du einzig und allein.
Du schufest den Nil, der aus der Unterwelt quillt,
um das Volk am Leben zu erhalten.
Auch an den Himmel setztest du den Nil,
dass er herabflute und die Ackerkrume tränke.
Du schufest die Jahreszeiten, um deine Werke zu vollbringen,
den Winter, den kühlen,
die Sommerhitze, damit sie dich kosten.
Den fernen Himmel hast du gemacht,
um an ihm aufzugehen,
um all das zu schauen, was du allein schufest.
Alle blicken auf zu dir, Sonne des Tages!
Du lebst in meinem Herzen,
kein anderer kennt dich so,
wie dein Sohn Echnaton.
Seit du die Erde gegründet hast,
hast du sie aufgerichtet für deinen Sohn,
der aus dir selber hervorging,
den König von Ober- und Unterägypten,
den Herrn der Kronen, Echnaton, dessen Leben lang sei,
und für die königliche Gemahlin Nofretete.27
Was an diesem Hymnus auffällt, ist sein ausgeprägter Naturalismus – hier geht es nur um die physische Sonne und um nichts sonst; es fehlt jegliche Metaphysik, jede Anspielung auf etwas Höheres, Geistigeres, Wesenhaftes; die Dimension der Transzendenz ist geradezu abgeschafft worden. Und wie Echnaton nur das Licht gelten lassen wollte, aber nicht das Dunkel, so durfte es auch nur das Diesseits geben, aber kein Jenseits: die in der Kultur Ägyptens so tief verwurzelte Osiris-Religion wurde ebenso wie der traditionelle Amuns-Kult zurückgedrängt. Der krasse Realismus der Amarna-Zeit duldete nur noch das Sichtbare, und so wendete Echnaton die ursprünglich esoterische Re-Religion der alten Ägypter ins Naturalistische, ja Materialistische, so dass man in ihm fast den ersten Aufklärer und Entmythologisierer der Menschheits-Geschichte sehen kann. Eine Gestalt, die man in ihrer geistesgeschichtlichen Wirkung vielleicht mit Martin Luther oder Kant vergleichen kann, flackert in Echnaton erstmals ein Funke modernen Bewusstseins auf, aber verfrüht und ohne eine Möglichkeit der Verwirklichung.
Ebenso künstlich wie gewaltsam wollte Echnaton mit seinen von oben diktierten Reformen diesem uralten Priesterstaat Ägypten einen gewaltigen Sprung in die Moderne vorschreiben. Zu den Reformen des Echnaton gehört auch, dass er das zu seiner Zeit gesprochene Mittelägyptisch zur Schrift- und Literatursprache erhob, womit das besonders für priesterliche Zusammenhänge wichtige Altägyptisch zum reinen Relikt wurde. Alles war nun plötzlich im Aufbruch begriffen, alles im Wandel, im Fließen, in Bewegung gekommen. So auch die Darstellungen in der bildenden Kunst: anstelle des starren blockartigen Dastehens der älteren Pharaonenbildnisse werden Personen nun in Bewegung gezeigt, meist auf dem Pferdegespann stehend, oft auch in kühnen Drehungen und Stellungen anstelle der bisherigen Frontalansichten, so als wolle man die seit ungezählten Dynastien geltenden Kunstmaßstäbe mit einem Male sprengen und durch etwas ganz Neues ersetzen. Die Darstellungen des Echnaton selbst sind in ihrem Realismus von erschreckender Hässlichkeit; da fehlt jede Spur von Verklärung, Idealisierung, im Gegenteil wird die körperliche Unzulänglichkeit des Pharao fast manieristisch übersteigert.
In der neuen Sonnenstadt Achet-Aton, die rund 100.000 Einwohner gezählt haben muss, lebte Echnaton ausschließlich seinem Aton-Kult; aber das ägyptische Riesenreich, das sich über 18 Breitengrade erstreckte, zusammenzuhalten – dazu fehlte dem haltlosen Träumer die starke Hand. So konnte er es nicht hindern, dass Ägyptens Hauptfeind, die Hethiter, schon in den Zedernwäldern des Libanon standen und unerbittlich vorrückten; die Hilferufe seiner Vasallen aus den Provinzen verhallten ungehört. Über das Ende Echnatons wissen wir nichts. Litt er an einer unheilbaren Krankheit, fiel er einem Anschlag zum Opfer? Nach seinem Tod änderten sich die Verhältnisse rasch und grundlegend. Sein Schwiegersohn, der jugendliche Tutanchaton (1333-1325), verlegte den Regierungssitz recht bald nach Theben und setzte die alten Götter unverzüglich in ihre Rechte ein; das Andenken Echnatons wurde getilgt. Mit dem Tode des jungen Nachfolgers, der sich nun Tutanchamun nannte, des Gottes Amun eingedenk, erlosch die 18. Dynastie, die so glanzvoll begonnen hatte, wie eine zu früh niedergebrannte Leuchte.
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