1. Die ältesten Prosa-Upanishaden;
2. Die mittleren Vers-Upanishaden;
3. Die jüngeren Upanishaden der Spätzeit.
Die Texte der ersten Gruppe, in der altertümlichen Sanskrit-Prosa der Brahmanas abgefasst, enthalten keimhaft die ersten Anfänge der Atman-Brahman-Spekulation, weisen aber durch häufige Bezugnahme auf das Opferwesen starke Berührungspunkte mit der älteren Priesterreligion auf. Gelegentlich sind auch Verse eingeschoben. Die Upanishaden der mittleren Gruppe sind rein metrisch verfasst, also Gedichte im eigentlichen Sinne, und sie zeigen schon durch ihren Wortschatz, dass sich das philosophische Denken sehr vervollkommnet und von den Banden des alten Ritualwesens weitgehend gelöst hat. Die jüngeren Upanishaden erfreuen sich nicht mehr so großen Ansehens, denn in ihnen kommen voll ausgebildete Systeme mit zum Teil sektiererischen Neigungen zu Wort.
Da das vorliegende Buch von der „Weisheit der Dichter“ handelt, können wir die in Prosa abgefassten Upanishaden übergehen; aus der Gruppe der Vers-Upanishaden seien jedoch zwei Beispiele herausgegriffen. Das erste ist die kleine, aber gehaltvolle Kena-Upanishad, die aus zwei Teilen besteht, einem älteren Prosa-Teil und einem am Anfang stehenden längeren Gedicht, das nur aus der Zeit einer vollendeten Vedanta-Anschauung stammen kann, wie sie uns in der Kathaka- und Isha-Upanishad entgegentritt, mit denen sie deutlich Berührungen zeigt. Ihren Namen hat sie daher, dass sie mit dem Wort kena beginnt, „Wodurch“: sie fragt nach dem allgemeinen Grund für Geist, Rede, Sinneswahrnehmung. Als dieser allgemeine Grund wird das Selbst erkannt, das mit dem Weltgeist Brahman identische Atman. Aber nicht der von den Menschen verehrte, mit Eigenschaften versehene, im Gebet angesprochene Brahmagott ist hier gemeint, sondern etwas gänzlich Absolutes, Transzendentes, Verstand und Rede Übersteigendes, mit Sinnen nicht Wahrnehmbares, etwas Unbegreifbares, das nur durch Paradoxien ausgedrückt werden kann. Die Paradoxie des Göttlichen steigert sich zu der Aussage, dass das attributlose Brahman nicht erkannt werden kann: „Nur der kennt es, der nicht erkennt“; es kann nur in mystischer Versenkung erlebt werden. Die Strophen des ersten Teils der Kena-Upanishad möchte ich nun in einer eigenen poetischen Nachdichtung folgen lassen.
Woher ward einst der Geisthauch ausgesandt?
Wer hat den Odem einst in Tätigkeit versetzt?
Wer hat die Rede, die wir sprechen, ausgesandt?
Wer ist der Gott, der Aug' und Ohr bewegt?'
Des Ohres Hören und des Denkens Geist,
Der Rede Wort und auch des Atems Hauch,
Des Auges Sehn' – der Weise gibt es auf;
Und wenn er stirbt, erbt er Unsterblichkeit.
'Zu dem kein Auge jemals vorgedrungen ist,
Nicht Rede und auch der Gedanke nicht,
Der bleibt verhüllt, und wir verstehen nicht,
Wie einer uns ein solches lehren kann.'
Verschieden ist's von dem, was 'Wissen' ist;
Doch auch das Nichtwissen ist es nicht:
So sagten es die Weisen uns,
Die uns hierüber einst belehrt.
Denn der, den keine Rede nennen kann,
Doch selber alle Rede hat hervorgebracht,
Der, sollst du wissen, ist der Brahmageist,
Nicht das, was man bei uns als solchen ehrt.
Denn der, den kein Gedanke denken kann,
Doch selber alles Denken hat gewirkt,
Der, sollst du wissen, ist der Brahmageist,
Nicht das, was man bei uns als solchen ehrt.
Und der, der jedem Aug' unsehbar ist,
Doch selber jedes Auge sehen macht,
Der, sollst du wissen, ist der Brahmageist,
Nicht das, was man bei uns als solchen ehrt.
Und der, der keines Ohr jemals erlauscht,
Doch selber jedes Ohr zum Hören bringt,
Der, sollst du wissen, ist der Brahmageist,
Nicht das, was man bei uns als solchen ehrt.
Und der, den kein Atem jemals hat erhaucht,
Doch selber alles Atmen hat gewirkt,
Der, sollst du wissen, ist der Brahmageist,
Nicht das, was man bei uns als solchen ehrt.
Wenn du meinst, dass du ihn kennst,
So ist es doch ein Trugschluss nur;
Du kennst nur die Erscheinungsform,
Die du bist und die Götter sind.'
Ich glaube nicht, dass ich es weiß;
Ich weiß nicht, dass ich es nicht weiß!
Es weiß ein jeder, was er weiß;
Nicht weiß er, dass er es nicht weiß!
Nur der kennt es, der nicht erkennt;
Wer es 'erkennt', der kennt es nicht, –
Dem Kundigen bleibt's unbekannt,
Dem Nicht-Erkennenden bekannt!
Nur wer es durch Erweckung kennt,
Der kennt's und erbt Unsterblichkeit;
Dass er es selbst ist, gibt ihm Kraft,
Dass er es kennt, Unsterblichkeit.
Die Wahrheit hat, wer es hienieden fand;
Wer es nicht fand, dem ist Verderben groß!
Der Weise nimmt's in jedem Wesen wahr;
Und wenn er stirbt, erbt er Unsterblichkeit.17
In enger geistiger Verwandschaft zu dem hier Dargestellten steht die Isha-Upanishad. Sie gilt als die älteste und mit Recht angesehenste der Vers-Upanishaden, auch sie eine Wechselfolge von Rede und Gegenrede, abgesehen von den Gebeten am Schluss. Auch ist sie mit ihren 18 Strophen eine der kürzesten Upanishaden überhaupt; sie enthält brennpunktartig verdichtet eine ganze Reihe wertvoller und neuer Gedanken. Sie betont die Wertlosigkeit der Werke und die Wichtigkeit der Erkenntnis des Selbst, das als All-Selbst allen Wesen ohne Ausnahme innewohnt. In diesem Selbst liegt die Einheit der Welt beschlossen. Weder Wissen noch Nicht-Wissen verhelfen zur Erkenntnis; der Glaube an ein ewiges Vergehen ist ebenso ein Irrglaube wie der an ein ewiges Werden, und beide führen ins Verderben. Das göttliche All-Eine ruht regungslos in sich; und doch ist es schneller als der Geist: obgleich es stille steht, überholt es alle Laufenden. So kreist die Isha-Upanishad um das Paradox des unerkennbaren, ewig-seienden Göttlichen. Die folgenden Strophen sind ein Versuch, die Isha-Upanishad, dieses Kronjuwel des indischen Geistes, in rhythmische Verse zu übertragen.18
Was immer in der Welt sich regt,
Umhüll' es mit der Gottheit Glanz.
Erfreu' Dich als Entsagender;
Begehr' nicht jemandes Besitz!
Gar mancher wirkt in dieser Welt,
Der hundert Jahre leben will;
So steht's bei allen, auch bei Dir,
Doch Karma haftet Dir nicht an.