Er trat zur Seite und schob ein funkelnagelneues Damenfahrrad vor die Haustür. Es war schöner und bestimmt auch teurer als das, welches er kaputt gefahren hatte.
An der Lenkstange hing ein selbstgebasteltes Fähnchen mit kunstvoll gemalten Buchstaben, die das Wort ENTSCHULDIGUNG ergaben.
»Sie wissen, dass ich Ihnen bereits verziehen habe«, sagte Jutta lächelnd.
»Bleiben Sie nicht zu lange in der offenen Tür stehen, sonst erkälten Sie sich. Ich stelle das Rad neben das Wrack. Ist Ihnen das recht?«
Jutta nickte, und Erich Gloger schob das Fahrrad weiter. Wenig später trat er ein. Er sagte, er hätte sie gern zum Essen eingeladen.
»Einverstanden«, sagte Jutta. »Ich beeile mich.«
»Wie ist es mit der Prüfung gelaufen?«, rief ihr Erich Gloger nach.
»Ich habe bestanden«, antwortete die junge Frau.
»Gratuliere. Dann ist es jetzt also nicht mehr nötig, dass ich Ihnen die Daumen halte«, meinte der Krankenpfleger.
»Nein«, erwiderte Jutta Sibelius lachend. »Die können Sie loslassen» Setzen Sie sich. Wenn Sie etwas trinken wollen, bedienen Sie sich. Sie wissen ja, wo sich die Bar befindet.«
Jutta rubbelte ihr Haar und fönte es. Noch nie war sie dabei so ungeduldig gewesen. Dennoch dauerte es eine halbe Stunde, bis sie ausgehfertig war.
Zwanzig Minuten später saß sie mit Erich Gloger in einem Nobelrestaurant. Sie sprach von getrennter Rechnung, doch er wehrte ab und sagte, es sei ihm ein Vergnügen, sie einladen zu dürfen.
»Nun werden Sie sich Ihren Traum vom Kleinwagen wohl bald erfüllen«, sagte er lächelnd.
»O ja, das habe ich vor«, erwiderte sie.
»Wenn ich Ihnen bei der Wahl behilflich sein kann, verfügen Sie über mich. Ich bin zwar kein Automechaniker, kenne mich bei Fahrzeugen aber dennoch ganz gut aus«, bot der junge Mann ihr an.
»Ich komme auf Ihr Angebot bestimmt zurück«, entgegnete Jutta Sibelius.
»Darüber würde ich mich freuen«, sagte Erich Gloger.
Das Essen schmeckte hervorragend. Den Nachtisch - Eis mit heißen Himbeeren - schaffte Jutta nicht mehr ganz.
»Einen Kognak zur Verdauung?«, fragte Erich Gloger.
»Ja, aber dann ist endgültig Schluss«, antwortete Jutta.
Gloger bestellte zwei Kognak, und als die großen, bauchigen Schwenker vor ihnen standen, beugte er sich vor und blickte Jutta in die dunklen Samtaugen, in denen sich das Licht der Kerze widerspiegelte.
»So, und nun möchte ich hören, wie es Ihnen bei der Prüfung ergangen ist«, sagte er.
»Ich kriege es gar nicht mehr richtig zusammen«, erwiderte Jutta. »Ich hatte den Eindruck, auf nichts Einfluss nehmen zu können. Es passierte einfach alles mit mir, und ehe ich zur Besinnung kam, war die Prüfung vorbei. Als mir klar wurde, dass ich bestanden hatte, sagte ich zu mir: »Du kannst aufhören zu zittern, Jutta.« Sie lachte und erzählte ihm die Einzelheiten, die in ihrem Gedächtnis haftengeblieben waren.
Sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal so einen netten Abend verbracht zu haben. Erich Gloger hatte etwas an sich... Man musste sich in seiner Gesellschaft einfach wohl fühlen.
Er sprach über seine Arbeit in der Wald-Klinik, und es war interessant, ihm zuzuhören. Jutta hörte die Namen von Ärzten, hörte sie nicht zum ersten Mal. Einige hatte Antje Büchner vor einem Jahr erwähnt.
