Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eric Hobsbawm
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806239669
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Regime Platz. Thailand wagte ein paar Schritte hin zu einer konstitutionellen Regierung, und die Türkei wurde in den frühen zwanziger Jahren vom progressiven, militaristischen Modernisten Kemal Atatürk übernommen – kein Mann, der sich seinen Weg durch Wahlen verbauen ließ. Auf den drei Kontinenten Asien, Afrika und Ozeanien blieben nur Australien und Neuseeland im Verlauf dieser ganzen Periode demokratisch, denn die Mehrheit der Südafrikaner war ja von der Verfassung des weißen Mannes strikt ausgeschlossen.

      Der politische Liberalismus befand sich, kurz gesagt, während des gesamten Zeitalters der Katastrophe auf dem Rückzug, was durch Hitlers Machtübernahme als Reichskanzler Deutschlands im Jahr 1933 nur noch beschleunigt wurde. Blickt man auf die ganze Welt, so hatte es 1920 insgesamt vielleicht fünfunddreißig konstitutionelle und gewählte Regierungen gegeben, oder auch ein paar mehr (was davon abhängt, wo man einige der lateinamerikanischen Republiken ansiedelt). 1938 waren vielleicht noch siebzehn solcher Staaten und 1944 noch etwa zwölf von den weltweit fünfundsechzig übriggeblieben. Der Trend auf der Welt schien eindeutig.

      Man sollte sich hier daran erinnern, daß die liberalen Institutionen dieser Zeit ausschließlich von der politischen Rechten bedroht wurden – denn in der Zeit von 1945 bis 1989 schien die Behauptung selbstverständlich, daß im wesentlichen die Kommunisten eine derartige Bedrohung dargestellt hätten. Sogar der Begriff »Totalitarismus«, der ursprünglich als Beschreibung oder vielmehr Selbstdarstellung des italienischen Faschismus entstanden war, wurde in dieser Zeit fast ausschließlich auf kommunistische Regime angewandt. Das sowjetische Rußland (seit 1923 Sowjetunion) war jedoch isoliert und nach dem Aufstieg Stalins weder in der Lage noch willens, den Kommunismus zu verbreiten. Die soziale Revolution unter leninistischer (oder anderer) Führung kam völlig zum Erliegen, nachdem die erste Nachkriegswelle verebbt war. Die (marxistisch) sozialdemokratischen Bewegungen waren zu staatstragenden anstelle von subversiven Kräften geworden. Und ihre Verpflichtung auf die Demokratie war über jeden Zweifel erhaben. In den meisten Staaten waren Kommunisten in den Arbeiterorganisationen in der Minderheit, und wo sie stark waren, da wurden sie unterdrückt. Es sollte sich zwar erweisen, daß die Angst vor einer sozialen Revolution und der Rolle, die Kommunisten dabei spielen würden, bei der zweiten Revolutionswelle während und nach dem Zweiten Weltkrieg ziemlich realistisch war; doch in den zwanzig Jahren, in denen sich der Liberalismus auf dem Rückzug befand, hat die Linke nicht eine einzige Regierung zu Fall gebracht, welche zu Recht liberal und demokratisch genannt werden konnte.1 Die Gefahr kam ausschließlich von rechts. Und diese Rechte war nicht nur eine Bedrohung für konstitutionelle und repräsentative Regierungen, sondern vor allem für die liberale Zivilisation an sich. Sie war eine potentielle weltweite Bewegung, für die das Etikett »Faschismus« unzureichend, aber auch nicht völlig unzutreffend war.

      Unzureichend war es, weil bei weitem nicht alle Kräfte, die liberale Regierungen stürzten, faschistisch waren. Zutreffend war es, weil der Faschismus – zuerst in seiner italienischen Originalversion und später in seiner deutschen Ausprägung als Nationalsozialismus – nicht nur andere illiberale Kräfte inspirieren konnte, sondern auch unterstützte und der internationalen Rechten eine Art von Geschichtsvertrauen vermittelte: denn in den dreißiger Jahren sah es so aus, als gehörte ihm die Zukunft. Ein Experte schrieb: »Es war kein Zufall, daß … die königlichen Diktatoren Osteuropas, die Bürokraten und Offiziere, aber auch Franco (in Spanien), den Faschismus nachahmten.«2

