouvernement gegründet.60 Neu war allerdings die Dimension seiner nunmehrigen Aufgabe, die sich auf die gesamte Sowjetunion bezog.

      Drei Tage später war Himmler in Lublin und wies Globocnik an, ein Konzentrationslager für bis zu 50 000 Häftlinge zu errichten. Daraus ging das Konzentrationslager Lublin-Majdanek hervor. Es firmierte allerdings offiziell als Kriegsgefangenenlager der Waffen-SS.61 Ferner sollte Globocnik das Zwangsarbeitslager an der Lipowastraße erweitern und in der Stadt Zamość – davon war bereits die Rede – das erste rein deutsche Siedlungsgebiet im Generalgouvernement schaffen.62 Die Erweiterung des Lipowa-Lagers sollte den SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerken unterstellt werden. Aus diesem Zweiglager sollten Facharbeiter für den Aufbau von Majdanek kommen, Inneneinrichtungen für das neue Konzentrationslager, ferner Bekleidung, Schuhe etc. für den Bedarf der SS-Einheiten in der Stadt Lublin.

      Als Standort wählte man das Gelände des stillgelegten Flughafens Lublin, das in der Nähe des dortigen Ghettos lag. Wie an der Lipowastraße mussten am Alten Flughafen jüdische Häftlinge Zwangsarbeit leisten. Gemäß Himmlers Anregung entstand dort auch ein Textilwerk, das SS-Bekleidungswerk Lublin.63 Ursprünglich auf den Lubliner SS-Bedarf ausgerichtet, war das Bekleidungswerk ab Mai 1942 auch für die Sortierung und Aufarbeitung der Kleidung im Giftgas ermordeter Juden zuständig.64 Die für die Ostsiedlung aufgebaute Infrastruktur bildete nach dem Scheitern der großen Pläne zur Germanisierung der Sowjetunion das organisatorische Rückgrat der »Aktion Reinhardt«.65 Die Siedlungspläne Himmlers und Globocniks wurden damit zwar nicht hinfällig, beschränkten sich jetzt aber auf das Generalgouvernement, anfänglich vor allem auf die Distrikte Lublin und Galizien.

      Die Genese des Ausbildungslagers Trawniki reicht bis zum Juli 1941 zurück, fällt also mit Heydrichs Befehl zur Rekrutierung von sowjetischen Kriegsgefangenen zusammen. In dem Ort Trawniki, 36 Kilometer südöstlich von Lublin an der Bahnstrecke nach Lemberg gelegen, befand sich in diesem Monat ein »Auffanglager für Flüchtlinge und von der Wehrmacht festgenommene verdächtige Personen«.66 Das Gelände einer ehemaligen Zuckerfabrik diente als improvisiertes Durchgangslager für Rotarmisten unter SS- und Polizeibewachung, die hier gemäß dem Kommissarbefehl von der Gestapo als »untragbar« ausgesondert wurden, sowie ein Straf- und Durchgangslager für Polen und Juden, aus dem später das Zwangsarbeitslager Trawniki hervorging.67

      Damals hielten sich in Trawniki rund 680 Menschen auf, mehrheitlich »Juden, darunter russische politische Kommissare und Antreiber, für welche ein besonderer durch Stacheldraht abgegrenzter Raum abgeteilt ist.« Sie standen unter Bewachung durch einen Rotarmisten sibirischer Herkunft und machten auf einen deutschen Besucher einen »fürchterlichen[,] fast tierischen Eindruck.« Aber auch Ukrainer aus dem soeben besetzten Lemberg waren da, Polen und »Zigeuner«. Das Lager sollte in Kürze mit weiteren 1 300 Personen belegt werden, die in Zamość schon auf ihren Abtransport warteten. Die Ernährungssituation in Trawniki war bedenklich; Medikamente gegen bereits ausbrechende Seuchen gab es nicht.68

      Es ist nicht bekannt, was aus diesen Gefangenen wurde. Möglicherweise musste sie Baracken auf dem Gelände bauen als das Ausbildungslager seine Pforten öffnete. Den politischen Rahmen für dessen Gründung setzten Himmlers Befehle vom 17. und 20. Juli 1941. In einem weiteren Befehl vom 25. Juli an die Höheren SS- und Polizeiführer in den neu eroberten Gebieten der Sowjetunion ordnete Himmler den Aufbau deutschfreundlicher »Schutzformationen« an, die als Verstärkung der deutschen Polizei dienen