»Dieser Chefarzt Doktor Anders muss ein ganz besonderer Mensch sein«, sagte Jutta, als Erich Gloger über ihn sprach.
»Mit ihm hat die Wald-Klinik das große Los gezogen«, behauptete der Krankenpfleger. »Männer wie er sind dünn gesät, die kann man mit der Lupe suchen. Er ist ein ausgezeichneter Diagnostiker, ein hervorragender Chirurg, versteht sehr viel von Menschenführung, und niemand weiß die Patienten besser zu behandeln als er.«
»Sie bewundern ihn wohl«, meinte die junge Frau.
»O ja, das tue ich. Vielleicht klingt es ein wenig zu pathetisch, aber es entspricht der Wahrheit: Es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, unter Doktor Anders arbeiten zu dürfen. Dieser Mann hat meine ganze Hochachtung, und wissen Sie, was seine Größe ausmacht? Dass er nicht auf einem hohen Podest steht, unerreichbar für jedermann, sondern dass er jederzeit für alle da ist, dass er sich trotz der vielen Arbeit, die seine Position mit sich bringt, Zeit nimmt, und dass er selbst für die kleinsten Probleme ein offenes Ohr hat. Wer die Wald-Klinik verlässt, der ist an Leib und Seele geheilt.«
»Auch meine Freundin Antje Büchner sprach über Doktor Anders, als trüge er einen Heiligenschein«, sagte Jutta und nahm einen Schluck vom Kognak.
»Er widmet seiner Aufgabe jenen Ernst, der ihr zukommt«, erwiderte Erich.
»Ich habe Antje von Ihnen erzählt. Sie glaubt, Sie zu kennen«, sagte Jutta Sibelius. Als sie die Freundin beschrieb, erinnerte sich Erich Gloger dunkel an sie.
Es blieb nicht aus, dass ihm Jutta von Antjes Pech erzählte» Der Mann zeigte ein ehrliches Mitgefühl.
»Warum müssen im Leben immer die Besten am schwersten draufzahlen?«, fragte Jutta mit leichter Verbitterung. »Ich würde Antje furchtbar gern helfen, aber ich weiß nicht, wie.«
»Es gibt Fälle, da muss man den Dingen einfach ihren Lauf lassen und zusehen, wie sie sich entwickeln«, entgegnete Erich Gloger. »Manchmal wendet sich zu guter Letzt doch noch alles zum Guten. Hin und wieder kommt es zu Wendungen, die man nicht vorhersehen konnte.«
»Antje hat sich so ein Schicksal nicht verdient Sie ist ein anständiges Mädchen.«
»Es ist für sie noch lange nicht aller Tage Abend«, meinte Erich Gloger tröstend. »Es kann sich für sie durchaus noch alles zum Guten wenden.«
18
Nach einer vierstündigen Operation am offenen Herzen, bei der das Leben des Patienten an einem sehr dünnen Faden hing, betrat Dr. Anders sichtlich abgekämpft sein Büro.
Seine Sekretärin Veronika Baier sah ihm an, dass er jetzt einen starken Kaffee nötig hatte.
»Doktor Uhlig war vor einer halben Stunde hier und wollte Sie sprechen«, sagte sie.
»Weswegen?«, fragte der Mediziner.
»Das hat er nicht gesagt. Er wird kurz vor Mittag noch mal hereinschauen. Ging die Operation gut aus?«, fragte die junge Frau.
»Ja, aller Voraussicht nach wird der Patient durchkommen, aber es war weiß Gott nicht leicht«, antwortete der Arzt.
»Sie kriegen von mir einen Kaffee, der Tote aufweckt«, meinte Veronika Baier.
»Gute Idee. Sonst noch was?«, wollte der Mediziner wissen.
»Ein Anruf von der Ärztekammer. Man würde Sie gern in einer Schiedsgerichtskommission haben«, gab die Sekretärin zur Antwort.
»Auch wenn