      Die Kräfte, die die liberal-demokratischen Regierungen stürzten, gehörten drei verschiedenen Gruppen an, läßt man einmal die eher konventionelle Form des Militärputsches außer acht, welcher in Lateinamerika Diktatoren oder caudillos an die Macht brachte, die a priori keine spezifische politische Kontur hatten. All diese Gruppen waren Gegner der sozialen Revolution, und allen war eine tiefverwurzelte Abneigung gegen jene Kräfte eigen, die während der Jahre 1917–20 subversiv auf die alte Gesellschaftsordnung eingewirkt haben. Alle waren autoritär und lehnten liberale politische Institutionen ab, wenn auch manchmal mehr aus pragmatischen denn aus prinzipiellen Gründen. Als altmodische Reaktionäre neigten sie natürlich auch alle dazu, Parteien zu verbieten, vor allem die Kommunisten; aber nicht grundsätzlich jede Partei. Nach dem Sturz der kurzlebigen ungarischen Räterepublik von 1919 regierte Admiral Horthy – als Staatschef eines von ihm immer noch so genannten Königreichs Ungarn, obwohl es weder einen König noch eine Flotte besaß – einen autoritären Staat, der zwar noch parlamentarisch, aber nicht demokratisch war, ganz im alten oligarchischen Stil des 18. Jahrhunderts. Alle tendierten dazu, das Militär zu favorisieren und die Polizei oder andere Männerbünde zu fördern, die in der Lage waren, physische Gewalt zu exerzieren. Waren sie doch das stärkste Bollwerk gegen Subversion, und ihre Unterstützung war dann in der Tat oft entscheidend für eine Machtübernahme der Rechten. Und alle tendierten zum Nationalismus; einerseits, weil sie Ressentiments gegen fremde Staaten, verlorene Kriege oder unfähige Imperien hatten, andererseits, weil das Schwenken von Nationalfahnen ein Weg zu Legitimität und Popularität war. Und doch gab es Unterschiede.

      Da waren die altmodischen Autoritären oder Konservativen: Admiral Horthy; Marschall Mannerheim, der Sieger im Bürgerkrieg zwischen Weiß und Rot im erst jüngst unabhängig gewordenen Finnland; Oberst – später Marschall – Pilsudski, der Befreier Polens; König Alexander im »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen« – ab 1929 Königreich Jugoslawien; und General Francisco Franco in Spanien. Diese Männer hatten keine spezifische ideologische Agenda, abgesehen davon, daß sie Antikommunisten und den traditionellen Vorurteilen ihrer Klasse verhaftet waren. Sie ließen sich zwar auf Bündnisse mit Hitlers Deutschland und mit den faschistischen Bewegungen ihrer eigenen Staaten ein, aber im Grunde nur, weil unter den Umständen der Zwischenkriegszeit eine Allianz aller Sektionen der politischen Rechten nur »natürlich« war. Doch nationale Bedenken konnten dieser Allianz durchaus in die Quere kommen. Winston Churchill, der zu dieser Zeit ein strammer Tory vom rechten Flügel war – wenn auch ein uncharakteristischer –, hatte beispielsweise eine gewisse Sympathie für Mussolinis Italien bekundet und hatte sich auch nicht dazu durchringen können, die Spanische Republik gegen General Francos Truppen zu unterstützen. Erst die Bedrohung, die Deutschland für Großbritannien darstellte, machte ihn zum Vorkämpfer einer internationalen antifaschistischen Allianz. Doch solche Reaktionäre alten Typs waren manchmal durchaus auch der Opposition einer faschistischen Bewegung in ihren eigenen Staaten ausgesetzt, die manchmal sogar substantielle Unterstützung der Massen finden konnte.

      Ein anderer Zweig der Rechten verfocht das sogenannte »organische Staatsideal«3, also eine konservative Regierungsform, die nicht so sehr ein traditionelles System verteidigen als vielmehr ganz bewußt dessen Prinzipien wiedererstarken lassen wollte, um dem liberalen Individualismus und den Herausforderungen der Arbeiterbewegung und des Sozialismus entgegentreten zu können. Dahinter stand die nostalgische Ideologie einer bestimmten Vorstellung vom Mittelalter oder von einer Feudalgesellschaft, in der die Existenz von Klassen oder wirtschaftlichen Interessengruppen zwar anerkannt wurde, die schreckliche Vorstellung eines Klassenkampfes jedoch durch den bereitwilligen Konsens der gesellschaftlichen Hierarchie gebannt war, weil akzeptiert wurde, daß jeder gesellschaftlichen Gruppe oder jedem »Stand« in einer konstitutionellen und allumfassend-dirigistischen Gesellschaft eine spezifische Rolle zukommt und jede Gruppe als kollektive Entität betrachtet wird. Dies führte zu verschiedenen »korporativistischen« Theorien, in denen die Vertretung wirtschaftlicher und berufsständischer Interessengruppen die liberale Demokratie ersetzen sollten. Manchmal wurde dies zwar als »organische« Partizipation bzw. Demokratie und daher als bessere Version des Originals dargestellt; tatsächlich aber war das untrennbar mit einem autoritären Regime und einem starken Obrigkeitsstaat verknüpft, der weitgehend von Bürokraten und Technokraten geführt wurde. Die Wahldemokratie (»korporativ korrigierte Demokratie« in den Worten des ungarischen Ministerpräsidenten Graf Bethlen4) wurde damit ausnahmslos eingeschränkt oder ganz abgeschafft. Die vollkommensten Beispiele für derartige korporativistische Staaten waren in römisch-katholischen Ländern zu finden, besonders im Portugal von Professor Oliveira Salazar, dem langlebigsten aller illiberalen Regime der Rechten in Europa (1927–74), aber auch in Österreich zwischen der Zerstörung der Demokratie und dem Überfall Hitlers (1934–38), und in gewissem Sinne auch in Franco-Spanien.

      Obwohl die Ursprünge und Vorstellungen solcher reaktionären Regime älter und manchmal auch völlig anders geartet waren als der Faschismus,